Stationen

Dienstag, 23. August 2022

Das Anbräunen funktioniert irgendwann nicht mehr

Tellkamp: Ich komme ja gerade von einer Lesereise zurück, Hamburg, Münster, Karlsruhe, drei sehr verschiedene «Deutschländer». Und in Hamburg merkt man, da ist der Wohlstand noch da, das Clanwesen ist noch da, ein Stadtstaat.

Weltwoche: Gab es Proteste gegen Sie?

Tellkamp: Selbst die Antifa ist zu Hause geblieben, die hat eh schon gewonnen.

Weltwoche: Wie war Münster?

Tellkamp: Ich wusste zunächst überhaupt nicht, was mich erwartet. Hermann Wallmann von der dortigen Literarischen Gesellschaft hatte mich eingeladen. Ich kenne ihn schon ziemlich lange. Der hat früher Lyriktage organisiert und überhaupt sehr viel dort gemacht für diese Kultur, die literarische speziell. Der holte mich ab am Bahnhof. Wir begrüssten uns, ein bisschen Smalltalk. Dann sagt er: «Ja, ich muss Ihnen mal was erzählen, was sich hier abgespielt hat. Nämlich: Ich kriege keine Räume. Die Literarische Gesellschaft hat sich zerstritten. Eine Romanistin, zwei Übersetzer, die nicht kommen werden und die alles ablehnen, was mit dieser Lesung zusammenhängt. Der Kassenwart wird nicht erscheinen. Der weigert sich, hier abends die Kasse zu machen. Ich war in der Stadtpolitik, habe hier interveniert.» Er ist ein verdienstvoller Mann. Er hat nichts gekriegt. Spielort sollte der Saal sein. Der Saal wurde nicht zur Verfügung gestellt. Wir haben in der Kantine gelesen. Hinten war die Bar. Zu einem Drittel gefüllt, waren vielleicht vierzig Leute.

Weltwoche: Das darf doch nicht wahr sein.

Tellkamp: Als Kassenwart hat sich dann Klaus von Wild zur Verfügung gestellt. Das war der behandelnde Arzt von Karajan. Eine Weltkapazität der Neurochirurgie. Der sitzt da an der Abendkasse und reisst dort ab, als wäre sonst was. Dann war das eine relativ geschlossene Lesung. Dann kam die Frau von ihm, die hatte Geburtstag. Die brachte Kuchen und Wein mit und deklarierte das Ganze zur Geburtstagsfeier um. Jedenfalls hat das der Herr von Wild ganz locker genommen. Der sagte: «Das ist jetzt unser bürgerlicher Widerstand.»

Weltwoche: Wahrscheinlich braucht man ziemlich viel Humor, um solche Szenen zu verdauen.

Tellkamp: Ich fand’s eigentlich ganz wunderbar. Und auch diejenigen, die dabei waren. Ach so, noch eins: Die Münsteraner Buchhandlungen haben sich geweigert, einen Büchertisch zu bestücken. Ein Buchhändler von aussen sollte kommen. Schliesslich hat sich doch jemand gefunden, der Freiheit für wichtiger hält als Gesinnung.

Weltwoche: Sie werden regelrecht boykottiert?

Tellkamp: Die Karten sind verteilt, der Riss im Land ist da.

Weltwoche: Der Spiegel hat den Osten einst zu einer Art Naziterritorium erklärt, das Wort von «Dunkeldeutschland» machte die Runde. Was sagen Sie als Ostdeutscher zu solchen Verunglimpfungen?

Tellkamp: Die Bannungsrituale funktionieren hier nicht mehr. Das haben die Ostdeutschen hinter sich. Das kennen sie. Wenn also von oben oder von der Presse zum Beispiel verfügt wird: AfD, das geht gar nicht, dann fragen die erst mal: «Warum nicht?» Dieses Anbräunen funktioniert nicht so richtig im Osten.

Weltwoche: Sachsen steht besonders unter Verdacht der Medien.

Tellkamp: Davon halte ich nichts. Die Sachsen wollen einfach ihre Identität bewahren. Das ist alles. Darüber darf man ja auch reden. Hier in Dresden haben wir ein spezielles Problem. Grosse Teile der Funktionseliten, nicht nur der Kultur, auch im Journalismus, stammen aus dem Westen. Das ist fast wie eine Art Feudalelite in der Stadt. Wohlverstanden: Wir haben die auch gebraucht nach der Wende, mit unseren DDR-Eliten hätten wir das nicht hingekriegt, und die Leute aus dem Westen haben Grossartiges geleistet, aber deswegen muss ich mir von ihnen nicht sagen lassen, was gut ist und was böse. Sie versuchen, die Hoheit darüber zu haben, was anständig ist und was nicht, was man sagen darf, was nicht.

Weltwoche: Rühmliche Ausnahme ist wahrscheinlich Professor Werner Patzelt von der Werteunion, Professor hier an der Technischen Hochschule.

Tellkamp: Aber der ist ja auch rausgeekelt worden. Sein Fehler war, dass er früh erkannt hat, dass in den Aufzügen der Pegida beileibe nicht nur Rechtsradikale anzutreffen sind.

Weltwoche: Das kann ich bestätigen. Ich bin bei einem der ersten mitgegangen. Es war ein Schweigemarsch. Gespenstisch. Ein stummer Protest. Man hat nur die Schritte gehört, und die liefen immer weiter, als ob sie aus dieser Gesellschaft rauslaufen wollten. Dabei ist es doch keine schlechte Idee, das christliche Abendland zu verteidigen und sich für dessen Werte einzusetzen. Die Kirchen tun es ja nicht mehr.

Tellkamp: Später wurde es dann lauter. Aber es wird ja immer behauptet, jeder könne alles sagen. Sagen kann man alles. Aber was kommt nach dem Sagen? Da wurde der Intendant des Dresdner Staatsschauspiels im Deutschlandfunk gefragt: «Was machen Sie denn mit dem Herrn Tellkamp?» Und es hiess: «Ja, wenn er mal anfragen würde, dann würden wir uns zusammensetzen, und dann würden wir ihn vielleicht mal einladen.» So sieht dann bei denen eine Einladung aus. Oder wir hatten jetzt ein Literaturfest in Meissen. Da ruft mich der Kabarettist Uwe Steimle an und sagt: «Haben Sie mal geguckt, was dort ist?» Angeblich das grösste Open-Air-Lesefest. Steimle und Tellkamp ausgeladen, die hätten rote Linien überschritten.

Weltwoche: In der Kritik des Deutschlandfunks an Ihrem Buch hiess es, dass Sie den Ehrgeiz gehabt hätten, das erste ästhetisch relevante Werk rechter Gegenwartsliteratur zu liefern. War Ihnen das bewusst?

Tellkamp: So ein Quatsch. Ich setz mich doch nicht hin und habe einen Vorsatz. Die Aussenwelt kommt auf einen, und man ist nur Filter.

Weltwoche: Ein grosser Reiz Ihres neuen Romans ist seine Unberührtheit oder Ungerührtheit von solchen strategischen Überlegungen, von dem ganzen woken Bewusstseinsgulasch. Von der Genderei, der Sklavensprache, dem Bücken unters Joch angesagter Positionen. Sie leiden nicht an der «Beschreibungsimpotenz», die Peter Handke einst den Strategen der Gruppe 47 vorgeworfen hat. Ihr Buch ist auch ein Abenteuerroman der Sprache. Letzte Frage daher: Wie geht es weiter mit Ihrem Handwerkszeug, mit der deutschen Sprache, an der sich immer mehr dieser Gesinnungsschlosser zu schaffen machen?

Tellkamp: Ich rate dringend dazu, sie in Ruhe zu lassen. Und das woke Zeug lässt sie nicht in Ruhe. Es tut der Sprache Gewalt an.

Weltwoche: Lieber Herr Tellkamp, wir danken Ihnen für das Gespräch.

 

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