Stationen

Montag, 7. April 2014

Wie in 1001 Nacht





Schön und gut, was Helmut Schmidt da anmahnt. Aber was er und Peter Scholl-Latour über den Islam, den Propheten Isa, die Jungfrau Maria und Abraham sagen, über den Buddhismus und über Kants kategorischen Imperativ "Was ich nicht will, was ich dir tu, das füg auch keinem andern zu", das weiß ich seit über 40 Jahren, obwohl Schmidt bemängelt, man wisse es in Deutschland angeblich immer noch nicht.
Ich weiß aber mittlerweile seit über 30 Jahren auch, dass Oriana Fallaci recht hat. Weil ich mich mit den Moslems, mit ihrer Geschichte und ihrem Selbstverständnis befasst habe, weil ich Freundschaften zu ihnen gepflegt habe, weil ich sie aus unmittelbarer Nähe kennen gelernt habe, weil ich mich auf sie eingelassen habe und auf sie eingegangen bin, weil ich ihr Vertrauen genossen habe, weil ich die Maske, die sie in Deutschland beim Umgang mit Deutschen immer tragen, von der anderen Seite sehen konnte und dies nur dann geschieht, wenn Ausländer unter sich sind (in diesem Fall Syrer, Palästinenser, Libanesen,  Perser und ich im judenfreundlichen Italien). Und weil ich so intim, wie ich diese Orientalen kennengelernt habe auch die Juden kennengelernt habe, jede Sorte von Jude... und noch ein paar andere Völker, die in Florenz wie in einem Miniatur New York zu finden sind. Und last not least, weil ich ihre Haltung gegenüber dem Koran kenne. Fazit: eine textkritische Entstehungsgeschichte des Korans - wie die christlichen Theologen, die lutherischen wie die katholischen, sie sich erarbeitet haben - ist diesen Menschen so fremd, dass man vereinfachend sagen kann, ein Muslim, der das mitmacht, was wir aus dem Text der Bibel herausdestilliert haben, um zum historischen Jesus vorzustoßen, und auf den Koran anwendet, um zu den historischen Entstehungsbedingungen des Korans vorzustoßen, der ist gar kein Muslim und erst recht kein Orientale. Man kann sich getrost und ohne alle Befangenheit an das hier zuständige Klischee halten. Der gläubige Muslim wird sich im Lande Luthers natürlich gewissen philologischen Gepflogenheiten angleichen, aber er glaubt meistens trotzdem, der Koran sei von Allah verfasst worden, "weil kein Mensch je solch ein vollkommenes Buch schreiben könnte".

Trostloser als dieses Fazit ist die Tatsache, dass liberale Araber und Moslems in den seltensten Fällen ausgeglichene Menschen sind, dass ihre Identität meist nicht nur betont antitraditionalistisch ist, sondern neurotisch antitraditionalistisch: man trinkt nicht nur Bier und Wein, sondern auch schon am Vormittag Whiskey und klopft zynische Sprüche, um zu zeigen, wie aufgeklärt man ist. Da sind selbst mir die frommen Traditionalisten, die keinen Tropfen Alkohol anrühren lieber.

Sadat war die ganz große Ausnahme in einer Zeit, als der politisch militante Islam noch gezielt die der 3. Welt gewidmeten Solidaritätsideologien benutzte, um dem Westen einen Ring durch die Nase zu ziehen. Damals pöbelte man nur gegen Israel und nur unter dem Vorwand, eigentlich ginge es um das böhse, immer zum Genozid bereite Amerika. Heute pöbelt man wieder ungeniert gegen die Juden im Allgemeinen, und die ganz großen Ausnahmen sind Leute wie Hamed Abdel-Samad, Magdi Allam und Younes Ouaqasse. Und das weiß auch Schmidt, und Scholl-Latour erst recht. Warum sagen sie es nicht? Aus Diplomatie vielleicht. Weil sie die Hitzköpfe nicht gegen sich aufbringen wollen.

Wirklich selbstkritisch, selbstkritisch aus Tradition, ist nur der Westen, der Westen, der Westen. Es war immer unsere Stärke. Selbst in Zeiten, in denen von Selbstkritik nichts zu merken war, verschwanden die latenten Verwurzelungen in Thales, Sokrates und Jesus nie ganz. Nach Auschwitz ist in Europa und besonders in Deutschland nun die Selbstkritik so stark, dass nicht wenige sie gerne abschütteln würden. Denn Auschwitz ist wie ein Schwarzes Loch, dass alles Licht verschluckt und den ohnehin schon gekrümmten Raum endgültig verbiegt.

Und seit die Globalisierung uns mit selbstbewussten Bevölkerungen in Berührung bringt, die noch eine Unbefangenheit besitzen, die in den "postmodernen", atheistischen, europäischen Ländern unwiederbringlich verschwunden zu sein scheint, wurde die Selbstkritik zum ersten Mal zur Gefahr für uns. Denn wir haben völlig verlernt, anderen Kulturen genau so unerbittlich auf den Zahn zu fühlen - und sie gegebenenfalls genau so unerbittlich abzuqualifizieren -  wie uns selbst.

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