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Mittwoch, 17. März 2010

Lesenswert - besonders für Lutheraner

http://de.wikipedia.org/wiki/Konkordat

http://de.wikipedia.org/wiki/Reichskonkordat

Das Reichskonkordat war Hitlers erster außenpolitischer Erfolg: eine Art Vorhut des "appeasement" von Seiten eines unbewaffneten Verhandlungspartners, der in eigener Sache versuchte zu retten, was zu retten Hitler ihm erlaubte.

Die Lutheraner der Bekennenden Kirche in ihrer Geradlinigkeit exponierten sich verbal und taten dann nicht sehr viel, und wer etwas tat, wie Bonhoeffer, verschwand meistens in einem Konzentrationslager. Die katholische Kirche, deren Oberhaupt über viel größere spirituelle Macht verfügte, enttäuschte durch kleinlaute Zurückhaltung, rettete aber durch heimliche Tätigkeit dann sehr viel mehr Menschenleben. Vorteil der Doppelbödigkeit!
Hätten klare Worte des Papstes nur die Grausamkeit gegenüber dem Klerus und generell die Gewalt noch mehr eskalieren lassen, wie die Kirche sich heute rechtfertigt? Oder hätte der Papst, geschehe was da wolle, diese klaren Worte aussprechen müssen?


Vati kam einst von sich aus auf das Konkordat zu sprechen. Die Kirche von Rom war für ihn eine sehr ehrwürdige Einrichtung. Bemerkenswert ist, dass Vati ausnahmsweise mal das Bedürfnis einer Rechtfertigung verspürte und das Reichskonkordat expressis verbis als bestätigende Investitur Hitlers, sozusagen von höherer Stelle, bezeichnete!

Hitler war wirklich ein genialer Menschenkenner. Gerade das lässt mich weiterhin an dem Gedanken festhalten, dass Pius XII eben doch Hitler hätte exkommunizieren müssen. Aber das sind Gedanken eines Lutheraners, und Päpste sind auch nur Menschen. Je mehr sich die katholische Kirche ebenfalls exponiert hätte, desto mehr Anhaltspunkte hätte sie denen gegeben, von denen sie observiert wurde, und desto weniger hätte sie durch heimliches Wirken ausrichten können. In den Klöstern wurden viele Juden versteckt.

Im Urlaub in Westerland 1981 erlebte ich es das einzige Mal, dass Vati von sich aus so etwas wie Anfechtungen thematisierte. Bei einem Stück Torte in einem Cafe begann er davon zu sprechen, dass es bei der NSDAP zu Aufnahmestops gekommen sei, das müsse einem doch zu denken geben. Da hatte er allerdings recht. Ich dachte damals, wahrscheinlich stimmt, was er sagt, und wahrscheinlich stimmt sogar, was er damit meint, aber ich behielt mir insgeheim vor, es irgendwann nachzuprüfen, denn ich hatte mittlerweile begriffen, dass die Nazis clever genug waren, um Konsens gerade dadurch zu fördern, dass sie Gerüchte dieser Art in die Welt streuten; außerdem war es natürlich zu gewissen Zeiten opportun den Parteiausweis zu besitzen, gerade weil der Zwang ihn zu besitzen nicht bestand, abgesehen von ganz bestimmten Situationen. Die Beweggründe der Menschen sind meist banaler und schäbiger, als Plutarch es gerne hätte.

Aber es stimmte, was Vati da sagte, es gab diese Aufnahmestops. Der Konsens war enorm. Daran habe ich allerdings mein Leben lang nicht eine Sekunde gezweifelt! So etwas, wie das Deutschland Hitlers, kann man nicht erzwingen. Es ist nur möglich, wenn ein verbindender Wille wie ein Blitz einschlägt und sämtliche Abteilungen erfasst. Das eigentlich Bemerkenswerte ist, dass das damalige Spannungsverhältnis einen Hitler hervorbrachte und danach sofort zur weisen Mäßigung eines Adenauers fand und auch beide Figuren zur Verfügung standen! Das Einzige, was Hitler und Adenauer gemeinsam haben, könnte man als "katholische Unbefangenheit" bezeichnen.

Ebenfalls damals in Westerland überraschte Vati, der Lautsprecher hasste wie die Pest, mich bei einer Veranstaltung im Freien mit den irritierten, ein rührendes widerwilliges Unbehagen artikulierenden Worten "Ohne Lautsprecher wäre das alles damals nicht möglich gewesen". Er war damals 78 Jahre alt und glücklich.

Mutti beobachtete, dass es nach dem Krieg Hitlers Gegnern nicht gut erging, während seine Anhänger Ansehen genaßen und schloss daraus allen Ernstes auf göttliche Fügung und bestätigenden göttlichen Ratschluss. Den rasenden Hass gegenüber Juden, der das Thema Juden in ihr entfesseln konnte, habe wahrscheinlich nur ich erlebt.

Sie lebte in Berlin, am 9. November 1938. Merkwürdigerweise habe ich nie erfahren, wo sie zur Kirche ging damals in Berlin. Der Bekennenden Kirche stand sie natürlich ablehnend gegenüber.

Meine Konfirmation ist eine Erinnerung fast ungetrübter Heiterkeit, obwohl mich mein Bruder bereits im Jahr zuvor verstoßen hatte (Kindermund tat Wahrheit kund) und sich recht kühl bei diesem Anlass gab. Sogar Mutti viel auf, dass etwas nicht stimmte (und suchte die Ursache bei meiner Schwägerin). Erst ein Jahr später gelangte wirklich Unseliges in mein Leben, als Vati das, was wir in der Schule lernten, zur Propagandalüge erklärte.

7 Kommentare:

  1. "Oder hätte der Papst, geschehe was da wolle, diese klaren Worte aussprechen müssen?"

    Da muß man mal die Jahrhunderte an sich vorüberziehen lassen und dabei die Kette der Versager an der Spitze der Kirche betrachten. Unglaublich. Und daß dies kein Ende findet! Unglaublich. Die Kirche etwas Heiliges und zu bewahrendes, weil Leib Christi? Da muß man erst mal drauf kommen. Der Freibrief für Schindluder schlechthin, wie man in Deutschland aktuell wieder erfahren darf.

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  2. Ja, lieber cs, das ist wohl der Nachteil von Doppelbödigkeit und Elastizität. Ich freue mich natürlich über Ihre Wut. Deswegen hat man als Deutscher oder Lutheraner ja so große Schwierigkeiten, die positiven, aktuellen Aspekte dieser Kirche auch nur zu sehen. Erst recht, wenn man beides ist.

    Schade, dass Kardinal Tonini nie in eine deutsche Talkshow eingeladen wird. Er ist eigentlich einer der wenigen Italiener - von denen es vor dem Krieg mehr gab - , die gut deutsch sprechen. Luther sagte ja nicht ohne Grund "In der Woche zwier schadet weder dir noch mir", und so gibt es jetzt geschiedene Landesbischöfinnen auch, und ich glaube, dass es wahrschlich gerade die Kinder sind, die Paul Schulz davon abgebracht haben, weiter an Gott festzuhalten. Dass Kinder von Pastoren nicht selten mit ihrer Herkunft Probleme hatten, beobachtete er vielleicht rechtzeitig bei Kollegen, und Gudrun Ensslin schied ja etwa zu dem Zeitpunkt aus dem Leben, als Schulz anfing zu predigen.

    Ob es viele Nieten unter den Päpsten gab, kann ich nicht beurteilen. Es scheint mir unwahrscheinlich, weil eine Institution sich nicht halten kann, wenn sie von Nieten geführt wird, die nie zurücktreten und nicht abgewählt werden können. Und diese Kirche ist die älteste Institution der Welt. Das muss ihr erst mal jemand nachmachen.

    Pius XII war nicht der Versager, als den wir ihn sehen, oft ohne auch nur eine einzige kompetente Zeile über ihn gelesen zu haben, nur weil wir an Päpste wie selbstverständlich übermenschliche, unweltliche Maßstäbe setzen: ich rede auch von mir selbst; ich verurteilte ihn einem Prinzip gemäß, das uns alle zu verbinden scheint, a priori, fand es toll, dass Hochhuth "Der Vikar" geschrieben hatte und bekräftigte die gehässigen Bemerkungen jüdischer Freunde. Aber so grob geschnitzt ist die Realität nicht.

    Luther schrieb seine Lehre von den zwei Reichen auch nur, weil es einen Kaiser mit einem Reich gab (und schaute dabei stur darüber hinweg, dass die Türken in Wien das Kaffeetrinken einführen wollten). Nach dem 30-jährigen Krieg war es aber kaputt!

    Und das larmoyante Bild, das wir von den Kreuzzügen haben, macht uns in sofern Ehre, als es ein Beispiel dafür ist, wie stark im Abendland die Neigung zu Selbstkritik, zur Kritik der eigenen Kultur ist. Ich empfehle aber bei einer Tasse Tee auch ab und zu mal Torquato Tasso zu lesen und darauf zu achten, ob andere Kulturen auch so selbstkritisch sind.

    Kirchen können nur etwas Ungefähres sein, eine Annäherung, die der Glaubenswillkür entgegentritt. Sie sind Symbole unserer Unzulänglichkeit.

    Es ist immer ein intellektuelles Abenteuer, sich die Welt mit den Augen der Anderen anzusehen. Audiatur et altera pars.
    Shakespeare sagte schon, Deutschland sei nicht das Land des "aut aut", sondern des "Sowohl als auch".

    Ich glaube, dass es einen hochintelligenten Katholiken gibt, dessen Lektüre sie stimulierend fänden. Nein, nicht Ernst Jünger, der im Alter von 102 Jahren übertrat, auch nicht Henry Furst, der mit 60 noch ein Studium in katholischer Theologie abschloss und ebenfalls konvertierte oder Vittorio Messori oder Massimo Introvigne, die ja sowieso Italiener sind, sondern Gilbert Keith Chesterton.

    Siehe auch

    http://persciun.blogspot.com/2010/03/die-kunst-ein-dickes-schiff.html

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  3. Wir halten es für selbstverständlich, dass Schulz Schulz ist und als großer Gegenspieler und Antidot der Religion, der evangelischen Kirche im Besonderen und der katholischen im Speziellen anzusehen ist.

    Aber wenn Paul Schulz in zehn oder zwanzig Jahren trotzdem zum Katholizismus übertritt, wird es eine Hand voll Leute geben, die sich nicht darüber wundern werden.

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  4. warum auch. Die Angst vor dem Tod ist der Hauptgrund für einen solchen Schritt.

    "Nieten unter den Päpsten": Ich bitte Sie, in vergangenen Zeiten gab es nicht nur Nieten sondern auch Halunken.

    "Tonini" kenn ich nicht, jedoch Schönborn. Aber so jemand wird eben nicht Papst.

    "Chesterton". Danke für die Empfehlung, aber ich bin vor einem Jahr zum zweiten Mal in meinem Leben aus der Kirche ausgetreten und will mich jetzt für den Lebensrest mehr dem Rationalen zuwenden. Glauben war für mich wie eine Fußkette.

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  5. Verzeihung, falls ich unbedacht schmerzende Wunden berührt habe. Mir ist Rationalität ja auch lieber als lutheroide Dogmatik, die sich hinter verquaster Pseudorationalität versteckt. Deswegen stimme ich ja auch zu 95% mit Schulz überein. Ich bin nur den restlichen 5% gegenüber skeptisch. Schulzs Absicht ist gut, aber wenn die Erwartungen so hoch sind, ist das Ergebnis am Ende etwas ganz anderes als die Absicht. Schulz ist gut für den Hausgebrauch und als Orientierungshilfe in einer Übergangszeit.

    Aber es ist nichts gewonnen, wenn die Halunken in Zukunft im Namen von Sokrates und John Lennon Halunken sein werden und nicht mal mehr ein altes Symbol der Unzulänglichkeit existiert.

    Mehr als Symbol der Unzulänglichkeit kann keine Kirche sein, und die Rationalität kann nicht einmal das, vor allem, wenn sie die Unterscheidbarkeit zwischen Glauben und Wissen beeinträchtigt. Schulz versucht ja auch entschieden, diese Unterscheidung aufrecht zu erhalten und klar zu stellen, dass er einen Glauben vertritt. Er spricht ausdrücklich von "Atheistischer Glaube als existentielle Entscheidung". Für mich hört sich das bloß arg nach Regen und Traufe an, nach gehupft und gesprungen, Original und Fälschung, ineffabilis und dicibilis,Fußkette und Handschelle. Ich bin skeptisch.

    Es ist nicht die Angst vor dem Tod! Das ist wirklich ein Trugschluss. Marx kommt mit seinem Opium-Bild der Sache schon näher, so abwegig auch das ist. Es stimmt auch, dass das Thema mit dem Bewusstsein des Todes zu tun hat, vor allem aber mit dem Bewusstsein der Dürftigkeit unseres Bewusstseins. Es geht letztlich um poetische Darstellung der Banalität. Wie in der islamischen Architektur und der Göttlichen Kommödie. Mein Blickwinkel ist kulturanthropologisch und könnte nicht abgeklärter sein. Bei Schulz schimmert der Versuch poetischer Darstellung des Banalen immer wieder mal lutherisch durch.

    Ich nehme gar nicht so gern Partei für die Religionen, die mir vorkommen wie alte Schiffe, die an allen Ecken und Enden lecken, ich teile bloß nicht den Hohn und die Schadenfreude, mit der man ihr Sinken herbeisehnt und ihre gespreizten Gesten verspottet und auf die Absurdität ihrer absurden Plots deutet. Obwohl ich von einer Kirche ein bisschen mehr erwarte als von einer Operette. Jedenfalls ist mir jede Sektiererei befremdlich, und Schulz ist nicht ganz frei davon.

    In den 80-ern veranstaltete Woytila das erste Mal eine Begegnung mit anderen Religionen in Assisi. Damals dachte ich überrascht "Donnerwetter, nach Außen offen und nach Innen streng. Der Mann hat begriffen, wie er seine Einrichtung am Leben erhalten kann, und er weiß auch, dass es das Ende seiner Kirche wäre, wenn sie sich Meinungsumfragen anpassen würde, statt sich gezielt dagegen zu stemmen." Carlo Maria Martinis Chancen standen auch nicht schlecht! Er ist der progressivste aller Kardinäle. Er litt aber schon an Parkinson und hatte zu verstehen gegeben, dass er eine Wahl ohnehin nicht angenommen hätte. Der nächste Papst wird vielleicht schon ein Afrikaner sein.

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  6. "Mehr als Symbol der Unzulänglichkeit kann keine Kirche sein, und die Rationalität kann nicht einmal das..."

    So habe ich es auch immer gesehen. Und seitdem ich die Fußfessel los bin, sage ich mir: die Rationalität wollen, wissend, daß sie vorläufig ist, aber immerhin schon weiter als gestern und vorgestern. Vor allem ist die Rationaität ein offener Prozeß und kein geschlossenes System. Naja, man könnte endlos darüber streiten, was zu Missionierung führt, was wir in unserem Alter auch nicht mehr nötig haben...

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  7. Lieber cs, wir konvergieren im Wesentlichen so sehr, dass wir uns durch Beleuchtung aktueller und inaktueller Facetten eher bestätigen als widerlegen, scheint mir.

    Mein Wohlwollen und meine wohlwollende Beachtung und Achtung haben Sie in jedem Fall. Und meine Dankbarkeit für Ihre Aufmerksamkeit und für diese Arbeitsteilung, die ich immer als bereichernde Ergänzung erlebe.

    Ich bin bloß meinen "alloethnischen" Erfahrungen eben auch zur Darstellung verpflichtet und nicht nur meinen eigenen "homöoethnischen", ethnozentrischen preußisch-protestantischen Wurzeln, die ich ebenfalls gerne pflege.

    Außerdem gibt es ja auch angenehme Anekdoten am Rande. Bald ist der 29. März, das war Ernst Jüngers Geburtstag, der aus Anhänglichkeit nie aus der evangeischen Kirche austrat, obwohl er noch an seinem 100. Geburtstag sagte, wenn er es mit Religion probieren wollte, dann mit dem Buddhismus, "aber es geht auch ohne". Zwei Jahre später trat er dann zum Katholizismus über.

    Die Anekdote betrifft einen Priester (der glaube ich auch ein Käfersammler war), der zu seinem Freundeskreis gehörte und einmal an EJs Geburtstag den persönlichen Segen von Papst Hans Paul Woytila dem Zweiten überbrachte. Ich finde, das ist ein schönes Beispiel einer ökomenischen, "monözischen" Geste zwischen zwei Kennern mit großer alloethnischer Erfahrung und großer kulturanthropologischer Urteilskraft.

    In Gedanken an gestern auf Notes & Quotes musste ich mich heute an einen verheirateten Mann erinnern, dem ich aus dem Weg gegangen bin, weil Gattinen leider auch zur Tarnung gehören können. Und die Geschichte von Gerry Adams lässt einen zusammenzucken.

    Die Wirklichkeit ist manchmal unglaublicher (und wirkt unglaubwürdiger) als die trockenste Berichterstattung über die Wirklichkeit. Manchmal kann man durch gewissenhafte Differenzierung gegenüber derselben skeptisch werden und bekommt dann fast Verständnis für die Aktualisierung der Primordialvereinfachung lieber Gott vs böser Teufel.

    Mich laust der Affe, wenn ich zu genau hinsehe beim Beobachten der hominiden Natur.

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