Die geheime Rede Erich Honeckers zum 20. Jahrestag der deutschen Einheit
Liebe Genossinnen und Genossen,
vor 20 Jahren haben die reaktionären Kräfte des deutschen Monopolkapitalismus mit Hilfe des US-amerikanischen Imperialismus und des Verräters Gorbatschow das Ende des ersten Arbeiter- und Bauernstaates auf deutschem Boden besiegelt. Damals haben viele geglaubt, es sei mit uns dahin. Die Realität hat sie widerlegt. Unsere Partei hat überlebt. Nun gut, der Vorsitzende war bis Mai ein Sozialdemokrat aus dem Westen, aber der Mann hat sich immer loyal gegenüber der DDR und mir verhalten und sich gegen die sogenannte Wiedervereinigung ausgesprochen. Außerdem ist er, wie ich, Saarländer. (Heiterkeit.)
Der Fraktionsvorsitzende gefällt mir da etwas besser. Aber, falls hier irgendwelche Maulwürfe aus den Medien sitzen, eines will ich klarstellen: Der Genosse Gysi hat natürlich niemals für die Staatssicherheit gearbeitet. (Ausgelassene Heiterkeit.)
Genossen, das Ministerium für Staatssicherheit ist zerschlagen, doch viele verdienstvolle Inoffizielle Mitarbeiter arbeiten im System BRD. Sie sitzen in den Parlamenten, einer sogar im Bundestag – also einer, der es zugibt (Heiterkeit) –, ein anderer kandidiert für das Bürgemeisteramt in Potsdam. Das sind bescheidene Fortschritte, aber es sind Fortschritte. (Beifall.)
Liebe Genossen, eine sozialistische, in Teilen sogar kommunistische Partei ist heute im Bundestag vertreten. Wer hätte das vor 20 Jahren gedacht? Genossen, das parlamentarische System und sein angeblicher Pluralismus sind stets bloß ein Märchen der herrschenden Klasse gewesen, um das Volk, den großen Lümmel, einzulullen. Aber noch nie waren die Ähnlichkeiten zwischen den BRD-Parteien größer als heute, nie bewegten sie sich näher am demokratischen Zentralismus, wie er bei uns in der DDR herrschte. Es gibt keine Partei, die es heute noch wagen würde, fundamental antisozialistisch zu argumentieren oder die Interessen der bürgerlichen Klasse zu vertreten; sie wäre sofort erledigt.
Alle Parteien beteiligen sich am Kampf gegen rechts. Die Familienpolitik der Bundesregierung nähert sich der sozialistischen, der Staat greift immer stärker in die Familien ein, und wir Kommunisten wissen, dass die Familie die Keimzelle des Egoismus und der bürgerlich-reaktionären Gesinnung ist. Die Bildungsreformer versuchen, an den Schulen genau jene Gleichheit durchzusetzen, die bei uns herrschte, gegen den Widerstand reaktionärer Kreise, und an den Universitäten ist dieser Prozess nahezu vollendet. Sozialistische Studentenorganisationen attackieren regelmäßig reaktionäre Lehrkräfte. Überall gibt es positive Entwicklungen. Unbedingt erwähnen muss ich an dieser Stelle die Enkel des Roten Frontkämpferbundes, die deutsche Antifa. Diese jungen Enthusiasten tragen den Kampf um soziale Gerechtigkeit in die Innenstädte und lehren die Neonazis das Fürchten. (Beifall.)
Einigkeit herrscht bei allen Parteien auch in der Frage der sogenannten Erderwärmung. Genossen, unter uns, ich weiß nicht, was ich davon halten soll – wenn wir wieder regieren, wird es jedenfalls so eine Schweinerei nicht geben. Aber wenn es sie gibt, ist nicht der Mensch, sondern der Kapitalismus schuld!
Jedenfalls haben die ehemals bürgerlichen Parteien längst eine Art Nationale Front gebildet, auch wenn sie es heute anders nennen würden. Alle Systemparteien sind reif, Blockparteien zu werden! (Stürmischer Beifall.)
Genossen, nichts hat den Sozialismus so sehr legitimiert wie der Antifaschismus, und das wird auch künftig so sein. Der Antifaschismus ist der kleinste gemeinsame Nenner zwischen progressiven Kräften und Sozialisten. Der Kampf gegen rechts darf nie enden! (Beifall.)
Hier ist nun ein Wort zu Frau Merkel zu sagen, die von vielen falsch eingeschätzt wird. In Wirklichkeit ist sie eine von uns. Sie hat aus der christlich-reaktionären CDU eine Partei ohne Konservative und tendenziell ohne Christen gemacht, die heute schon viele unserer Positionen teilt. Sie hat den Papst attackiert. Sie hat mit der staatlichen Finanzierung der Banken aller Welt vor Augen geführt, dass Lenins Theorie vom staatsmonopolistischen Kapitalismus wahr ist. Sie vertritt geschichtspolitisch, anders als noch ihr Ziehvater Kohl, das Weltbild der SED und feiert mit unseren sowjetischen Freunden am 8. Mai den Tag der Befreiung vom Hitler-Faschismus. Sie hat die Partei von jenen Revanchisten gesäubert, die die Umsiedlung der Nazis aus dem Osten als Vertreibung und die beklagenswerten Härten dieser Maßnahme als Völkermord bezeichen, bislang noch ohne strafrechtliche Folgen. Sie hat mit ihrer Hilfe für Griechenland gezeigt, dass in ihr der Geist des proletarischen Internationalismus lebt. (Heiterkeit.)
Genossen, die DDR war ein Sozialstaat, und zwar einer für alle. Die Bundesrepublik arbeitet noch daran, ist aber auf gutem Wege. Alle Parteien haben das Ziel der sozialen Gerechtigkeit zumindest in ihre Programme geschrieben. Mag sein, dass die Dings, äh Marktwirtschaft ziemlich erfolgreich ist, aber entscheidend ist doch, wer die sogenannten Früchte – auch Südfrüchte – der Arbeit erntet. (Heiterkeit.)
Schon heute geht jeder zweite Steuer-Euro in den Sozialhaushalt und kommt den vom Kapital Unterdrückten zugute. Ohnehin ist der Staat längst der wichtigste Wirtschaftsfaktor. Er verzeichnet mit Abstand den höchsten Umsatz im Lande. 1980 betrug der Anteil des Sozialministeriums der BRD 16 Prozent am Staatshaushalt, heute sind es 55 Prozent. Das sind positive Entwicklungen, die uns in die Hände spielen. (Beifall.)
In der DDR herrschte Gleichberechtigung von Mann und Frau. Die Kinder gingen früh in die Krippe, wo staatlich geprüfte Erzieherinnen ihnen die Werte unserer Gesellschaft vermittelten. In der Bundesrepublik gibt es noch viel zu viele Hausfrauen, die sich als Mütter den staatlichen Produktionsaufgaben entziehen wollen, aber mit der Etablierung des Gender-Mainstreaming ist zumindest der richtige Weg eingeschlagen.
Auch in Presse und Fernsehen gibt es positive Tendenzen. Die Medienschaffenden der BRD agitieren erfolgreich gegen Ausbeuter, Unternehmer, Militärs, Waffenbesitzer, Konservative, Wohlstandsbürger und die katholische Kirche. Die formale Meinungsfreiheit ist für bürgerlich-reaktionäre Kräfte erfreulich weit eingeschränkt. Vom Historikersteit bis zum Fall Sarrazin haben die fortschrittlichen Medien der Öffentlichkeit vorgeführt, dass von der DDR lernen siegen lernen bedeutet. Kein Fußbreit den Faschisten! (Stürmischer Beifall.)
Viele von euch wissen noch, wie wir uns damals, als die Genossen des MfS noch im Westen arbeiteten, darüber wunderten, dass viele Medienschaffende der BRD auch ohne unser Zutun sozialistischen Journalismus betrieben und ihr System einer vernichtenden Kritik unterzogen. Mir fällt da dieser Mann vom WDR ein, ich habe den Namen vergessen, der nie lachte, wo unsere Kundschafter immer sagten: Nein, Genosse Honecker, wir bearbeiten den Mann nicht, der tut das von ganz alleine. (Große Heiterkeit.)
Die Ausrottung von Nationalismus und Chauvinismus ist durch die EU-Zwangsmaßnahmen erfreulich fortgeschritten. Genossen, ich war nie Trotzkist, aber vielleicht lag der Mann doch nicht ganz falsch. Wie man Hunderte Millionen Menschen aus dem bürgerlichen Scheinparlamentarismus langsam herausnimmt und einer zentralistischen Regierung unterstellt, ohne nennenswerte Proteste, das ist beeindruckend, davon können wir nur lernen! (Beifall.)
Vor acht Jahren hat ein bürgerlicher Theoretiker die erfolgreiche Verwandlung des Landes mit dem Wort „DDR light“ beschrieben. Er meinte das kritisch. (Heiterkeit.)
Genossen, auch die Klassiker konnten sich irren. Es ist, wie wir heute wissen, gar nicht nötig, den Sozialismus mit einer Revolution zu errichten, er kommt evolutionär sowieso. Man kann den Kapitalismus durch Aufstände, aber auch ständige Steuererhöhungen bekämpfen. Der Klassenfeind ist dabei, sich selber abzuschaffen. Alle Entwicklungen, die ich beschrieben habe, führen in Richtung Sozialismus. Die Menschen der BRD und Westeuropas sind allmählich so sehr daran gewöhnt, dass ihnen der Staat ihr Leben vorschreibt, dass sie der letzte kleine Umsturz kaum mehr überraschen wird. Jedenfalls vollzieht sich der Niedergang der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft gesetzmäßig. Langsam, fast unmerklich, werden wir wieder hinübergleiten in den Sozialismus. Liebe Freunde und Genossen, dass man die „Aktuelle Kamera“ auf eine Viertelstunde verkürzt hat, wenngleich inhaltlich heute schon gewisse Übereinstimmungen bestehen, das werden wir nach der Machtübernahme natürlich ändern, und das wird wohl das auffälligste Merkmal des Übergangs sein. Dann wird es wohl auch der Letzte begriffen haben. (Beifall, Heiterkeit.)
Genossen, als ich vor 20 Jahren sagte: Den Sozialismus in seinem Lauf hält weder Ochs noch Esel auf, da haben viele gelacht. Heute lachen sie nicht mehr. Lasst uns das Glas erheben auf den 61. Geburtstag der DDR und auf die Zukunft des Sozialismus!
(Stürmischer Applaus, Hochrufe, Sprechchöre: „D-D-R – Un-ser Va-ter-land!“)
Michael Klonovsky - Erschienen in: Focus 40/2010, S. 70 ff.
Unerwünschte Ansichten werden in Deutschland immer mehr stigmatisiert. Der Angriff auf die Freiheit kommt auch aus der Mitte der Gesellschaft
Noch unter jedem Regime“, notierte der Aphoristiker Johannes Gross, „gehörte der Maulkorb zur korrekten deutschen Straßenbekleidung.“ Derzeit sind wieder einmal bemerkenswert viele rechtschaffene Verfechter von Gesinnungsdressur und diskursivem Leinenzwang unterwegs, um ein beschränktes Repertoire erwünschter („hilfreicher“) Ansichten durchzusetzen, was vor allem so läuft, dass abweichende Ansichten stigmatisiert oder sanktioniert werden. Vier Beispiele.
Die phil.Cologne, „das internationale Festival der Philosophie“, hat den australischen Bioethik-Professor Peter Singer erst ein- und dann wieder ausgeladen, weil er sogenannte „umstrittene“ Ansichten vertritt. Das ist offenbar für einen Philosophen nicht vorgesehen. Singer hält unter anderem die Tötung schwerstbehinderter Neugeborener für diskutabel. Für seinen Ausschluss hatte speziell eine Initiative namens „Kein Forum für den 'Euthanasie'-Befürworter Peter Singer“ getrommelt, deren Aktivitäten sich im Wesentlichen auf Empörungsbekundungen beschränken. Die Leitung der phil.Cologne begründete den Verzicht auf den Austausch von Argumenten mit dem Hinweis auf ihr „humanistisch-emanzipatorisches Selbstverständnis“, welches schwerer wiege als die freie Rede. Eine bemerkenswerte Aussage.
Schäumende Empörung löste im Mai auch eine Kolumnistin des westfälischen Anzeigenblattes „OWL am Sonntag“ aus. Die Diplomsoziologin hatte in ihrer Rubrik „Guter Rat am Sonntag“ einem um selbigen fragenden Leser empfohlen, seine beiden Töchter, sechs und acht Jahre alt, im Zweifel eben nicht an der Hochzeit seines schwulen Bruders teilnehmen zu lassen, wenn er befürchte, dass die Kinder dadurch „verwirrt“ werden könnten. Dies tat sie ausgerechnet in der Woche, als nahezu sämtliche Medien zu einer Kampagne für die Homo-Ehe nach irischem Vorbild (natürlich ohne Volksabstimmung) ansetzten und sie quasi als den Schlussstein der Zivilisation priesen. Nachdem in sozialen Netzwerken ein offenbar gut organisierter Wutsturm ausbrach, übte die Redaktion beflissen Selbstkritik, nannte den Text „eine gravierende journalistische Fehlleistung“ und trennte sich mit sofortiger Wirkung von ihrer Kolumnistin. Der Chefredakteur bedauerte in einer Erklärung, dass der Beitrag „Gefühle verletzt“ habe. Die Kolumne wurde eingestellt. Wer künftig vorsätzlich oder arglistig die Verbindlichkeit der Teilnahme an einer Homo-Trauung bestreiten will, ist hiermit gewarnt. Der grüne Bundestagsabgeordnete Volker Beck, der seine verletzten Gefühle vermutlich kaum mehr zählen kann, verkündete via Twitter Genugtuung über die Abstrafung der Kolumnistin.
Einen Monat zuvor hatten zwei ebenfalls linke Politiker ebenfalls Genugtuung über eine Art Rausschmiss bekundet. Anhänger des 1. FC Köln hatten versucht, den AfD-Vorsitzenden Bernd Lucke samt seiner Frau zum Verlassen des ICE zu zwingen, und zwar mit den Worten: „Wir wollen keine Nazis hier!“ Der SPD-Politiker Sascha Vogt, Mitglied des Bundesvorstands und früherer Juso-Chef, twitterte enthusiasmiert: „Heute mag ich den effzeh gleich doppelt.“ Lob für die Aktion kam auch von Niema Movassat, einem Bundestagsabgeordneten der Linkspartei. Auf Twitter schrieb er: „FC-Fans wollten Lucke aus dem ICE werfen. Verständliche Aktion und danke für den Mut!“ Auf seiner Website stellt sich Movassat vor mit den Worten: „100 % sozial. 100 % friedlich.“ So einer ist auf Bodentruppen irgendwie angewiesen.
Während anderswo das Rausschmeißen in Mode kommt, wollen trendbewusste Münchner gar nicht erst hereinlassen. „Kein Bier für Neonazis“ heißt heute die Parole in der einstigen Hauptstadt der Bewegung. Die Stadt schrieb alle 7000 Gastwirte an und fordert sie auf, rechtsextreme Gäste aus ihren Lokalen, Bierkellern und Hotels fernzuhalten. "München ist bunt! . . . auch in Gaststätten und Hotels“ heißt die Kampagne der Stadt und des Bayerischen Hotel- und Gaststättenverbands Dehoga. Gerade in München bestehe eine historische Verantwortung, „rechte Umtriebe schon im Keim zu ersticken“, versicherte Miriam Heigl von der städtischen „Fachstelle gegen Rechtsextremismus“. Wenn ein Wirt seine Räume „Nazis“ zur Verfügung stelle, werde die Dehoga informiert, die dann mit den Brauereien rede. Die könnten Wirten in solchen Fällen auch die Konzession entziehen. Wie man als anständig Gebliebener veritable „Neonazis“ und ihre rechtspopulistischen Milchbrüder erkennt, wurde so wenig endausdiskutiert wie die Frage, wer eigentlich definiert, was rechts, rechtsextrem oder vollnazi ist. Da der Kampf gegen die Neonazis sich methodisch durchaus an den echten Nazis zu orientieren scheint, böten sich vielleicht deutlich sichtbare Aufnäher auf der Kleidung an?
Solch ideologische Gängelei ist keineswegs auf Deutschland beschränkt. Im vergangenen Jahr rief der „Europäische Rat für Toleranz und Versöhnung“ in einem Statut dazu auf, „konkrete Maßnahmen zu ergreifen zum Kampf gegen Intoleranz“. Der Tatbestand der Intoleranz bestehe bereits, wenn jemand sich zum Beispiel über Feministinnen lustig mache („holding it to ridicule“). Insbesondere die Medien sind gehalten, ihren Beitrag zu leisten: „Die Regierung möge dafür sorgen, dass die öffentlichen Sender (TV und Radio) einen vorgeschriebenen Prozentsatz ihrer Programme der Verbreitung eines Klimas der Toleranz widmen.“
Neuerlich stehen wir vor dem Phänomen, dass die Toleranzerzwinger die Sprache von Diktatoren sprechen - und vor der Frage, wer eigentlich das bunte Sammelsurium von Intoleranzkriterien definiert und ihren Geltungsrahmen festlegt. Natürlich weiß jeder die Antwort: Dafür gibt es in einem Rechtsstaat die Gesetze - und nichts außerdem. Alles andere ist Gouvernantenanmaßung bis hin zum Gesinnungsterror. Längst sind ergebnisoffene Diskussionen durch das Vorzeigen von konformistischen Affekten ersetzt worden. Dass jemand empört ist - oder so tut -, dass jemandes „Gefühle“ verletzt wurden (sofern er nicht gerade ein christlicher heterosexueller biodeutscher Spießer ist), dass sich jemand diskrimiert „fühlt“, gilt als Anklage und Urteilsspruch in einem. Wobei die eigentlichen Absahner die selbst berufenen Anwälte sind. Wenn die freie Rede beschnitten wird, steckt nicht guter Wille dahinter, sondern Machtanspruch, Lobbyismus und Rangelei um staatliche Fördermittel.
Ein freier Mensch sagt, was er meint. Wenn es möglichst viele tun, ist alles gut. Ansonsten droht uns eine Art moderate DDR.
Michael Klonovsky - Erschienen in: Focus 24/2015
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