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Mittwoch, 17. März 2010

Kesselring und The Fog of War und der Kulturdarwinismus

In Marktsteft gibt es eine kleine Brauerei, die Kesselring Brauerei.


Manchmal fuhren wir in der Spargelzeit nach Marktsteft, um dort Spargel bei einem Bauern zu kaufen. Jedes Mal erzählte Vati bei dieser Gelegenheit eine Geschichte, die zum Glaubensbekenntnis unserer Familie gehört. Kesselring habe damals in Italien verboten, dass die deutschen Verwundeten Milch bekämen, weil alle Milch auf Kesselrings Befehl hin den "Kindern von Rom" vorbehalten worden sei. Verbittert fügte er hinzu: "Und dafür hat man ihn dann als Kriegsverbrecher verurteilt".

Ich selbst habe diese Geschichte in Italien immer wieder mal erzählt. Sie stößt in einem Land wie Italien, Spanien oder Jugoslawien nur auf ratloseVerständnislosigkeit und lässt den Zuhörern die Haare zu Berge stehen. So unterschiedlich kann Subjektivität sein!

Der Gedanke, dass ausgewachsene Mannsbilder Milch trinken, ist in südlichen Ländern an sich schon lächerlich. Um dies in nördlichen Ländern zu begreifen, muss man sich anscheinend erst mal vor Augen halten, dass die in Nordeuropa seltene Laktoseintolleranz in Südeuropa immerhin 50% der erwachsenen Bevölkerung betrifft und gerade mal einen morgendlichen Cappuccino zulässt.

Abgesehen davon macht Kesselrings rührender Milchbefehl seinen "Bandenbefehl" nicht ungeschehen. Die SS unterstand ihm damals direkt. Kesselring meinte, Italien müsse ihm eigentlich ein Denkmal setzen für all das Gute, das es ihm zu verdanken habe...
Piero Calamandrei kommentierte sarkastisch: "Du wirst es bekommen, Kamerad Kesselring". Das von Calamandrei verfasste Epitaph steht heute in all den Dörfern, in denen damals im Partisanengebiet die Dorfbewohner ohne Ansehen von Alter und Geschlecht zusammengetrieben und niedergemetzelt wurden, um die Bevölkerung der umliegenden Dörfer davon abzuhalten, die Partisanen zu unterstützen.


Selbst 2007 hielt es mein Bruder, der sich sein ganzes Leben lang nie mit diesen Dingen befasst hat, als ich ihn darauf aufmerksam machte, mit welch grausamen Maßnahmen gegen die Zivilbevölkerung die Bekämpfung der Partisanen von statten ging, noch für nötig, mich darüber zu belehren, dass Kesselring ein vorbildlicher Soldat gewesen sei, und ich musste mir als Begründung tatsächlich zum x-ten Mal die Geschichte vom Milchbefehl anhören. Es wäre mir lieber gewesen, der Bruder hätte realistisch konstatiert, dass ein Oberbefehlshaber in einer verzweifelten Lage dazu gezwungen sein kann, aufzuhören, ein "vorbildlicher Soldat" zu sein. Auf dem Ohr bin ich nicht ganz so taub.



McNamara hatte wenigstens den Anstand einzugestehen, dass auch Amerikas Vorgehensweise - zum Beispiel bei der Bombardierung Tokios - die Grenze des Vertretbaren auf eine Weise überschritt, die eigentlich ein Kriegsverbrechen darstellt. Und einzuräumen, dass dem Vietnamkrieg eine Fehleinschätzung zugrunde lag.



Das eigentliche Problem scheint mir jedoch zu sein, dass der damalige und derzeitige Stand der Technik Sachzwänge schafft, die den Handelnden im Ernstfall ein Handeln vorgibt, das den Kaltblütigeren durch seine Entschlossenheit unausweichlich zum Verbrecher macht, so gut seine Absicht auch sein mag. Ernst Jünger stellte verbittert fest, es sei ein Charakteristikum der Epoche, dass die Figur des Soldaten - die er persönlich sehr liebte - der Figur des Verbrechers ähnlich geworden sei. Auch Obama hat gebundene Hände. Wir leben in einer Zeit, in der ein außerordentliches Zerstörungspotential eng mit militärischer Ohnmacht verquickt zu sein scheint.

Die Zeiten, als militärische Übermacht eindeutige Verhältnisse schuf und echte politische Macht bedeutete, sind seit dem Ersten Weltkrieg - bisher immer noch - vorbei. Seit damals ist Sicherheit nicht etwas, was der Sieger im Überfluss besitzt und allen, auch dem Besiegten, gewähren kann, sondern die Obsession gerade der Siegermächte. Als Cato sagte "Cetero censeo Karthaginem delendam esse" konnte er sicher sein, dass eine solche Maßnahme Erfolg hatte, wenn sie nur gelang. Eine Zerstörung ist nur dann nachhaltig erfolgreich, wenn sie so groß ist, wie das Zerstörungspotenzial. Letzteres ist heutzutage aber so groß, dass bisher niemand wagte es nicht nur auszureizen, sondern wirklich ernst zu machen. Unter anderem, weil die Nebenwirkungen und Langzeitwirkungen eines Nuklearkrieges auch für den potentiellen Sieger ein größeres Übel sein könnten, als der Sieg. Aber in den Laboratorien wird daran gearbeitet, diese Nebenwirkungen zu begrenzen. Der Wunsch flächendeckendes Zerstörungspotential anzuwenden könnte irgendwann einen kulturdarwinistischen Cato hervorbringen.

Martin van Crefeld kann nur zwei Beispiele für erfolgreiche Strategie im Kampf gegen entschlossenen Terrorismus nennen. Die eine ist Assads skrupellose Bereitschaft zum Massaker, die dieser nachträglich nicht nur nicht kleinredete, sondern auf seine Fahne schrieb, und die andere Englands Bereitschaft, mehr als drei mal soviel Polizisten zu opfern, als Terroristen der IRA getötet wurden. So hoch ist momentan der Preis der Demokratie: man möchte den Unterschied zwischen Soldat und Verbrecher - dessen Verschwinden Ernst Jünger betrübte - so groß wie möglich halten. 

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