"Ich klage an: Die
Kultusminister der deutschen Bundesländer. Sie tragen die Verantwortung
für die größte, systematischste, vermeidbarste und gravierendste
Bildungsbenachteiligung an deutschen Schulen. Denn vergleichende
Bildungstests von Neuntklässlern fördern seit den ersten Pisa-Studien
vor 15 Jahren immer wieder in aller Deutlichkeit zutage: Die Qualität
der Schulausbildung weist massive Unterschiede zwischen den deutschen
Bundesländern auf.
Im
letzten Leistungsvergleich 2012 betrug der Rückstand von
Fünfzehnjährigen in Bremen gegenüber vergleichbaren Fünfzehnjährigen in
Sachsen rund zwei Schuljahre. Die gerade abgeschlossene Datenerhebung
2015 wird vermutlich zu ähnlichen Ergebnissen kommen.
Dieser
Sachverhalt ist ein Skandal – eine grobe Benachteiligung von Schülern,
die das Pech haben, im falschen Bundesland zur Schule zu gehen. Schuld
tragen die Kultusminister der entsprechenden Länder. Denn trotz
mancherlei Bemühungen, trotz bundeseinheitlicher Bildungsstandards sind
die Unterschiede zwischen den Ländern nicht kleiner geworden.
Wohlgemerkt:
Die Leistungsstände klaffen auch dann um bis zu zwei Schuljahre
auseinander, wenn sie um unterschiedliche Sozialstrukturen bereinigt
werden. Es liegt nicht daran, dass es in manchen Ländern mehr Kinder aus
Arbeitnehmerhaushalten oder mehr Schüler mit Migrationshintergrund
gibt. Nein, es sind die Schulen, die um bis zu zwei Schuljahre besser
oder schlechter sind. Es liegt an den Schulsystemen und den Lehrplänen.
Für sie tragen die Kultusminister die Verantwortung.
Kultusminister schalten und walten wie Monopolisten
Ein
Kind, das in einem Bundesland schlechter beschult wird als
Altersgenossen andernorts in Deutschland, ist ein benachteiligtes Kind.
Punkt. Seit 15 Jahren wissen wir, dass es in Ländern wie Hessen, Berlin,
Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Bremen Hunderttausende solcher
benachteiligter Kinder gibt. Seit 15 Jahren wissen wir, dass die
Kultusminister die Verantwortung dafür tragen. Und seit 15 Jahren
verhindern diese Kultusminister, dass irgendjemand anders als sie selbst
tätig wird, um die Benachteiligungen abzubauen.
Darüber
wachen die Kultusminister mit Argusaugen. Sie verteidigen ihre
Gestaltungshoheit mit dem Argument des Bildungswettbewerbs. Das klingt
gut, aber worin, muss man fragen, besteht der Wettbewerb? Kinder gehen
üblicherweise da zur Schule, wo die Eltern ihre Arbeitsplätze haben.
Kaum jemand zieht nur deshalb in ein anderes Bundesland, weil dort die
Schulen besser sind. Das Problem ist, dass man den kultusministeriellen
Entscheidungen kaum ausweichen kann. Der Wettbewerb kann nicht wirken,
solange die Kultusminister in ihren Ländern wie Monopolisten schalten
und walten können.
Meine Forderung: Lehrplan-Zwang aufheben!
In
allen Bundesländern erlassen die Kultusministerien die Lehrpläne und
bestimmen so die Lehrinhalte. Die Schulen sind gezwungen, den Lehrplänen
ihres Kultusministeriums zu folgen. Mein Vorschlag ist: Diesen Zwang
heben wir künftig auf. Jede Schule soll sich künftig frei für den
Lehrplan eines beliebigen Bundeslandes entscheiden dürfen.
Das
kostet erst einmal gar nichts. Es kostet nur die Kultusminister einen
Teil ihrer Macht. Ein hessisches Gymnasium könnte nach bayrischen
Lehrplänen unterrichten und das bayrische Zentralabitur abnehmen.
Eine Realschule in Flensburg könnte entscheiden, nach sächsischen
Lehrplänen zu unterrichten, weil Schüler an sächsischen Realschulen
augenscheinlich besonders gut ausgebildet werden. Warum nicht? Warum
sollten Schüler in Schleswig-Holstein nicht dieselben Chancen haben
dürfen wie Schüler in Sachsen? Warum sollte ein hessischer Abiturient
nicht stolz darauf verweisen können, dass er das bayrische Abitur
bestanden hat?
Was
wären die Folgen einer solchen Liberalisierung und Stärkung des
Wettbewerbs? Zunächst einmal würde sich wohl kaum eine Schule für
Lehrpläne eines Bundeslandes entscheiden, das schlechtere schulische
Resultate liefert. Kein Lehrerkollegium könnte dies vernünftig begründen
und die Elternschaft würde sicherlich Sturm dagegen laufen. Also bleibt
man bei den Lehrplänen des eigenen Landes oder man entscheidet sich für
die eines Bundeslandes, dessen Schulen besser sind.
Es
kann freilich für manchen Kultusminister peinlich werden, wenn die
eigenen Schulen fremde Unterrichtsmodelle für besser halten. Damit das
Kultusministerium derart unbotmäßige Schulen nicht mit
unterdurchschnittlicher Lehrerausstattung bestraft, muss die
Wahlfreiheit der Schulen noch mit einem zweiten Element abgesichert
werden: Eine Schule, die nach den Lehrplänen eines anderen Bundeslandes
unterrichten will, muss auch die Lehrerausstattung erhalten, die dort
für Schulen dieses Typs üblich ist. Die Schule muss also einen Anspruch
gegen das eigene Kultusministerium erhalten. Sie darf mit Lehrern nicht
schlechter gestellt werden als in dem Bundesland, nach dessen Lehrplänen
sie unterrichtet.
Sich für andere Unterrichtsmodelle zu entscheiden ist richtig
Das
kann natürlich zu Mehrkosten führen. Manche Schulen werden sich
vielleicht auch deshalb für das Unterrichtsmodell eines anderen
Bundeslandes entscheiden, weil damit ein Anspruch auf bessere
Lehrerversorgung einhergeht. Ist das schlimm? Nein, es ist richtig! Wenn
wir Chancengerechtigkeit für unsere Kinder wollen, dann müssen wir auch
die Benachteiligung abbauen, dass in manchen Bundesländern weniger
Lehrer pro Kind eingesetzt werden. Soviel muss uns Bildungsgerechtigkeit
wert sein.
Wenn
die Schulen frei entscheiden könnten, gäbe es innerhalb eines
Bundeslandes Schulen, die damit werben würden, dass sie besser ausbilden
als benachbarte Schulen. Manche Eltern werden bewusst diese Schulen für
ihre Kinder wählen. Andere werden an den Schulen ihrer Kinder auf
Reformen drängen. Und manche Kultusministerien werden ihre Lehrpläne an
denen erfolgreicherer Länder ausrichten, um nicht von ihren eigenen
Schulen desavouiert zu werden.
Insgesamt
ist das eine win-win-Situation. Erfolgreiche Bundesländer können ihre
Stärken weiter ausbauen – sie müssen keine Nivellierung durch
Zentralisierung fürchten. In den Bundesländern mit den schlechteren
Schulen aber werden Strukturen aufgebrochen und Fortschritte erzielt.
Gewinner sind die Schüler. Verlierer gibt es keine. Es ist ganz einfach.
Wir müssen nur die Macht der Kultusministerien beschneiden. Wir müssen
nur den Schulen die Wahlfreiheit zwischen unterschiedlichen Lehrplänen
gewähren. Dann wird es bald keine Bundesländer mehr geben, in denen
Schüler systematisch um gleichwertige Bildungschancen gebracht werden." Bernd Lucke
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.