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Samstag, 27. März 2010

Lügen haben manchmal lange Beine - Somnium Scipionis

Dass die Erde im Mittelalter für eine Scheibe gehalten wurde, ist eine der beständigsten Falschmeldungen. Hartnäckig wird an ihr festgehalten und es ist etwas mehr als ein Irrtum. Denn im Brustton der Überzeugung wird diese Falschmeldung aus freien Stücken wie eine Selbstverständlichkeit weitererzählt, womöglich um zu illustrieren, wie dumm die Boshaftigkeit der katholischen Kirche schon immer war. Sozusagen eine Verschwörungstheorie mit zwei Ebenen: es wird nicht nur eine falsche Begründung für eine Tatsache hinzuassoziiert, es wird erst mal die "Tatsache" herbeihalluziniert.

Dass Galileo seine Behauptung, die Erde drehe sich um sich selbst und laufe dabei um die Sonne, widerrufen musste, stimmt allerdings. Auch nicht einfach ein Irrtum, sondern eine Lüge mit ziemlich langen Beinen, und diesmal ist es wirklich die katholische Kirche, die als herrschende Kultur darauf bestand.

Aber Vorsicht. In Wirklichkeit dauerte es selbst bei den Astronomen 100 Jahre bis sich das heliozentrische Weltbild gegenüber dem geozentrischen durchsetzte, weil bestimmte auf dem geozentrischen fußende Berechnungen exaktere Ergebnisse lieferten als die entsprechenden dem heliozentrischen gemäßen (denn man hatte vor Kepler statt elipsenförmigen Bahnen bei den Berechnungen kreisförmige zugrunde gelegt).

Daran, dass die Erde eine Kugel ist, hat die Kirche jedoch nie ernsthaft gezweifelt, zumindest scherte es sie nicht, was von Experten darüber gelehrt wurde, obwohl schon zu Aristarchs Zeit der Heliozentrismus als "antireligiös" bezeichnet wurde. Es gibt zwar einiges an Erkenntnissen der Antike, was während des Mittelalters vergessen wurde - vor allem die wissenschaftliche Methode der ständigen Überprüfung und Infragestellung auch der eigenen Denkschule, Methode, die auf Thales zurückgeht, erst Galileo wieder einführte und für das Abendland typisch ist - aber die Kugelgestalt der Erde wurde nie vergessen, obwohl uns manchmal jemand erklärt, die herrschende Kultur habe verhindert, dass Küstenbewohner aus dem allmähligen Auftauchen von Mastspitze, Mast, Aufbauten und Schiffskörper die richtigen Schlüsse zogen.

Der erste, der die Kugelgestalt erkannt und gelehrt hat, war Aristarch von Samos im 3. Jahrhundert v.Chr. Fast gleichzeitig berechnete Eratosthenes den Erdumfang mit äußerster Genauigkeit! Aber mindestens 200 Jahre vorher gingen schon die Pythagoräer davon aus, die Erde sei eine Kugel und dachten sich ein Sphärenmodell aus.

Globus

Reichsapfel

Spätestens seit etwa 200 vor Christus - also  kurz nach dem 2. Punischen Krieg, um einen Anhaltspunkt auf der Zeitskala zu nennen - gab es keine gebildete Familie (zumindest im Mittelmeerraum) mehr, die nicht wusste, dass die Erde eine Kugel ist. Ironischer Weise ging Aristarch sogar davon aus, dass die Erde um die Sonne kreise und nicht umgekehrt, wie Ptolemäus erst Jahrhunderte später behauptete und als Weltanschauung durchsetzte, die eineinhalb Jahrtausende galt (bei allem Respekt für die Leistungen unserer Wissenschaft sollte uns diese Tatsache eine Lehre darüber sein, wie leicht sich optische Täuschungen durch Fokalisierung der Aufmerksamkeit durchsetzen können - auch im Hinblick auf Leute wie Kary Mullis).

Es gibt von Cicero eine Beschreibung einer Raumfahrt. Wirklich! Es handelt sich um den abschließenden Teil seiner Abhandlung "De re publica", dort wird ein Traum von Scipio Africanus dem Jüngeren beschrieben. Die Beschreibung ist geozentrisch (ich weiß nicht weshalb), aber sie erinnert an Bilder von Space Night. Im Ernst! Sogar die Polkappen und der Hitzegürtel, der sie trennt, wird beschrieben. Das Vorspiel im Himmel im Faust knüpft direkt daran an mit seinem pythagoreischen Drönen, das auch Cicero beschreibt. Auch Dante knüpfte vorher schon an Ciceros Bilder an. Und Dante malt noch ein mittelalterliches Bild.

Auch Michael Kunzes gestrige Eintragung steht in einer Reihe mit diesen Vorgeschichten. Es handelt sich aber nicht um ein Anknüpfen an die Worte von Scipio Africanus dem Älteren, auch wenn es so aussehen könnte, sondern es kommt etwas allgemein Menschliches zum Ausdruck, dem die einstige Bildhaftigkeit sozusagen durch die Night Space Bilder unserer Zeit wie durch einen Lichtfilter weggefiltert wurden. Das Existentielle Wirken tritt hierdurch nicht als Form hervor, sondern nur noch als Formel. Das ist der Stil einer Epoche, der es noch nicht wieder gelingt, allegorisch zu denken und darzustellen. So halb und halb: immerhin enthält das von Michael Kunze angebotene Zitat assoziative Entsprechungen zwischen Bild und Sternenbild, ohne sich dabei der Astrologie zu überantworten. Aber wo ist die Unbefangenheit, mit der Goethe über Widersprüche hinwegging und vom ptolemäischen Weltbild einer ruhenden Erde ins Keplersche hineinspringt: "Und schnell und unbegreiflich schnelle, dreht sich umher der Erde Pracht.", so ganz ohne Anthropozentrismus und unangemessenen Ahnenkult?

http://storyarchitekt.blogspot.com/2010/03/lebende-tote.html

Auch Kant sagte etwas zu diesem Allgemeinmenschlichen, und zum Pendeln zwischen Ferne und Nähe, zwischen Himmel und Theater des Lebens.
"Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: der gestirnte Himmel über mir und das moralische Gesetz in mir. Beide darf ich nicht als in Dunkelheiten verhüllt oder im Überschwänglichen außer meinem Gesichtskreis suchen und bloß vermuten. Ich sehe sie vor mir und verknüpfe sie unmittelbar mit dem Bewusstsein meiner Existenz."

2 Kommentare:

  1. Happy birthday to epitimaios. Obwohl es etwas ungemuetlich ist, einem anonymen aber sympathischen kompendium dies zu wuenschen. Gleichwohl von herzen!

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