Stationen

Dienstag, 25. Juni 2013

Elias Tsolakidis



Endlich ein kluger Kopf. Ähnlich wie Italien ist auch Griechenland ein Familienkapitalismus und eine Feudaldemokratie. Aber welche Unterschiede bestehen?



Auch in Italien gibt es seit Jahren Initiativen des Direktverkaufs über die sogenannten Filiera cittadina oder filiera solidale oder filiera regionale. Es gibt auch eine filiera nazionale. Und daran kann man schon erkennen, dass es nicht einfach ist, zu unterscheiden zwischen Initiativen, die wieder Preistransparenz herstellen möchten - wie Tsolakidis - oder die sich territorialprotektionistisch verhalten und dementsprechend unter dem Einfluss der italienischen Vertriebskorporationen stehen, die sich wie mittelalterliche Zünfte verhalten und Reformen und Konkurrenz möglichst verhindern wollen: man möchte gegenüber Bauern und Konsumenten ein uneinnehmbarer Block bleiben, bzw. eine Allianz von Blöcken.



Die filiera sarda ist mehr eine Gemüseboutique für biologischen Anbau und besteht seit langem. also das genaue Gegenteil von Tslakidis Initiative, durch die ja vor allem Grundbedürfnisse gestillt werden sollen. Wobei allerdings die Boutiqueperspektive auch bei Tsolakidis als Perspektive für bessere Zeiten schon anklingt und mitschwingt. Denn Griechenland wird nie eine Massenproduktion wie die USA, die BRD oder Holland haben, sondern wird versuchen, was Italien ganz sicher tun wird: Luxusgemüse produzieren. Für die, die es sich im Süden leisten können und für nordeuropäische Ernährungssnobs und Ernährungsneurotiker und für ein paar echte Feinschmecker mit kulturhistorischem Feingefühl. Denn außer den Franzosen ist in Nordeuropa eigentlich niemand mehr dazu in der Lage, diese Qualität noch angemessen zu würdigen. Daran können selbst Schubeck und Klink nichts ändern.



Aber Tsolakidis hat diese Luxusgüter nur im Hinterkopf, er will jetzt erst mal viel gravierendere Probleme lösen. Er organisiert den Handel von Kartoffeln und Waschmittel, von sehr elementare Dingen also, die aber zum Luxus geworden sind. Ein Unterschied zu Italien ist, dass die Griechen nicht so ideologisiert sind wie die Italiener. Griechenland ist in viel höherem Maße eine Oligarchie. Aber das Land hat weder Industrie noch Mafia. Andererseits ist Griechenland nicht so auf den eigenen Bauchnabel fixiert. Wie die Türken haben sich die Griechen viel besser in Deutschland integriert als die Italiener, die, wenn es ihnen gelang sich zu integrieren, den Kontakt zu Italien vollkommen abbrechen (außer für die Ferien), weshalb Markus Lanz und Giovanni Di Lorenzo, die beide eigentlich auch Sendungen in Italien moderieren könnten (was für Berlusconi, D´Alema und Grillo tatsächlich unangenehm werden könnte, weil es eine echte Horizont- und Bewusstseinserweiterung wäre), dies wohl nie tun werden und nicht einmal in italienische Shows eingeladen werden. Dasselbe gilt für alle Italiener, die in Deutschland aufgewachsen sind oder dort Karriere gemacht haben. Es besteht eine echte Berührungsangst zwischen deutschen Italienern und italienischen Italienern, die auf viel Heuchelei beruht und viel Heuchelei bewirkt (in Deutschland geben die Italiener es nicht offen zu, wenn sie Berlusconi wählen). Und diese Berührungsangst gibt es so in der Türkei und in Griechenland nicht, wenngleich auch dort die griechischen und türkischen Deutschen sich kaum sehen lassen. Aber das ist ein wichtiger Unterschied, der Tsolakidis jetzt zugute kommt. Die Griechen sind nicht so undurchlässig für Ideen, sind nicht so ideologisch verwahrlost und besitzen nicht den zynischen Fatalismus der Italiener.





In Italien ist die Wahrnehmung für die wahren Kosten völlig kaputt. Jede Kaufkraftminderung wird als Inflation angesehen, obwohl es sich um künstliche Überteuerung seitens der Zwischenhändler handelt. Das geht bereits seit August 2001 so. Die Krise 2008 kam nur hinzu.



Die Zwischenhändler in Italien brauchen nicht einmal ein Kartell zu bilden. Sie sind ein stillschweigendes Kartell, dass die Preise mit dem Bauch spürt: sie brauchten nur der Versuchung nachzugeben, aus 1 euro 1000 Lire zu machen (obwohl er 2000 wert ist) weil es alte Rechengewohnheiten bedient. Und schon waren im August 2001 viele Produkte doppelt so teuer. Die gezielten Absprachen kamen hinzu. Viele Endverkäufer setzten dann ihre Preise ein Jahr später noch mal rauf, weil weniger Leute kauften. Die alte Regel, dass Angebot und Nachfrage den Preis regeln, funktioniert in Italien in sehr vielen Bereichen seit Langem nicht mehr (seit unter dem Einfluss der KPI oft sogenannte "politische Preise" festgelegt werden; der alte Fehler von Diokletian, dessen Wirkung auch in "Die Brautleute" hervorragend beschrieben ist, ist in Italien geradezu ein Laster des Marktes). In der Hotelbranche funktioniert sie noch sehr gut, weil die meisten Hotels in Italien tatsächlich immer noch Familienbetriebe sind und sich sofort in die Hose machen, wenn für Ostern schlechtes Wetter angekündigt wird. Aber in anderen Bereichen, vom Klempner, Elektriker oder Maurer bis zum Metzger und Gemüsehändler oder der Pizzeria hat man den Eindruck, nichts kann deren Preise senken. Und so treibt manchmal das Nachlassen der Nachfrage die Preise in die Höhe. Nicht selten nehmen solche Unternehmer Kredite auf, statt ihre Preise zu senken. Man sollte es nicht glauben, aber wenn es genug Idioten unter den Unternehmern gibt, die sich so verhalten, kann daraus im italienischen Korporationskapitalismus eine politische Interessengruppe werden. Das hat alles verzerrt und die Wahrnehmung von Angebot und Nachfrage endgültig zerstört. Wenn man heute jemandem sagt, dass 1 Euro immer noch 2000 Lire sind, schaut er dich völlig verstört an.



Die Kaufkraft nahm in Italien immer mehr ab, weil die Konsumenten lange nicht mit einem Konsumrückgang reagierten. Erst als buchstäblich keiner mehr etwas zum Ausgeben hatte, als sich ganze Familien den Tod gaben, gingen die Preise, über 10 Jahre zu spät, endlich runter.



Es ist am Ende Schuld der einfältigen Konsumenten, die den damaligen Preisaufschung von 100% nicht sofort und auch nicht nach drei Jahren und auch nicht nach sieben Jahren abgestraft haben. So ähnlich wie die Palästinenser es sich gefallen ließen, dass die Juden ihr Land für billig Geld kauften. Ist Schlauheit eine Schuld? Ist Einfalt eine Tugend?



Wohl eher nicht, würde ich sagen. Es hat keinen Sinn auf Zwischenhändler und Juden böse zu sein. Man muss die loben, die den Schlauen durch Schlauheit beikommen und die Wahrnehmung der wahren Kosten durch Preistransparenz wiederherstellen. Es lebe hoch Elias Tsolakidis! Denn Profit, der auf Transparenz beruht zahlt sich auf die Dauer besser aus als Profit, der auf Täuschung und Verzerrung beruht.


Tagesschau

WDR

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