Samstag, 1. Juni 2013
Canto Quinto
Fünfter Gesang der Hölle
Amor, ch'a nullo amato amar perdona,
mi prese del costui piacer sì forte,
che, come vedi, ancor non m'abbandona.
So ging’s hinab vom ersten Kreis zum zweiten,
Der kleinern Raum, doch größres Weh umringt, :
Das antreibt, Klag’ und Winseln zu verbreiten.
Graus steht dort Minos, fletscht die Zähn’ und bringt
Die Schuld ans Licht, wie tief sie sich verfehle,
Urteilt, schickt fort, je wie er sich umschlingt.
Ich sage, wenn die schlechtgeborne Seele
Ihm vorkommt, beichtet sie der Sünden Last;
Und jener Kenner aller Menschenfehle,
Sieht, welcher Ort des Abgrunds für die paßt,
Und schickt sie soviel Grad’ hinab zur Hölle,
Als oft er sich mit seinem Schweif umfaßt.
Von vielem Volk ist stets besetzt die Schwelle,
Und nach und nach kommt jeder zum Gericht,
Spricht, hört und eilt zu der bestimmten Stelle.
"Du, der in diese Qualbehausung bricht,"
So rief mir Minos, als er mich ersehen,
Und ließ indes die Übung großer Pflicht;
"Schau’, wem du traust! Leicht ist’s hineinzugehen,
Doch täusche nicht dich ein verwegner Drang."
Mein Führer drauf: "Laß dir den Groll vergehen!
Nicht hindre den von Gott gebotnen Gang,
Dort will man’s, wo das Können gleicht dem Wollen.
Nicht mehr gefragt, denn unser Weg ist lang."
Bald hört’ ich nun, wie Jammertön’ erschollen,
Denn ich gelangte nieder zu dem Haus,
Zur Klag’ und dem Geheul der Unglückvollen.
Jedwedes Licht verstummt’ im dunkeln Graus,
Das brüllte, wie wenn sich der Sturm erhoben,
Beim Kampf der Winde lautes Meergebraus.
Nie ruht der Höllenwirbelwind vom Toben
Und reißt zu ihrer Qual die Geister fort
Und dreht sie um nach unten und nach oben.
Ihr Jammerschrei, Geheul und Klagewort,
Nah’n sie den trümmervollen Felsenklüften,
Verlästern fluchend Gottes Tugend dort.
Daß Fleischessünder dies erdulden müßten,
Vernahm ich, die, verlockt vom Sinnentrug,
Einst unterwarfen die Vernunft den Lüsten.
So wie zur Winterszeit mit irrem Flug
Ein dichtgedrängter breiter Troß von Staren,
So sah ich hier im Sturm der Sünder Zug
Hierhin und dort, hinauf’, hinunterfahren,
Gestärkt von keiner Hoffnung, mindres Leid,
Geschweige jemals Ruhe zu erfahren.
Wie Kraniche, zum Streifen lang gereiht
In hoher Luft die Klagelieder krächzen,
So sah ich von des Sturms Gewaltsamkeit
Die Schatten hergeweht mit bangem Ächzen.
"Wer sind die, Meister, welche her und hin
Der Sturmwind treibt, und die nach Ruhe lechzen?"
So ich – und er: "Des Zuges Führerin,
Von welchem du gewünscht, Bericht zu hören,
War vieler Zungen große Kaiserin.
Sie ließ von WoIlust also sich betören,
Daß sie für das Gelüst Gesetz’ erfand.
Um nur der tiefen Schmach sich zu erwehren.
Sie ist Semiramis, wie allbekannt,
Nachfolgerin des Ninus, ihres Gatten,
Einst herrschend in des Sultans Stadt und Land.
Dann Sie, die, ungetreu Sichäus’ Schatten,
Aus Liebe selber sich geweiht dem Tod"
Sieh dann Kleopatra im Flug ermatten."
Auch Helena, die Ursach’ großer Not,
Im Sturme sah ich den Achill sich heben,
Der allem Trotz, nur nicht der Liebe, bot.
Den Paris sah ich dort, den Tristan schweben,
Und tausend andre zeigt’ und nannt’ er dann,
Die Liebe fortgejagt aus unserm Leben.
Lang hört’ ich den Bericht des Lehrers an,
Von diesen Rittern und den Frau’n der Alten,
Voll Mitleid und voll Angst, bis ich begann:
Mit diesen Zwei’n, die sich zusammenhalten,
Die, wie es scheint, so leicht im Sturme sind,
Möcht’ ich, o Dichter, gern mich unterhalten.
Und er darauf: "Gib Achtung, wenn der Wind
Sie näher führt, dann bei der Liebe flehe,
Die beide führt, da kommen sie geschwind."
Kaum waren sie geweht in unsre Nähe,
Als ich begann: Gequälte Geister, weilt,
Wenn’s niemand wehrt, und sagt uns euer Wehe.
Gleich wie ein Taubenpaar die Lüfte teilt,
Wenn’s mit weitausgespreizten steten Schwingen
Zum süßen Nest herab voll Sehnsucht eilt;
So sah ich sie dem Schwarme sich entringen,
Bewegt vom Ruf der heißen Ungeduld,
Und durch den Sturm sich zu uns niederschwingen.
"Du, der du uns besuchst voll Gut’ und Huld
In purpurschwarzer Nacht, uns, die die Erde
Vordem mit Blut getüncht durch unsre Schuld,
Gern bäten wir, daß Fried’ und Ruh’ dir werde,
War’ uns der Fürst des Weltenalls geneigt,
Denn dich erbarmt der seltsamen Beschwerde.
Wie ihr zu Red’ und Hören Lust bezeigt,
So reden wir, so leih’n wir euch die Ohren,
Wenn nur, wie eben jetzt, der Sturmwind schweigt.
Ich ward am Meerstrand in der Stadt geboren,
Wo Seinen Lauf der Po zur Ruhe lenkt,
Bald mit dem Flußgefolg im Meer verloren.
Die Liebe, die in edles Herz sich senkt,
Fing diesen durch den Leib, den Liebreiz schmückte,
Der mir geraubt ward, wie’s noch jetzt mich kränkt.
Die Liebe, die Geliebte stets berückte,
Ergriff für diesen mich mit solchem Brand,
Daß, wie du stehst, kein Leid ihn unterdrückte.
Die Liebe hat uns in ein Grab gesandt –
Kaina harret des, der uns erschlagen."
Der Schatten sprach’s, uns kläglich zugewandt.
Vernehmend der bedrängten Seelen Klagen,
Neigt’ ich mein Angesicht und stand gebückt.
Was denkst du? hört’ ich drauf den Dichter fragen.
Weh, sprach ich, welche Glut, die sie durchzückt,
Welch süßes Sinnen, liebliches Begehren
Hat sie in dieses Qualenland entrückt?
Drauf säumt’ ich nicht, zu jener mich zu kehren.
"Franziska," So begann ich nun, "dein Leid
Drängt mir ins Auge fromme Mitleidszähren.
Doch sage mir: In süßer Seufzer Zeit,
Wodurch und wie verriet die Lieb’ euch beiden
Den zweifelhaften Wunsch der Zärtlichkeit."
Und sie zu mir: Wer fühlt wohl größres Leiden
Als der, dem schöner Zeiten Bild erscheint
Im Mißgeschick? Dein Lehrer mag’s entscheiden.
Doch da dein Wunsch so warm und eifrig scheint,
Zu wissen, was hervor die Liebe brachte,
So will ich tun, wie wer da spricht und weint.
Wir lasen einst, weil’s beiden Kurzweil machte,
Von Lanzelot, wie ihn die Lieb’ umschlang.
Wir waren einsam, ferne von Verdachte.
Das Buch regt’ in uns auf des Herzens Drang,
Trieb unsre Blick’ und macht’ uns oft erblassen,
Doch eine Stelle war’s, die uns bezwang,
Als das ersehnte Lächeln küssen lassen,
Der, so dies schrieb, vom Buhlen schön und hehr.
Da naht’ er, der mich nimmer wird verlassen,
da küßte zitternd meinen Mund auch er –
Galeotto war das Buch, und der’s verfaßte –
An jenem Tage lasen wir nicht mehr.
Der eine Schatten sprach’s, der andre faßte
Sich kaum vor Weinen, und mir schwand der Sinn
Vor Mitleid, daß ich wie im Tod erblaßte,
Und wie ein Leichnam hinfällt, fiel ich hin.
Fünfter Gesang des Paradieses
Se mala cupidigia altro vi grida,
uomini siate, e non pecore matte,
sì che'l giudeo di voi tra voi non rida!
"Wenn ich in Liebesglut dir flammend funkle,
Mehr, als es je ein irdisch Auge sieht,
So, daß ich deines Auges Licht verdunkle,
Nicht staune drum – es macht, daß dies geschieht,
Vollkommnes Schauen, welches, wie’s ergründet,
In dem Ergründeten uns weiterzieht.
Schon glänzt, ich seh’s in deinem Blick verkündet.
In deinem Geist ein Schein vom ew’gen Licht,
Das, kaum gesehen, Liebe stets entzündet.
Und liebt ihr, weil euch andrer Reiz besticht,
So ist’s, weil, unerkannt, vom Licht, dem wahren,
Ein Strahl herein auf das Geliebte bricht.
Ob andrer Dienst, dies willst du jetzt erfahren,
Gebrochenes Gelübd’ ersetzen kann,
Um vor dem Vorwurf euer Herz zu wahren."
So fing ihr heil’ges Wort Beatrix an
Und setzte dann, die Rede zu vollenden,
Ununterbrochen fort, was sie begann.
"Die größte Gab’ aus Gottes Vaterhänden
Und seiner reichen Güte klarste Spur,
Von ihm geschätzt als höchste seiner Spenden,
Ist Willensfreiheit, so die Kreatur,
Der er Vernunft verlieh, von ihm bekommen,
Von diesen jede, doch auch diese nur.
Hieraus ersieh den hohen Wert des frommen
Gelübdes, wenn es so beschaffen ist,
Daß Gott, was du geboten, angenommen.
Denn, wer mit Gott Vertrag schließt, der vermißt
Sich, diesen Schatz zum Opfer darzubringen,
Mit dessen Werte sich kein andrer mißt.
Wie kann drum je hier ein Ersatz gelingen?
Brauchst du auch wohl, was du geopfert hast,
So ist’s nur Wohltat mit gestohlnen Dingen.
Du hast das Wichtigste nun aufgefaßt,
Doch weil die Kirche vom Gelübd’ entbindet,
So zweifelst du an meiner Wahrheit fast.
Drum bleib am Tisch ein wenig noch. Hier findet,
Ob du auch Unverdauliches gespeist,
Das Mittel sich, vor dem der Schmerz verschwindet.
Dem, was ich sag’, erschließe deinen Geist,
Denn Hören gibt nicht Weisheit, nein, Behalten;
Behalt es drum, damit du weise seist.
In diesem Opfer sind zwei Ding’ enthalten;
Das erste: des Gelübdes Gegenst and –
Das zweite: der Vertrag, es treu zu halten.
Der letztere hat ewigen Bestand,
Bis er erfüllt ist, und wie er zu achten,
Dies macht’ ich oben dir genau bekannt.
Drum mußten die Hebräer Opfer schlachten,
Obwohl für das Gelobte dann und wann
Sie, wie du wissen mußt, ein andres brachten.
Der Gegenstand kann also sein, daß man,
Auch ohne Reu’ und Vorwurf zu empfinden,
Mit einem andern ihn vertauschen kann.
Nur mag sich dessen niemand unterwinden
Nach eigner Wahl, wenn ihn der ersten Last
Der gelb’ und weiße Schlüssel nicht entbinden.
Und jeder Tausch der Bürd’ ist Gott verhaßt,
Wenn, die wir nehmen, die wir von uns legen,
Nicht wie die Sechs die Vier, voll in sich faßt.
Drum, ziehet das, was man gelobt, beim Wägen
Jedwede Wag’ herab durch sein Gewicht,
So gibt’s auch nirgendwo Ersatz dagegen.
Scherzt, Sterbliche, mit dem Gelübde nicht.
Seid treu, doch seht euch vor; denn schwer beklagen
Wird’s jeder, der, wie Jephtha, blind verspricht.
Ihm ziemt’ es besser: Ich tat schlimm! zu sagen,
Als, haltend, schlimmer tun – und gleiche Scham
Sah man davon den Griechenfeldherrn tragen;
Drob Iphigenia weint’ in bitterm Gram
Und um sich weinen Weis’ und Toren machte,
Ja, jeden, der von solchem Dienst vernahm.
Sei nicht leichtgläubig, Christenvolk, und trachte,
Nicht wie der Flaum im Windeshauch zu sein;
Daß dich nicht jedes Wasser wäscht, beachtet
Das Alt’ und Neue Testament ist dein,
Der Kirche Hirt ist Führer ihren Söhnen,
Und dieses g’nügt zu eurem Heil allein.
Und reizt euch jemand, schlechtem Trieb zu frönen,
Nicht Schafe seid ihr, eurer unbewußt,
Drum laßt vom Nachbar Juden euch nicht höhnen.
Tut nicht dem Lamm gleich, das der Mutter Brust
Aus Einfalt läßt und, dumm und geil, vergebens
Nur mit sich selber kämpft nach seiner Lust."
Beatrix sprach’s und wandte, regen Strebens,
Ganz Sehnen, ihren Blick zum hellem Licht,
Empor zur schönen Welt des höhern Lebens.
Ihr Schweigen, ihr verwandelt Angesicht
Geboten dem begier’gen Geiste Schweigen
Und ließen mich zu neuen Fragen nicht.
Und schnell, wie sich beschwingte Pfeile zeigen,
Ins Ziel einbohrend, eh’ die Sehne ruht,
So eilten wir, zum zweiten Reich zu steigen.
Die Herrin sah ich so in frohem Mut,
Da uns der Flug zum neuen Glänze brachte,
Daß heller ward des Sternes Licht und Glut.
Wenn der Planet nun, sich verwandelnd, lachte,
Wie ward wohl mir, mir, den verwandelbar
Schon die Natur auf alle Weisen machte?
Gleichwie im Teich, der ruhig ist und klar,
Wenn das, wovon die Fischlein sich ernähren,
Von außen kommt, her eilt die muntre Schar,
So sah ich hier zu uns sich Strahlen kehren
Wohl Tausende, von welchen jeder sprach:
"Seht, der da kommt, wird unser Lieben mehren!"
Und wie sie uns sich nahten nach und nach,
Da sah ich süßer Wonne voll die Seelen,
Im Glanz, der hell hervor aus jeder brach.
Bedenke, Leser, wollt’ ich dir verhehlen,
Was ich noch sah, und schweigend von dir gehn,
Wie würde dich der Durst nach Wissen quälen?
Du wirst daraus wohl durch dich selbst verstehn,
Wie ich ihr Los mich sehnte zu erfahren,
Sobald mein Aug’ in ihren Glanz geseh’n.
"Begnadigter, dem hier sich offenbaren
Des ewigen Triumphes Thron’, eh’ dort
Du noch verlassen hast der Krieger Scharen,
Wir sind entglüht vom Licht, das fort und fort
Den Himmel füllt – drum, wünschest du Erklärung,
So sättige nach Wunsch dich unser Wort."
Ein frommer Geist verhieß mir so Gewährung,
Beatrix drauf: "Sprich, sprich und glaub’ ihm fest,
So fest, als war’ es göttliche Belehrung."
"Ich sehe, würd’ger Geist, du hast dein Nest
Im eignen Licht, das, wie du lächelst, immer
Mit hellerm Glanz dein Auge strahlen läßt,
Doch wer bist du? Was ward der schwache Flimmer
Der niedern Sphäre dir zum Sitz gewährt,
Die uns umschleiert wird durch fremden Schimmer?"
So sprach ich, jenem Lichte zugekehrt,
Das erst gesprochen hatt’, und sah’s in Wogen
Von Strahlen drum weit mehr als erst verklärt.
Denn gleichwie Sol, von dichtem, Dunst umzogen,
In zu gewalt’gen Glanz sich selber hüllt,
Wenn Glut der Nebel Schleier weggesogen,
So barg sich jetzt, von größrer Lust erfüllt,
Die heilige Gestalt im Strahlenringe,
Und sie entgegnete mir, so verhüllt,
Das, was ich bald im nächsten Sange singe.
Dante
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