Stationen

Dienstag, 7. Oktober 2014

Alles für die Katz?

5. September 2014

Zunächst einmal ist all jenen beizupflichten, die erklären, man könne sich seit Ausbruch des Bürgerkrieges in der Ukraine das russische Staatsfernsehen ersparen, weil es überwiegend Proganada sende. Freilich sollte man sich aus vergleichbaren Gründen auch das Gros der deutschen TV-Beiträge zum Thema schenken – wobei die staatlich autonomen Russen immerhin noch verlässlich russische Propaganda verbreiten, die in allerlei geschichtsendzielnahe Bündnissysteme einbalsamierten Deutschen aber meist bloß amerikanische. Überall marschieren die deutschen Cheerleader des Transatlantikerwesens auf und wedeln mit ihren von den Bilderbergern und subalterneren Clubs verteilten Puscheln, allenthalben will man uns einreden, dass es keineswegs dasselbe sei, wenn Russen und Amis dasselbe tun, vor allem in den angeblich konservativeren Medien, denn ein von den USA getrennter Konservatismus ist im Lande der zweittreuesten europäischen Vasallen Amerikas anscheinend nicht mehr vorstellbar. Die interessantesten Artikel zur Ukraine liest unsereins heute in der Linkspresse.


In den deutschen Funktionseliten indes gehört die Amerikatreue so fest zum Kodex wie die Treue zum Paten in einem Mafiaclan, und wenn ehemalige Linke wie Fischer oder Trittin endlich an den Katzentisch der Gewaltigen geladen werden, platzen sie so vor Stolz, Obrigkeitszugehörigkeitsgefühl und heiligem Durchblick, dass sie ihre Vergangenheit prompt vergessen und nunmehr glühender Wange dem neuen Messias folgen.

(Am Rande gefragt: Warum verhängte die EU nach dem Überfall auf den Irak anno 2003 eigentlich keine Sanktionen gegen Amerika?)




(auf 35. Minute achten: die Europäer wollten keine Sanktionen beschließen, aber sie gehorchten)


Insofern war es durchaus amüsant, als in der gestrigen Plauderrunde des Herrn Beckmann ein leitender Welt-Mitarbeiter seinem russischen Konterpart, einem Nachrichtenagentur-Chef, versicherte, der Unterschied zwischen ihnen beiden bestünde darin, dass er, Putin-Mann, ein Propagandist sei, während er, Welt-Mann, den Titel Journalist führe. Wozu man wissen muss, dass jeder Mitarbeiter des Springer-Verlages beim Eintritt in sein Arbeitsverhältnis einen Gesinnungspassus unterschreiben muss (ich tat es 1990 selber), welcher ihn unter anderem dazu verpflichtet, das transatlantische Bündnis zu unterstützen. Dass unser Journalist den Leuten weismachen will, er vertrete die objektive Seite der Berichterstattung, weil er eben der besseren Weltordnung angehöre, mag, was ihn persönlich angeht, zynisch oder glaubensdurchglüht sein, ganz sicher ist es ein Symptom der im Westen vorherrschenden und die westliche Diplomatie durchsetzenden Überzeugung der eigenen moralischen Überlegenheit, ja Höherwertigkeit. Die meisten deutschen Offiziellen, Politikprofessoren und deren journalistischen Appendixe scheinen sich für Länder wie Russland keine andere Option vorstellen zu können, als den Weg der westlichen sogenannten Demokratien zu gehen, obwohl keiner weiß, was von denen in 50 Jahren übriggeblieben sein wird. Mit dieser blasierten Voreingenommenheit pro domo lässt sich natürlich keine sinnvolle Außenpolitik betreiben, sondern nur eine Art Moralexport, dessen Adressaten empörenderweise oft die Annahme verweigern. Aber Staaten sind keine moralischen Anstalten, sondern Träger von Interessen. Die Ukraine mag das Interesse gewisser nicht ungefährlicher geopolitischer Spinner aus Übersee berühren – in Zbigniew Brzezinskis Buch „Die einzige Weltmacht“ aus dem Jahr 1997 wird das Land direkt nach Russland und China am häufigsten erwähnt –, deutsche Interessen finden sich dort jedenfalls nicht. Im deutschen Interesse liegen dagegen gute Beziehungen zu Russland. Ein EU-Beitritt der Ukraine hätte für Deutschland die definitive Störung der Beziehungen zu Russland und Transferleistungen in Abermilliardenhöhe zur Folge (auf der Habenseite immerhin neue Nutten für die Paolo Pinkels dieser Republik und weitere Auftrittsgelegenheiten für Bundesfreiheitsbuffo Gauck), während die Amerikaner mehrere Fliegen mit einer Klappe schlügen: Die Europäer verstreiten sich ultimativ mit den Russen und tragen die wirtschaftlichen Folgen, von denen die USA vollkommen unberührt bleiben, während sich das politisch-militärische Einflussgebiet der Amerikaner im heiklen einstigen Süden der Sowjetunion erweitert; zugleich verschwände das ohnedies schwächliche Gespenst einer Achse Paris-Berlin-Moskau, an dessen Exorzierung unsere Transatlantiker bekanntermaßen mit ähnlichem Eifer arbeiten wie die katholische Kirche an der Exorzierung Satans.

Und Russland? Ach, Russland...

 Nachtrag: Natürlich erstreckt sich der westliche Moralexport- und Demokratisierungs-Messianismus auch auf den Orient. Sowohl für Afghanistan als auch für den Irak nahmen die Amerikaner offenbar an, die Menschen dortzulande hätten nichts stärker im Sinne, als ebenfalls amerikanisiert und verwestlicht zu werden. Auch hier verschmolz also Realpolitik mit einer Mischung aus Hochmut und Ignoranz gegenüber den Sitten und der Mentalität der Eingeborenen, den frühere Eroberer nicht kannten. Als Napoleon etwa 1798 seinen Ägyptenfeldzug begann, hatte er fast alle Bücher der 1797 von den Franzosen erbeuteten und aus Mailand nach Paris geschafften berühmten ambrosianischen Bibliothek gelesen, die von orientalischen Belangen handelten; zumindest tragen fast alle diese Bücher Anmerkungen von seiner Hand. Zu seinen Männern sagte er noch auf hoher See: „Soldaten! Ihr steht im Begriffe, eine Eroberung zu machen, deren Folgen für die menschliche Kultur und den Handel der Welt unberechenbar sind. (...) Die Völker, mit denen wir zusammentreffen werden, behandeln die Frauen anders als wir; gleichwohl ist, wer ihnen Gewalt antut, überall ein Scheusal. Plünderung bereichert nur wenige, entehrt alle, zerstört die Hilfsquellen und macht uns denen verhasst, die zu Freunden zu haben unser Interesse erfordert. Die erste Stadt auf unserem Weg hat Alexander errichtet. Bei jedem Schritt werden wir Erinnerungen großer Taten begegnen, würdig von Franzosen nachgeahmt zu werden.“

Als die Franzosen im Juli 1798 Alexandria genommen hatten, erließ Napoleon seine erste Proklamation in arabischer Sprache an die Einheimischen. Darin versicherte er, als Freund des Sultans gekommen zu sein, um das ägyptische Volk von der Tyrannei der Mamelucken zu befreien.  Er pries Allah, bekundete seine Verehrung des Korans, erklärte sich und seine Armee zu „wahren Muselmanen“. In seinem Tross befanden sich zahlreiche Wissenschaftler und Gelehrte. Bereits am 19. August rief Bonaparte das Ägyptische Institut ins Leben, er selbst wurde dessen Vizepräsident. – Viele heutige westliche Politiker glauben nicht mit heimlichem bonapartistischen Pragmatismus, sondern mit der ideologischen Vernageltheit von Sowjetkommissaren an die Höherwertigkeit des von ihnen repräsentierten Gesellschaftsmodells und sprechen mit den Vormodernen und Nochtnichtsoweitgekommenen bevorzugt von oben herab. Nur im eigenen Land kommt es zu einer paradoxen Umkehrung, dort richtet man sich mit pädagogischer Attitüde an die eigene Bevölkerung und mahnt zu mehr Toleranz bei der Aufnahme von vormodernen Fremden, bei denen man aber ebenfalls voraussetzt, dass sie nichts mehr wünschten, als nach westlichen Maßstäben zu leben. Dominanz macht dumm; diese Lektion wird der Westen in den nächsten Jahrzehnten schmerzlich lernen müssen.


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