5. September 2014
Zunächst einmal ist
all jenen beizupflichten, die erklären, man könne sich seit Ausbruch des
Bürgerkrieges in der Ukraine das russische Staatsfernsehen ersparen,
weil es überwiegend Proganada sende. Freilich sollte man sich aus
vergleichbaren Gründen auch das Gros der deutschen TV-Beiträge zum Thema
schenken – wobei die staatlich autonomen Russen immerhin noch
verlässlich russische Propaganda verbreiten, die in allerlei
geschichtsendzielnahe Bündnissysteme einbalsamierten Deutschen aber
meist bloß amerikanische. Überall marschieren die deutschen Cheerleader
des Transatlantikerwesens auf und wedeln mit ihren von den Bilderbergern
und subalterneren Clubs verteilten Puscheln, allenthalben will man uns
einreden, dass es keineswegs dasselbe sei, wenn Russen und Amis dasselbe
tun, vor allem in den angeblich konservativeren Medien, denn ein von
den USA getrennter Konservatismus ist im Lande der zweittreuesten
europäischen Vasallen Amerikas anscheinend nicht mehr vorstellbar. Die
interessantesten Artikel zur Ukraine liest unsereins heute in der
Linkspresse.
In den deutschen Funktionseliten indes gehört die
Amerikatreue so fest zum Kodex wie die Treue zum Paten in einem
Mafiaclan, und wenn ehemalige Linke wie Fischer oder Trittin endlich an
den Katzentisch der Gewaltigen geladen werden, platzen sie so vor Stolz,
Obrigkeitszugehörigkeitsgefühl und heiligem Durchblick, dass sie ihre
Vergangenheit prompt vergessen und nunmehr glühender Wange dem neuen
Messias folgen.
(Am Rande gefragt: Warum verhängte die EU nach dem
Überfall auf den Irak anno 2003 eigentlich keine Sanktionen gegen
Amerika?)
(auf 35. Minute achten: die Europäer wollten keine Sanktionen beschließen, aber sie gehorchten)
Insofern war es durchaus amüsant, als in der gestrigen Plauderrunde des Herrn Beckmann ein leitender Welt-Mitarbeiter
seinem russischen Konterpart, einem Nachrichtenagentur-Chef,
versicherte, der Unterschied zwischen ihnen beiden bestünde darin, dass
er, Putin-Mann, ein Propagandist sei, während er, Welt-Mann,
den Titel Journalist führe. Wozu man wissen muss, dass jeder Mitarbeiter
des Springer-Verlages beim Eintritt in sein Arbeitsverhältnis einen
Gesinnungspassus unterschreiben muss (ich tat es 1990 selber), welcher
ihn unter anderem dazu verpflichtet, das transatlantische Bündnis zu
unterstützen. Dass unser Journalist den Leuten weismachen will, er
vertrete die objektive Seite der Berichterstattung, weil er eben der
besseren Weltordnung angehöre, mag, was ihn persönlich angeht, zynisch
oder glaubensdurchglüht sein, ganz sicher ist es ein Symptom der im
Westen vorherrschenden und die westliche Diplomatie durchsetzenden
Überzeugung der eigenen moralischen Überlegenheit, ja Höherwertigkeit.
Die meisten deutschen Offiziellen, Politikprofessoren und deren
journalistischen Appendixe scheinen sich für Länder wie Russland keine
andere Option vorstellen zu können, als den Weg der westlichen
sogenannten Demokratien zu gehen, obwohl keiner weiß, was von denen in
50 Jahren übriggeblieben sein wird. Mit dieser blasierten
Voreingenommenheit pro domo lässt sich natürlich keine
sinnvolle Außenpolitik betreiben, sondern nur eine Art Moralexport,
dessen Adressaten empörenderweise oft die Annahme verweigern. Aber
Staaten sind keine moralischen Anstalten, sondern Träger von Interessen.
Die Ukraine mag das Interesse gewisser nicht ungefährlicher
geopolitischer Spinner aus Übersee berühren – in Zbigniew
Brzezinskis Buch „Die einzige Weltmacht“ aus dem Jahr 1997 wird das Land
direkt nach Russland und China am häufigsten erwähnt –, deutsche
Interessen finden sich dort jedenfalls nicht. Im deutschen Interesse
liegen dagegen gute Beziehungen zu Russland. Ein EU-Beitritt der Ukraine
hätte für Deutschland die definitive Störung der Beziehungen zu
Russland und Transferleistungen in Abermilliardenhöhe zur Folge (auf der
Habenseite immerhin neue Nutten für die Paolo Pinkels dieser Republik
und weitere Auftrittsgelegenheiten für Bundesfreiheitsbuffo Gauck),
während die Amerikaner mehrere Fliegen mit einer Klappe schlügen: Die
Europäer verstreiten sich ultimativ mit den Russen und tragen die
wirtschaftlichen Folgen, von denen die USA vollkommen unberührt bleiben,
während sich das politisch-militärische Einflussgebiet der Amerikaner
im heiklen einstigen Süden der Sowjetunion erweitert; zugleich
verschwände das ohnedies schwächliche Gespenst einer Achse
Paris-Berlin-Moskau, an dessen Exorzierung unsere Transatlantiker
bekanntermaßen mit ähnlichem Eifer arbeiten wie die katholische Kirche
an der Exorzierung Satans.
Und Russland? Ach, Russland...
Nachtrag: Natürlich erstreckt sich der westliche Moralexport- und
Demokratisierungs-Messianismus auch auf den Orient. Sowohl für
Afghanistan als auch für den Irak nahmen die Amerikaner offenbar an, die
Menschen dortzulande hätten nichts stärker im Sinne, als ebenfalls
amerikanisiert und verwestlicht zu werden. Auch hier verschmolz also
Realpolitik mit einer Mischung aus Hochmut und Ignoranz gegenüber den
Sitten und der Mentalität der Eingeborenen, den frühere Eroberer nicht
kannten. Als Napoleon etwa 1798 seinen Ägyptenfeldzug begann, hatte er
fast alle Bücher der 1797 von den Franzosen erbeuteten und aus Mailand
nach Paris geschafften berühmten ambrosianischen Bibliothek gelesen, die
von orientalischen Belangen handelten; zumindest tragen fast alle diese
Bücher Anmerkungen von seiner Hand. Zu seinen Männern sagte er noch auf
hoher See: „Soldaten! Ihr steht im Begriffe, eine Eroberung zu machen,
deren Folgen für die menschliche Kultur und den Handel der Welt
unberechenbar sind. (...) Die Völker, mit denen wir zusammentreffen
werden, behandeln die Frauen anders als wir; gleichwohl ist, wer ihnen
Gewalt antut, überall ein Scheusal. Plünderung bereichert nur wenige,
entehrt alle, zerstört die Hilfsquellen und macht uns denen verhasst,
die zu Freunden zu haben unser Interesse erfordert. Die erste Stadt auf
unserem Weg hat Alexander errichtet. Bei jedem Schritt werden wir
Erinnerungen großer Taten begegnen, würdig von Franzosen nachgeahmt zu
werden.“
Als die Franzosen im Juli 1798 Alexandria genommen
hatten, erließ Napoleon seine erste Proklamation in arabischer Sprache
an die Einheimischen. Darin versicherte er, als Freund des Sultans
gekommen zu sein, um das ägyptische Volk von der Tyrannei der Mamelucken
zu befreien. Er pries Allah, bekundete seine Verehrung des Korans,
erklärte sich und seine Armee zu „wahren Muselmanen“. In seinem Tross
befanden sich zahlreiche Wissenschaftler und Gelehrte. Bereits am 19.
August rief Bonaparte das Ägyptische Institut ins Leben, er selbst wurde
dessen Vizepräsident. – Viele heutige westliche Politiker glauben nicht
mit heimlichem bonapartistischen Pragmatismus, sondern mit der
ideologischen Vernageltheit von Sowjetkommissaren an die Höherwertigkeit
des von ihnen repräsentierten Gesellschaftsmodells und sprechen mit den
Vormodernen und Nochtnichtsoweitgekommenen bevorzugt von oben herab.
Nur im eigenen Land kommt es zu einer paradoxen Umkehrung, dort richtet
man sich mit pädagogischer Attitüde an die eigene Bevölkerung und mahnt
zu mehr Toleranz bei der Aufnahme von vormodernen Fremden, bei denen man
aber ebenfalls voraussetzt, dass sie nichts mehr wünschten, als nach
westlichen Maßstäben zu leben. Dominanz macht dumm; diese Lektion wird
der Westen in den nächsten Jahrzehnten schmerzlich lernen müssen.
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