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Freitag, 17. Oktober 2014

Die Hybris deutscher Hirnforscher

Äääääächz... Nur eine Gruppe deutscher Hirnforscher konnte auf die Schnapsdee kommen, dass wir 1. nicht nur keinen freien Willen haben (die Gegenwart betreffend), sondern 2. nicht mal so etwas wie ein gutes Gedächtnis bei schlechtem Gewissen, womöglich sogar ein ehrliches, gewissenhaftes und aus Wahrhaftigkeit sich speisendes Gedächtnis (die Vergangenheit betreffend) existieren kann, insofern "das Gehirn" sich beim Vorgang des Erinnerns seine Erinnerungen immer wieder neu erschafft: wir erzählen uns selbst immer wieder von neuem unsere Erlebnisse, und passen unsere Erinnerungen unseren Wünschen an, die auch bei diesem Nach-Denken die Eltern unserer Gedanken sind... Um diese Binsenweisheit zu erkennen, braucht man nicht Hirnforscher zu werden oder Goethe zu sein.

"Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit
sind uns ein Buch mit 7 Siegeln.
Was Ihr den Geist der Zeiten heißt,
das ist im Grund der Herren eigner Geist,
in dem die Zeiten sich bespiegeln."

Dass diese Hirnforscher, die ihre "Erkenntnisse" über den freien Willen zum Anlass nehmen, um gegen den Schuldbegriff an sich ihre bunten Kern-Spin-Tomographien ins Feld zu führen und eine Reform des Strafgesetzbuches fordern, gleichzeitig aber für Verantwortung (also einer geistigen Verfassung, die in noch höherem Maß als die Schuldfähigkeit einen freien Willen voraussetzt) plädoyieren, ist besonders albern.

Ich werde übrigens den Gedanken nicht los, dass diese deutschen Hirnforscher tatsächlich keinen freien Willen haben und ihrer "wissenschaftlichen" Theorie ein schmachtender Wunsch nach Generalamnestie für die deutschen Verbrechen zwischen 1933 und 1945 zugrunde liegt. Jedenfalls ist ihre Delegitimierung des menschlichen Gedächtnisses eine Ohrfeige für alle Auschwitzüberlebenden, die die Kraft fanden, über das, was sie erlebten, zu berichten.



Schön, dass Klonovsky diejenigen geißelt, die gerne und eifrig alles Deutsche in den Schmutz ziehen. Noch schöner aber ist, dass er, wo ich voller Argwohn tatsächlich einmal deutschen Schmutz als einen der unbewussten Beweggründe wittere, zusätzliche, ganz andere, ebenso stichhaltige Argumente gegen die peinliche Selbstüberschätzung der Singer, Prinz und Roth nennt.



18. August 2014Die Hirnforschung verdient allein deswegen Anerkennung, weil es sich bei ihr um die größte Sisyphosiade der menschlichen Erkenntnisgeschichte handelt, denn dieser Wissenschaftszweig erkundet ja die komplexeste uns bzw. dem Gehirn bekannte Struktur im Universum. Kein Forschungszweig weiß weniger von seinem Gegenstand und sieht sich außerdem mit der paradoxen Situation konfrontiert, dass Forschungssubjekt und Forschungsobjekt in einem solchen Maße übereinstimmen. Kant hat das Problem in seiner "Kritik der reinen Vernunft" vorformuliert: "Die menschliche Vernunft hat das besondere Schicksal in einer Gattung ihrer Erkenntnisse: daß sie durch Fragen belästigt wird, die sie nicht abweisen kann, denn sie sind ihr durch die Natur der Vernunft selbst aufgegeben, die sie aber auch nicht beantworten kann, denn sie übersteigen alles Vermögen der menschlichen Vernunft."

Es ist also in gewisser Weise folgerichtig, dass manche Neurophysiologen im schwer erforschlichen Superkomplexen die Ursache sämtlicher menschlicher Verhaltensweisen und Problemstellungen erblicken wollen, vergleichbar vielleicht dem Alldeutungsanspruch der Psychoanalyse nach der Entdeckung des Unbewussten. Von diesen Wissenschaftlern und ihren publizistischen Herolden stammt die inzwischen zum populärwissenschaftlichen Gemeingut gewordene Maxime: Das Gehirn leistet alles, der restliche Mensch ist nur der angeschlossene, die Befehle der Zentrale ausführende Apparat. Ein dieser reinen Lehre seiner Zunft folgender Wissenschaftler müsste konsequenterweise glauben, dass, theoretisch, ein Mensch, dem man ein neues Gehirn transplantierte, vollends zu jenem Subjekt würde, dem das Gehirn zuvor eignete.


In den nämlichen Zusammenhang gehört auch die absurde Behauptung einzelner Neurophysiologen, der Mensch besäße keinen freien Willen, die sich allein schon deswegen ad absurdum führt, weil sie niemand aufstellen könnte, wenn sie zuträfe. Eine derartige Überzeugung passt aber sehr gut in die Ära gehirnartiger Maschinen, die uns das Rechnen und eines Tages sogar das Denken abnehmen sollen. Aber so modern sich diese Auffassung vom Gehirn gibt, sie sitzt einem der ältesten abendländischen Irrwege auf: der Fragmentierung des Menschen. Deswegen sind auch sämtliche Experimente der Hirnforschung fragwürdig, solange dort ganze Menschen agieren, aber ausschließlich deren Hirnaktivitäten gemessen und untersucht werden. Der Mensch denkt mit dem Gehirn, gewiss, aber es ist nicht das Gehirn, sondern der gesamte Mensch, der Entscheidungen trifft und handelt. Die Bauchentscheidung ist die Nagelprobe der Hirnforschung. Das Gehirn fühlt nicht. Das Gehirn begehrt nicht. Es ist an der Liebe beteiligt, aber es liebt nicht. Das Herz bricht, nicht das Hirn. Der Schreck fährt in alle Glieder, nicht nur ins Hirn. Der Kummer nistet in den Eingeweiden. Es ist der Mensch, der stolz ist oder zornig oder traurig oder Angst empfindet, keineswegs nur sein Gehirn. Der Mensch ist ein Ganzes; wer nur einen Teil von ihm untersucht, und sei es der Allerkomplexeste, wird ihm niemals gerecht.  

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