...In Rom war es dagegen üblich, Politiker nach Ablauf ihrer Amtszeit zu verklagen. Dass dabei politische Intrigen eine Rolle spielten, um alte Rivalen loszuwerden, ist dabei weniger ein Makel, denn vielmehr eine hilfreiche Ausnutzung niederer menschlicher Triebe im Sinne der Bewahrung der Republik. Die frühneuzeitliche Republik Venedig machte sich diese rigorose Praxis zu Eigen. Dort drohte bereits Admirälen, die eine Seeschlacht verloren, eine Anklage wegen Hochverrats. Die Staatsinquisitoren – nicht zu verwechseln mit denen der katholischen Kirche – stellten den Nachkommen eines Dogen Rechnungen aus, wenn dieser sein Amt nicht ordnungsgemäß geführt hatte. Ein Beispiel dafür ist der Doge Leonardo Loredan, der sein Amt außerordentlich erfolgreich geführt, aber wegen Amtsanmaßung Ärger auf sich gezogen hatte.
Das 19. Jahrhundert verzichtete auf diese Methoden. Sie waren auch nicht nötig, weil die bürgerlich geprägten Gesellschaften von Eliten dominiert wurden, die selbst im Parlament saßen und etwas zu verlieren hatten. Zugleich war die Entstehungszeit von einem Wahlsystem geprägt, das die Massen vom Wahlgang ausschloss. Mit dem Aufkommen der Massengesellschaft sollte die Presse mehr denn je Bedeutung gewinnen, um die Politik einerseits zu kontrollieren und der amorphen Menge eine Stimme zu geben. Mit dem Anwachsen der Wählerschaft auf Millionen verlor der bürgerliche Diskussionsraum an Bedeutung im Vergleich zu Massenkundgebungen oder Radioansprachen.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt war allerdings das Schicksal der gerade erst wachsenden repräsentativen Demokratie besiegelt. Die Presse hätte als „Vierte Gewalt“ die Aufgabe besessen, die aus der vorrevolutionären Zeit bekannten Kontrollmechanismen zu ersetzen. Über „sanfte Gewalt“ wäre es ihre Aufgabe gewesen, die inkompetentesten Charaktere durch Information der Öffentlichkeit wie die Spreu vom Weizen zu trennen. Nicht durch Kampagnen und Wählerbeeinflussung, sondern durch wahrheitsgemäße und faktentreue Darstellung, die dem Bürger klarmacht, wer in bestimmten Themenbereichen tatsächliche Kompetenz hat.
Stattdessen ist die Presse einerseits zum Instrument der Politik geworden, um insbesondere die Masse auf Linie der Regierungspolitik zu bringen. Die öffentlichen Rundfunkanstalten sind Ausdruck dessen – und es ist kein Zufall, dass auf dem bevorstehenden Höhepunkt der Kakistokratie die Krise des ÖRR evident geworden ist. Andererseits hat die Presse längst ihre korrigierende Position zugunsten einer gestaltenden aufgegeben: sie will selbst Politik und Gesellschaft gestalten, statt sie abzubilden. Der Wechsel diverser Journalisten in die Ministerien als Presse – und Regierungssprecher ist aktuell beispiellos. Das Scheitern der Demokratie und ihre Perversion zur Kakistokratie ist damit vor allem dem Scheitern des Journalismus im letzten wie im gegenwärtigen Jahrhundert anzulasten. Marco Gallina
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