Stationen

Freitag, 12. März 2010

Sigmund Freud

In meiner Jugend begriff ich von Sigmund Freud, diesem sich überaus präzise ausdrückenden Mann, nur eines: dass ich ihn wahrscheinlich missverstand und dass es den meisten Menschen wahrscheinlich auch so ging, sowohl seinen Gegnern, wie vielleicht besonders seinen Anhängern.
Da irrte ich mich nicht. Vieles ist darauf zurückzuführen, dass Freud seinen Triebbegriff ganz anders verwendete als Konrad Lorenz später den seinen. Es wäre die Aufgabe von Lorenz gewesen, darauf hinzuweisen, dass Freud mit Trieb nicht, wie er selbst, einen angeborenen biologischen Trieb meinte, sondern eine Tendenz, ein Treiben, eine Neigung als Ergebnis eines kontrapunktistischen Zusammenspiels biologischer und kultureller Determinanten, denn nur innerhalb dieser Begrifflichkeit ist Freuds Todestrieb eine schlüssige Idee. Aber Lorenz übersah diesen wichtigen Unterschied schlicht und einfach, oder er sah ihn nicht deutlich genug. Er war viel zu sehr von den eigenen Gewissheiten hypnotisiert, um ihn deutlich erkennen zu können.
Mit anderen Worten, Lorenz verwechselte und vermischte zwei unterschiedliche Ebenen, die konzeptuell hätten auseinandergehalten werden müssen, so wie man Hardware und Software auseinanderhält. Und als Freud seine Werke über die menschliche Psyche schrieb, konnte er ja nicht ahnen, dass sich Jahrzehnte später ein biologistischer Sprachgebrauch durchsetzen würde, der das Wort Trieb, so wie er es verwendete, missverständlich werden lassen konnte.

Lorenz sah manches nicht. Zum Beispiel behauptete er, Vogelpaare seien ein Beispiel für Partnertreue. Aber der Begriff Partnertreue ist auch mehrdeutig. Vogelpaare werden bei den meisten Arten nur durch den Tod geschieden. Wenn man den Begriff "Partnertreue" so versteht, hatte Lorenz recht. Wenn man aber die Eier in den Nestern genetisch untersucht, kommt man zu anderen Ergebnissen. 18 bis 43% der Eier stammen nicht vom ständigen Partner, sondern von okkasionellen Partnern ab.
Es ist eigentlich erstaunlich, dass der katholische Lorenz dies übersehen hat, denn quod licet Jovi et licet avi! Und als katholischer Darwinist - der an anderer Stelle das Pflegen eines "gesunden Lasters" als Zeichen von Vitalität wertete - müsste er sich eigentlich Gedanken über den Selektionsvorteil der Doppelbödigkeit gemacht haben. Nach meinem Dafürhalten hat er das aber nie getan. Worin besteht dabei die Anziehungskraft, die die Geradlinigkeit der Piefkes auf katholische österreichische Wissenschaftler vielleicht manchmal ausübt?

Konrad Lorenz war ein begnadeter Beobachter!

Die Taaube, die Taaube, die bringt der Braut die Hahaube, der Pfau mit seinem ...

Sigmund Freud hob in "Das Unbehagen in der Kultur" hervor, dass alle Weisheitssystheme davon abrieten, das Glück auf sexuelle Befriedigung zu gründen.

Und dennoch lastet man gerade ihm oft die heutige Überbewertung der Sexualität an. Dabei hat der arme Kerl sie nur von allen am gescheitesten thematisiert. Ungerechtigkeit ist der Welt Lohn. Die Feministinnen sind besonders ungerecht zu ihm. Und das, obwohl die kluge Juliet Mitchell bereits Ende der 70-er Jahre ein ehrliches Portrait von Freud im Schlusskapitel von "Psychoanalyse und Feminismus" gezeichnet hatte.

Mit Religion konnte Freud überhaupt nichts anfangen. Er verstand Romain Rollands "ozeanisches Gefühl" der Selbsttranszendenz nicht. So gibt es bei Freud auch keinen religiösen Trieb, sondern er hält die Religion - wie jede künstlerische Tätigkeit - nur für eine Fokalisierung und Ablenkung unserer Aufmerksamkeit, die es uns ermöglicht, die menschliche Grundbedingung auszuhalten, die darin besteht, Bewusstsein zu besitzen.

Daran ist sehr viel Wahres.

Aber gerade im Feudschen Sinn wäre, zusätzlich zu Eros und Thanatos, die Konzepierung und Benennung einer dritten Neigung, einer dritten Tendenz angemessen, die ein bisschen etwas von Tod und von Liebe hat, also von den anderen beiden Tendenzen. Statt Freuds Dichotomie eine Trichotomie.

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