Stationen

Dienstag, 14. Dezember 2010

Esprit de Corps





Die konservativen deutschen Studentenverbindungen sind im Wesentlichen die Burschenschaften und die Corps. Beide sind eine Art akademischen Pendants dessen, was in der Architektur als Neogotik bezeichnet wird, wobei die Corps mehr im preußischen Beamtentum verwurzelt sind, als es die Burschenschaften sind. Über die konservativen deutschen Studentenverbindungen wird in den Medien mit hoher Auflage oder Einschaltquote nie ehrlich und schon gar nicht ausführlich berichtet. Die Darstellung wird der Wirklichkeit nie gerecht. Jedenfalls wurde mir in den letzten 35 Jahren kein einziger Fall bekannt, der nicht als ungerechte, herabsetzende Darstellung gelten muss (abgesehen von kurzen Kameraschwenks zur Lebensgeschichte von Asfa-Wossen Asserate). Der Ton solcher Dokumentationen ist immer so, als würde über Einrichtungen berichtet, die sich am Rande der Legalität oder gerade noch im Rahmen des Schicklichen bewegten.


Es handelt sich bei den Studentenverbindungen um sehr eigenartige Gebilde. Sie sind wie Zeitblasen, in denen die merkwürdige, für das deutsche 19. Jahrhundert so typische Verquickung emotionaler Unvereinbarkeiten überlebt und in unsere Zeit geschleust wird, wobei Bismarck immer siegt, Ludwig II dennoch ein paar Weichen stellt und Ernst Moritz Arndt die Farben des demokratisch republikanischen Selbstverständnisses bestimmt. 





Es empfiehlt sich zu diesem Thema als einleitenden Hintergrund die ZDF-Produktion über Napoleon und Robert Blum anzusehen.

Robert Blum und die Revolution

Napoleon und die Deutschen

Tilsit

Karlsbader Beschlüsse

Und Michael Kunzes Buch über Gustav Struve zu lesen.

Der Freiheit eine Gasse

Der Erste, der Deutschland ein bisschen eint, ist paradoxerweise ausgerechnet Napoleon, der die Kleinstaaterei auf ein vernünftiges Maß reduziert. Zum Beispiel säkularisierte er Würzburg, verwandelte das Fürstbischoftum in ein Großherzogtum und fügte es dem Kurfürstentum Bayern hinzu, das er zum Königreich machte. Seit dem sind die Franken gerne Bayern.

Man stößt bei den Studentenverbindungen durchaus auf sehr Positives, das andernorts nur selten zu finden ist; man findet jedoch auch einen Stand der Dinge vor, bei dem gewisse negative, für Deutschland kennzeichnende Merkmale, besonders deutlich zu erkennen sind. Beides lohnt es sich, näher zu betrachten, und beides muss zusammen gesehen werden, um eine plastische Darstellung zu gewährleisten; man sollte auch versuchen, sich vorzustellen, wie sich das Positive und das Negative gegenseitig bedingen. Als Wurzel geben die Studentenverbindungen den Deutschen Idealismus an. Ich würde aber sagen, sie wurzeln in einer Zeit, als das Know How das Gottesgnadentum verdrängte und in einem Ethos, das letzterem dennoch die Treue halten wollte. Der Deutsche Idealismus wurde dieser zwiespältigen Lage selektiv angeschneidert (und zwar haargenau so, wie erst kürzlich Goethe von Wulffs Ghostwriter abermals der akuten Zwiespältigkeit angeschneidert wurde!! ChapeauDas Ergebnis ist entsprechend schillernd. Es sucht in der Biogenetik eine Zuflucht und Projektionsfläche und schwankt zwischen biopolitischen Fantasien, wissenschaftlichen Gewissheiten und Ungewissheiten und theologischen Gewissensfragen.


Nationes


Landsmannschaft




Die deutschen Studentenverbindungen sind im Vergleich zu den Universitäten eher junge Gebilde, auch wenn einige älter als 200 Jahre sind. Die meisten gehen aber auf das deutsche Bürgertum nach 1848, vor allem nach 1870/71, also seit Gründung des "Zweiten" Reichs, zurück und haben mit Auerbachs Keller leider nur soviel zu tun wie die Neogotik mit der Gotik. Um mehr als dies zu sein, ist ihre Geschichte zu kurz und ihr Geschichtsverständnis leider zu amorph und die daraus resultierende geschichtliche Identität zu wirr. Vor allem aber existiert - meines Wissens, aber da lasse ich mich gerne eines Besseren belehren - eben schlicht und einfach kein einziger Fall dokumentierter historischer Kontinuität zwischen irgendeiner noch heute bestehenden studentischen Verbindung und dem, was Goethe beschreibt oder Johann Christoph von Aretin in Benediktbeuern ausgegraben hat. So konservativ und altmodisch sie auch sein mögen, die meisten dieser Verbindungen sind gerade mal etwas mehr als halb so alt wie die USA!! Ihre Entstehungszeit - und auch ihre Entstehungsbedingung - ist im Grunde genommen dieselbe, die auch zu den Fußballvereinen führte. Es ist kein Zufall, dass Eintracht Frankfurt und Concordia Rigensis beide Ende des 19. Jahrhunderts gegründet wurden. Alemannia Aachen dann im Jahr 1900. Auch der Name des ältesten deutschen Fußballvereins - BFC Germania 1888 - spricht eine deutliche Sprache. Auch Borussia lässt keinen Zweifel zu. Germanische Stämme werden zu Studentenverbindungen und Fußballvereinen.


Wie sagte Ernst Jünger so schön? "Konservative, die gerade mal 100 Jahre alt sind, sind genauso wenig wert, wie Revolutionäre, die erst 100 Jahre alt sind."


Aber das Traditionsbewusstsein der Studentenverbindungen ist dafür umso ausgeprägter, wobei ich mich scheue, von Bewusstsein zu sprechen, weil nicht deutlich erkennbar ist, worauf es eigentlich fußt. Denn die Tatsache, dass ein Lied aus dem 18. Jahrhundert (Gaudeamus igitur) "mittelalterlich" klingt, weil es ein Thema anspricht, das schon im 13. Jahrhundert als Bezugnahme auf Seneca anklingt und im Verlauf der Jahrhunderte immer wieder mal Textfragmente mit diesem Anklang zu finden sind, ist ein bisschen wenig. Es ist vielleicht ein bisschen mehr als Neogotik, aber es ist auch nicht richtig Überlieferung und Weiterreichung, es ist kein Strang kultureller Kontinuität.


Ich habe vor 35 Jahren natürlich versucht, mir von Vater und Bruder erklären zu lassen, was für eine Bewandnis es mit diesen Verbindungen habe und welche ihre Geschichte sei, aber ich habe damals immer nur ausweichende, unklare und gereizte Antworten erhalten und hatte immer ein Gefühl, als wenn ich ein unschickliches Thema anspräche. Schleierhaft. Meinen Schwager wagte ich nicht, darauf anzusprechen, weil ich die Lage dadurch nur verschlimmert hätte. Denn dieser war Altherrenvorsitzender eines Corps. Aber mein Bruder war aus diesem Corps ausgetreten, was an sich schon ein Sakrileg darstellt. Denn die Mitgliedschaft bei einem Corps wird als Treuebund angesehen, der das ganze Leben dauern soll! Dieser Gedanke gefiel mir sehr, als junger Mensch. Umso schlimmer empfand ich es, dass jemand aus meiner Familie diesen Treuebund gebrochen hatte. Noch schlimmer war, dass mein Bruder ausgerechnet dann austrat, als mein Schwager Altherrenvorsitzender wurde. Und das Allerschlimmste war, dass er seine Austrittserklärung, ohne vorherige Mitteilung an seinen Schwager oder an seine Schwester, an die Adresse des Corps schickte. Also ein echter Coup de theatre, der ein Schlag ins Gesicht meines Schwagers wurde. Sozusagen von der schlagenden Verbindung zur schlagenden Entbindung meines Bruders.



In meiner Familie war eine derartige Gemeinheit vorgekommen. Ich konnte es nicht fassen. Und ausgerechnet mein Bruder, den ich so liebte, hatte sie begangen. Ich wollte es nicht wahrhaben. Unter anderm auch, weil ich meinen Schwager immer sehr geschätzt habe. Selbst Jahre später noch wurde mir übel, wenn ich nur an diese Episode dachte. Und selbst über 20 Jahre später war es mir immer noch unangenehm, das Thema mit meiner Mutter zu besprechen, die oft auf meinen Bruder zu sprechen kam und mir die mütterlichen Besorgnisse anvertraute.

Man ist sich immer viel zu wenig bewusst, welches Unheil man anrichten kann, wenn man nicht an die Konsequenzen seines Handelns denkt und es zu wenig freimütiges Gespräch gibt. Ich wies meine Schwester einmal darauf hin, dass in unserer Familie immer zu wenig gesprochen worden sei. Das einzige was sie nach ein paar Tagen angestrengten Nachdenkens a propos über die Lippen brachte, war sich hinter der Phrase zu verschanzen, "es sei wichtiger zu handeln". Actions speak louder than words! Vor allem wenn es Aktionen wie die meines Bruders sind, und die paar Worte, die dazu ausgesprochen werden, nur hinter verschlossenen Türen fallen! Dann sprechen die Aktionen allerdings lauter. 


Ich erzähle diese Episode natürlich sehr ungern, denn niemand erzählt gerne Geschichten über die eigene Familie, wenn es Geschichten sind, derer er sich schämt. Aber ich muss diese Geschichte erzählen, weil die Studentenverbindungen sich auf lebenslängliche Verpflichtung, Verlässlichkeit, Treue, schwülstig beteuerte "kompromisslos vornehme Haltung" und Corpsgeist besonders viel zu Gute halten. Aber wie instabil diese Vereinbarung sein kann, habe ich selber miterlebt, und ich habe paradoxerweise darunter mehr gelitten, als die direkt davon Betroffenen. Pfui Teufel!!!




Eigentlich ist es schade, dass diese so "traditionsbewussten" Bünde eine so junge Geschichte haben. Denn all die Verbindungen, die sich im 19. Jh formierten, gehen ja durch die Landsmannschaften indirekt auf die einstigen Nationes zurück, sind von deren Geschichte aber völlig abgeschnitten und leben ihre Tradition - wenn man von klugen Sonderlingen wie Friedrich Hielscher einmal absieht - wie ein im 19. Jh aus dem Nichts entstandenes oder vom Himmel gefallenes (oder von Bismarck mit der Emser Depesche und anderen Taschenspielereien herbeigezaubertes) Etwas. 


Eigentlich beginnen sie de corde et spiritu tatsächlich fast alle erst mit Bismarcks Sieg über Frankreich!! Aber selbst Bismarck wurde aus dem Selbstverständnis gestrichen! Und nicht nur die Paulskirche und das Hambacher Fest, deren Umfeld de facto der Humus ihrer Entstehung war. 
Der deutsche Idealismus wird heute als Fundament genannt. Das hört sich eigentlich gar nicht so schlecht an und hätte sogar richtig sein können. Aber bei näherem Hinsehen und Hinhören entpuppt sich dieses Fundament leider nur als das Terrain, auf dem sich ein Goethezitat meistens so anhört, als sei es von Wilhelm Busch.

Es handelt sich also um eine relativ junge und unklar definierte Tradition, die erst so richtig begann, als Hoffmann von Fallerslebens und Ferdinand Freiligraths demokratische Gesinnung und Wilhelm Müllers nobles Ethos inaktuell wurden und - obwohl deren Lieder zum Teil gesungen wurden (und werden!) - aus der Erinnerung verschwanden, weil das Bürgertum in Deutschland mehr von Berufsadel und Kaisertum als von Bürgerrechten hielt, während die gerade emanzipierten Juden sich auf die Bürgerrechte stürzten.

Als Galionsfigur dieser Entwicklung könnte man Ernst Moritz Arndt sehen (nicht aber seinen Schüler August Heinrich Hoffmann von Fallersleben). Diese junge, und von Anfang an gleichzeitig nostalgische und zukunftsweisende, infolgedessen schillernd und eigentümlich gebrochen wirkende Tradition, die ihr eigenes Alter durch nostalgische Träumerei in die Vergangenheit bis zur Schlacht im Teutoburger Wald zu verlängern bemüht ist, wurde später zweimal (1933 und 1968) erheblich geschwächt, überlebte aber beide Male, obwohl - und zum Teil vielleicht gerade weil - sie keine klar definierte geschichtliche Identität besaß. So als sei Ort ihres Geschehens nicht die Geschichte Deutschlands, die an den Universitäten erforscht und gelehrt wird, sondern ein außergeschichtlicher Raum und ein außergeschichtliches Geschehen, ein vorgeschichtlicher Traum, wie er auch das Werk Friedrich Hielschers durchzieht. 





Friedrich Hielscher hat mit viel Liebe, großer, radikaler Sorgfalt all das in einen schlüssigen, konsequent durchdachten Zusammenhang gestellt, was man im positiven Sinn als "typisch deutsch" oder deutsches Brauchtum oder deutsche Überlieferung oder Germanistische Kulturanthropologie bezeichnen könnte. Also all die Dinge, auf Grund derer es für einen Deutschen eine ganz besondere Lust sein kann zu leben und die ihren Ursprung im deutschen Idealismus, im hercynischen Wald und der gotischen Architektierung der Koniferen, in der deutschen Musik von Luther bis Strauss, in der deutschen Romantik, Goethes pantheistischen Anklängen, von der Vogelweides Versen und Wagners germanischer Minirenaissance haben und zudem aus Sagen, Märchen, Legenden, Sprichwörtern und geschichtlichen Überlieferungen herausgefiltert werden können, und die sich mehr oder weniger unbewusst in unserem Alltag niedergeschlagen haben und dort als unsere kennzeichnenden Eigenarten wirken; so unwägbar dieses Wirken auch sein mag. 
Wobei Hielscher es nicht versäumte, all die heidnischen Elemente, die während des Nationalsozialismus als völkisch bezeichnet wurden, und die heutzutage ethnisch oder neopagan genannt werden, durch mittelalterlich-christliche synkretistische Verfeinerung (und gleichzeitig Vereinfachung und ballastfreie Erleichterung) zu Ende zu denken und mit Meister Eckhardt, Luther, Goethe, Nietzsche und sogar Matthias Claudius in eine Linie zu stellen. Diese christliche Verklärung germanischen Brauchtums bewirkt bei Hielschers unbefangen der Vox Populi lauschendem Ohr gleichzeitig eine Germanisierung der Jesusfigur, die dem einen oder andern saures Aufstoßen bereiten wird. 


Aber Hielscher hat eigentlich nur germanistisch verquickt, indem er die für uns Deutsche kennzeichnenden Assoziationsketten ernst nahm und diese Welt der Empfindungen und der Fantasterei aufgriff und miteinander verknüpfte. Man könnte auch sagen, er machte mit dem wahren Kern der Legenden ernst (auch mit dem der Legende von Jesus Christus; wie er auch anderen Religionen gegenüber leineswegs verschlossen blieb und sie auf Bereicherungen hin untersuchte). 


Denn jedes Land hat aus dem Gott der Bibel eine eigene Vorstellungswelt abgeleitet. Die römisch katholische Kirche hat den heterogenen Entwicklungen immer entgegengewirkt (oder sie den Ideen der beiden großen Vertreter der Gens Anicia - Gregor der Große und Benedikt von Nursia - gemäß durch Umdeutung in den christlichen Deutungskosmos eingebunden, wie vor allem mit Fasching, Johannistag und Weihnachten bekannt). 





Hielscher hob diese Eigenheiten nun hervor, ohne dabei die christlichen Elemente auszufällen. Bei aller Romantik und Deutschtümelei ging er dabei derartig scharfsinnig vor, dass man fast sagen könnte, er machte indirekt auch mit den - erst Ende der 70-er Jahre des 20. Jahrhunderts formulierten - 10 Geboten von Dr. Paul Schulz ernst! Die damaligen Ideen von Schulz waren ja auch nicht so sehr anders als die von Mathilde Ludendorff!


Gottgläubig









Der Engländer Tolkien griff germanisch-keltische Bilderwelten auf, um die Menschen durch fantastische Geschichten träumen zu lassen. So verrückt und verzückt, mit germanisch-keltischen Traumrequisiten Ernst zu machen und diese Bilder in ein geistig-geistlich-politisches Programm umzusetzen, kann man vielleicht nur als Deutscher sein. Zumindest sehen das die Engländer sicherlich so. Man könnte Hielscher eigentlich am besten als radikalen germanistischen Fundamentalisten bezeichnen. Fundamentalisten sind normalerweise Fanatiker. Aber Hielscher ist nie ein Fanatiker gewesen. Davor bewahrte ihn nicht nur Nüchternheit und eine bezaubernde Spiritualität, die einen tatsächlich an Eckhart und Bach erinnern kann, sondern auch das vielleicht beste Antidot, das man sich überhaupt denken kann: Selbstironie.




Das Ergebnis von Hielschers Arbeit ist ein Begriff einst zeitgemäß-unzeitgemäßer, bei aller Hingabe dennoch unpathetischer deutscher Spiritualität, die sich durchaus sehen lassen könnte und auf Augenhöhe gegenüber Atheisten oder Kirchen eine eigene, eigentümliche, nüchterne und dennoch bewegende Würde und Daseinsberechtigung für sich beanspruchen könnte; ob man so etwas nun mag oder nicht. Hut ab vor der Eleganz und Folgerichtigkeit mit der Hielscher diese Leistung erbrachte, auch vor der sprachlich hervorragenden Darstellung dieser durch und durch irrationalen und doch wohl durchdachten Welt, die von großer pararationaler - oder, wie Konrad Lorenz sagen würde - ratiomorpher Intelligenz zeugt.


Es ist interessant, Hielscher mit Schulz zu vergleichen, der bisher der letzte Deutsche ist, der versucht, im theologischen Alleingang eine neue Glaubensära einzuleiten. Schulz hat ein brauchbares Konzept für eine neue Epocheneinteilung geschaffen, die mit dem Humbug der "Postmodernität" Schluss macht und schlüssigere Begriffe anbietet. Hielscher dagegen hat ästhetische Formen und Formeln geschaffen, die in altüberlieferten Eigenheiten wurzeln und im deutschen Volksempfinden immer noch so sehr auf einen Resonanzboden stoßen, dass millionenfache Klicks in YouTube bei Themen, die germanistische Kulturgeschichte betreffen, die Regel sind. So wie die Gebrüder Grimm Märchen sammelten, sammelte Hielscher deutsche Empfindungen. So etwas gelingt nur einem begabten Künstler. Denn diese Materie ist in besonderer Weise unwägbar und jeder Wissenschaft unzugänglich, aber gerade der sichere Griff ins Unwägbare macht bei einem solchen Unternehmen den Meister.


Nur erinnert Hielschers Unbefangenheit eben ein bisschen sehr an die Unbefangenheit während des Nationalsozialismus, obwohl sich Hielscher gegen dessen Deutungshoheit sperrte. Aber man weckt schlafende Hunde ja nicht aus Übermut.


Ich nenne Hielscher auch nur deshalb, weil all das, was in seinem Bilder- und Begriffskosmos eine Rolle spielt, all die schillernden Leitwerte und Bezugsrahmen, im Grunde genau dieselben sind, an denen sich auch die Studentenverbindungen orientieren und erfreuen, nur dass bei letzteren dieser Orientierungsprozess unwillkürlich und unterbewusst von statten geht und die Bezugs- und Anhaltspunkte, die dabei eine Rolle spielen, alle wie Kraut und Rüben durcheinander liegen und eine genauer umrissene Gestalt des Identitäts- und Traditionsbegriffs und der fundamentalen Ideologeme erst seit ein paar Jahren erkennbar ist, also seit Rechtsextremismus wieder salonfähig ist und ehemalige Linksextremisten wie Mahler und Rabehl in den neuen Oasen des Rechtsextremismus Asyl fanden, wodurch die alte Priorität von 1870/71 gegenüber 1848 wieder aktuell wird und die gebrochene Tradition zumindest in dieser Hinsicht geschient wird. 


Die für Identität, Orientierung, Begeisterung und Ergriffenheit relevanten Themen sind bei den Studentenverbindungen praktisch dieselben wie bei Hielscher, der ja nicht zufällig Schriftleiter der "Deutschen Corpszeitung" war. Und dass diese sehr konservativen Studentenverbindungen offiziell unpolitisch sind, politische Mandate (außer hochschulpolitischen) ablehnen und zur Tagespolitik nicht Stellung nehmen wollen, passt auch in ein Bild, das etwas an Seeckts Reichswehr erinnert, die sich als politisch neutrales Instrument verstehen wollte. 


Es sind keine Geheimbünde, es sind keine Sekten, und dennoch spielt Diskretion, Zurückhaltung und reservierte Privacy bei den Studentenverbindungen eine Rolle, die nicht nur an wissenschaftliche Objektivität erinnert, sondern auch an sektiererische Geheimbünde, zumal sich in diesen familienartigen Gebilden alle untereinander duzen, von den Neuzugängen im ersten Semester bis zu den pensionierten Alten Herren. Man tut aber gut daran, dies nicht gleich als Verdachtsmoment zur Kenntnis zu nehmen, sondern als liebenswerten Zug echter Herzlichkeit. Denn bei aller weltanschaulichen Toleranz, zu den besonders entschlossen bekämpften Feinden sowohl Hielschers als der Studentenverbindungen gehörten stets Atheismus und Materialismus (genauer gesagt ging es dabei um die einstigen Antagonisten des Idealismus! heute könnten ganz andere -ismusse als Hauptgegner des Idealismus angesehen werden!!!). Für Hielscher waren es DIE erklärten Feinde, bei den Verbindungen stehen sie als solche nicht unbedingt im Statut, aber unausgesprochen gilt ihnen im Prinzip auch dort zumindest eine Art prononcierter Widerwille, der mittlerweile allerdings der Resignation vor dem Zeitgeist gewichen sein mag, was wiederum zusätzlich am ohnehin vage definierten Traditionsbegriff zehrt. Damen sind übrigens nur ab und zu berechtigt, an den Veranstaltungen der Studentenverbindungen teilzunehmen.


Das Unausgesprochene spielt also eine Rolle! Auch wenn es übertrieben wäre, von Sekten oder Geheimbünden zu sprechen. Seilschaften bilden sich jedoch, Überschneidungen mit den Freimaurern sind anzunehmen, und wenn das Wort "Beziehungen" irgendwo wichtig ist, dann hier. Es sind also gewisse sektiererische Züge zu beobachten, und es handelt sich gewiss um eine Form der Gesinnungsrekrutierung, durch die konservative Akademiker Nachwuchs selektieren. Wobei es aber im Allgemeinen nicht um politische Militanz geht, sondern schlicht und einfach darum, dass man eine Praktikantenstelle eben lieber jemandem gibt, dessen Gesinnung man teilt und der Achtung vor dem Alter hat. Und Achtung vor dem Alter gibt es in Deutschland eben tatsächlich nur noch in sehr konservativen Kreisen. Es gibt also sehr gute Gründe für diese konservative Gesinnungsrekrutierung, die man auch als Selbsthilfegruppe bezeichnen kann. Gute Beziehungen sind noch lange keine Korruption und auch kein Geheimbund.


In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die Mitglieder dieser Männerbünde es zwar als Selbstverständlichkeit ansehen, dass Staaten Geheimdienste besitzen, die vor den Schranken, die die Privatsphäre schützen sollen, gewiss nicht halt machen, und dass man nicht davon ausgehen kann, von den Geheimdiensten anderer Staaten nichts befürchten zu müssen, bloß weil man sich "nichts zu Schulden kommen lässt". Eine völlig realistische Einstellung also.


Dieselben Männer, die dies für eine Selbstverständlichkeit ansehen, gehen aber davon aus, dass ein Überwachungsstaat - zumindest ein deutscher Überwachungsstaat mit deutschen, folgsamen und gesetzestreuen Beamten - grundsätzlich ungefährlich sei, solange es ein Rechtsstaat bleibt. Ausgerechnet in Deutschland! Wo der Michel so willig ist und erst kürzlich schon zwei mal bewiesen hat, dass er ungerechte Gesetze besonders gehorsam befolgt!!


Die Gefahr, dass eine - wie auch immer geartete - Kaste des informationstechnischen  Know-hows, spurenlos im toten Winkel des Analogieverbotes agieren könnte, oder die viel banalere Gefahr, dass ein politischer Gegner, dem es nicht genügt, dass sich jemand "nichts zu Schulden kommen lässt", Regierungsmacht erlangen könnte, sehen sie bisher anscheinend nicht. Aber das könnte sich schnell ändern. Ursula von der Leyen wird ja mittlerweile gerade von der extremen Rechten (wie auch von der extremen Linken) als Zensursula bezeichnet. Dennoch wird in Kreisen wie denen der Studentenverbindungen ein Phänomen, das ambivalenter nicht sein könnte (ich meine Wikileaks) mit naturgewaltiger Regelmäßigkeit nicht in seiner ambivalenten Tragweite untersucht, sondern instinktiv als beunruhigender eingeschätzt, als das, was Wikileaks versucht als Res Publica zu beleuchten. Der arme Cicero, dessen Kopf und abgehackte Hände auf der Rednertribüne der Rostra ausgestellt wurde, scheint sein Leben umsonst beim Kampf gegen Machtkonzentration aufs Spiel gesetzt zu haben. 

Friedrich Hielscher


"Und daher kommt es denn auch, dass man der Pflanzenwelt eines Landes einen Einfluss auf die Gemütsart seiner Bewohner zugestanden hat. Und gewiss, wer sein Leben lang von hohen ernsten Eichen umgeben wäre, müsste ein anderer Mensch werden, als wer täglich unter luftigen Birken sich erginge. Nur muss man bedenken, dass die Menschen im allgemeinen nicht so sensibler Natur sind als wir andern, und dass sie im Ganzen kräftig vor sich hin leben, ohne den äußeren Eindrücken so viele Gewalt einzuräumen. Aber so viel ist gewiss, dass außer dem Angeborenen der Rasse sowohl Boden und Klima als Nahrung und Beschäftigung einwirkt, um den Charakter eines Volkes zu vollenden. Auch ist zu bedenken, dass die früheren Stämme meistenteils von einem Boden Besitz nahmen, wo es ihnen gefiel und wo also die Gegend mit dem angeborenen Charakter der Menschen bereits in Harmonie stand." Johann Wolfgang Goethe

Diese Worte Goethes beinhalten den Leitgedanken, der Hielscher antrieb, der bei den Studentenverbindungen auf Resonanz stößt und der heute die Neue Rechte bei der Stichwortgebung inspiriert, wenn es darum geht, Ethnopluralismus von Pluralismus zu unterscheiden und die Kultur-Evolution biologistisch zu erörtern.


Goethe und die Rassenökologie


Neue Rechte


Das einzige, woran die Tradition der Studentenverbindungen wirklich  unbefangen, rückhaltlos und dezidiert anknüpft, ist - außer dem "Idealismus" - der patriotische Einheitsgedanke, die alte deutsche Sehnsucht, die Zerrissenheit endlich für immer abzustreifen: "über alles" liebt man in Deutschland tatsächlich die Einheit. In dieser Hinsicht nie halbherzig gewesen zu sein, solange es die DDR gab, gehört daher gewiss zu den ideellen Verdiensten dieser konservativen Studentenverbindungen. 


Und es ist auch die Kyffhäusersage, die die junge Tradition der Studentenverbindungen am wirkungsvollsten als irrationale Protese künstlich in die Vergangenheit hinein verlängert. Fehlende Geschichte wird durch einen bezaubernden Geschichtsmythos ersetzt. Wie zu Anfang gesagt, siegt Bismarck auf eine Weise, auf Grund derer 1870/71 im Herzen bleibt und 1848 nicht einmal in der Erinnerung. Obwohl Schwarz Rot Gold eigentlich zur eigenen Vorgeschichte gehört, ist die Flagge, die tatsächlich besser zum Selbstverständnis der Verbindungen passt Schwarz Weiß Rot!


Der eigentliche Herr der Erinnerung aber wird nicht der intelligente eiserne Kanzler, sondern der sensible sanfte Ludwig II von Bayern mit seinen neogotischen und die Sage. Sittlichkeit, Standhaftigkeit und Treue, also ritterliche Tugenden, waren die Werte, die Ludwig heilig waren (ob er auch danach gelebt hat, ist eine andere Frage). Sittlichkeit, Standhaftigkeit und Treue sind auch die Werte, die den Studentenverbindungen wichtiger sind als andere Werte, einschließlich der Demokratie. Im Grunde sind die Studentenverbindungen bürgerliche, romantische, meist biedere Vereine mit neogotischen Fantasien, bei denen starkes Gefühl eines der wichtigsten Leitmotive ist und eine ebenso große Bedeutung hat, wie im Leben Ludwigs II.


Es sind Gefühlsvereine, die mit ihren, mal deutschen ("Treu allzeit, in Freud und Leid!"), mal lateinischen ("Amico pectus, hosti frontem!") programmatischen Wahlspüchen dem Schicksal gegenüber Stil und Einstellung formulieren und mit ihren Wappen, Kostümen, "Zipfeln", "Bändern" und "Zirkeln" den Adel genauso imitieren, wie Ludwig mit Neuschwanstein das Mittelalter imitierte.


Dieses schillernde Interim, zwischen Fisch und Fleisch, zwischen Adel und Bürgertum, wird zum Generalschlüssel, mit dem der Rest der deutschen Geschichte erschlossen wird und Quedlinburg, Braunschweig, Merseburg, Trifels, Goslar... Perlen einer Kette werden, deren Verschlussstück aus einer diskret im Nacken getragenen Kamee von Neuschwanstein besteht.


Die erst im 20. Jahrhundert - sozusagen als privates Studenten-Neuschwanstein - erbaute Wachenburg lehnt sich mit ihren romanischen Triforien nicht zufällig etwas an die Kaiserpfalz von Goslar an. Auch in architektonischer Hinsicht ist die Tradition also ein Artefakt, und am Ende wirkt selbst Harry Potter authentischer und sogar antiker als die deutschen Studentenverbindungen, denn Hogwart hat eine Menge Gemeinsamkeiten mit Cambridge, und die dort zahlreichen Colleges sind eben tatsächlich antik und haben tatsächlich eine über 500 Jahre alte Tradition, die sich in Mrs Rowlings Büchern auf bezaubernde Weise niedergeschlagen hat. Zum Beispiel das King's College kann Alumni aus 5 Jahrhunderten nennen, von John Frith (1533) über John Maynard Keynes bis zu den King's Singers.


Kings - History





Hogwart? Nein, King's College
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Kyffhäusersage

Es ist eigentlich schade, dass die Tradition der Verbindungen so jung ist, ich finde es bedauerlich, dass bis ins 19. Jahrhundert zurück ehemalige Angehörige von Corps und den Landsmannschaften, aus denen die Corps (man beachte den Französismus, der durch den Gegner, dem man damals seine patriotische Identität verdankte, ins Land getragen wurde) entstanden, genannt werden können, nicht aber Angehörige von den Nationes, die so alt sind wie die Universitäten (die Albertusburse in Freiburg ist eine blasse Ausnahme). Es liegt vielleicht daran, dass Deutschland erst während des 18. Jhs - als Italiens kulturelle Bedeutung endgültig abnahm und nur noch die Grand Tour daran erinnerte - eine Vielzahl überragender kultureller Leistungen bieten konnte und erst während der industriellen Entwicklung des 19. Jhs deutsche universitäre Kultur Weltruhm erlangte. So kommt es vor, dass auf Herrmann den Cherusker schwülstig Bezug genommen wird, die Corps jedoch nicht in der Lage sind, als Stationen der das eigene Corps betreffenden Tradition Persönlichkeiten oder Daten zu nennen, die weiter zurückreichen als bis ins 19. Jahrhundert. Mit den Scholaren, die die Carmina Burana schrieben, verbindet sie keine dokumentierbare Kontinuität, trotz Gaudeamus Igitur und Salamanderreiben.

Salamander (Ritual)

Burse

Die Burschenschaften - das deutsche Wort Bursche ist eine direkte Ableitung des lateinischen "bursa" - sind ein klein bisschen älter als die mit Code Napoleon, Egalité, Frederic le Grand, Kaiser und Difference kockettierenden und vage zwischen Bürgerrecht und Monarchie verorteten Corps und vielleicht auch etwas mehr und eindeutiger auf die Tradition revolutionärer Purzelbäume stolz, weil gerade sie die Farben Schwarz Rot Gold während der Befreiungskriege gegen Napoleon verbreitet haben, als Studenten noch mit der bürgerlichen Revolution von 1948 sympatisierten und als Alte Herren die Purzelbaumdrehung beendeten, indem sie der Restauration dienten.

Auch bei ihnen ist die Demokratie auf Grund dessen kein verbindlicher, unverzichtbarer Grundwert, der fest in Selbstverständnis und Geschichtsbewusstsein als Erinnerung an die Entstehungsgeschichte verankert wäre, sondern nur die vage Erinnerung an eine Art Dominoeffekt, als man zur Zeit von Napoleon I + III den Franzosen ihre eigene Melodie vorspielen wollte und zugleich eine Art unverbindliche Selbstverständlichkeit gegenüber dem Stand der Dinge in der heutigen Gegenwart.

Betont werden bei Corps und Burschenschaften als verbindliche Werte vor allem vaterländische Gesinnung, konservative Sittlichkeit, Standhaftigkeit und Treue (die Verbindung ist ein Lebensbund, alle duzen sich und besonders zwischen Leibbursch und Leibfuchs besteht eine enge dauerhafte Beziehung). Innerhalb dieses Rahmens kommt hinzu: weltanschauliche, vorbehaltlose Toleranz, die einerseits bei Friedrich dem Großen anknüpft und andererseits Ausdruck wissenschaftlicher Objektivität sein möchte (diese Toleranz muss man sich als aufs Panier genähten Leitwert vorstellen und dabei im Kopf haben, dass auf dem Fahnenmast jedoch etwas ganz anderes eingebrannt ist, nämlich dass für politische und religiöse Fragwürdigkeiten kein Platz ist! Die Studentenverbindungen sind etwas doppelbödig und dabei nach außen offen und nach innen verschlossen, so ähnlich wie die katholische Kirche unter Woytilas Führung wurde; die Tatsache, dass Feinde der Toleranz nicht toleriert werden können, ist nun mal ein Dilemma mit dem jeder fertig werden muss, dem die Verteidigung der Toleranz besonders am Herzen liegt. Jede Kirsche hat ja einen harten Kern, und jede Institution hat einen harten Kern. Das war in der römischen Republik der Diktator, der im Ernstfall die Aufgabe der Kollegialkonsuln übernahm. In der Weimarer Republik war es der Paragraf 48, in unserer freiheitlichen Grundordnung sind es die Notstandsgesetze. Und jedes gesellschaftliche Gemeinwesen hat ebenfalls einen Kern der Härte. Die schlagenden Verbindungen scheinen den Ehrgeiz zu haben, spartanische Tugenden zu pflegen) und drittens wohl auch einem Do ut des! entspricht, insofern die Medien - sofern sie überhaupt von den Verbindungen Notiz nehmen - sich gegenüber diesen anachronistischen Vereinen meist zu Schmähungen veranlasst sehen, kaum mal richtig hinsehen, nie positive Aspekte unter die Lupe nehmen und immer ein paar abfällige, herablassende und ungerechte Bemerkungen zum Fazit machen. Zum Beispiel, es gehe bei den Zusammenkünften ums Saufen. Hieran ist wahr, dass Freude am Rausch bei jungen Semestern, also bei Männern in ihren "wild years" nicht verpönt ist, obwohl Sittlichkeit, gute Manieren und das "Abstoßen ungehobelten Verhaltens" zu den Aufnahmebedingungen gehören.

(Dieser Punkt beleuchtet einen Aspekt, der am deutlichsten eine tatsächlich vorhandene alte Tradition betrifft und gleichzeitig anschaulich macht, wie sehr diese Tradition sich zum Besseren entwickelt hat, wenngleich der eine oder andere es als Verschlechtbesserung bezeichnen wird, da die Impfwirkung von einst mittlerweile zu sehr verhallt sein könnte: Deposition)

Hierzu auch Prinz Asfa-Wossen Asserates Ansicht

Im Gegenteil, gerade im Rausch zeigt sich ja die Sittlichkeit eines Menschen (in vino veritas), und die Sittlichkeit hat einen hohen Stellenwert bei den Verbindungen.

Ich vermute, dass der größere Teil der Studentenverbindungen dem gemäßigten konservativen Parteienspektrum nahesteht; ich glaube allerdings nicht, dass es sich bei den rechtsextremistischen Verbindungen nur um eine kleine Minderheit handelt. Interessant ist, dass gerade die Burschenschaften, die ihren Ursprung zum Teil in demokratischen Bestrebungen hatten, heute mehr zum Rechtsradikalismus neigen als die - im Sinne Hans von Seeckts - von Anfang an eher unpolitischen Corps, die von Anfang an im preußischen Beamtentum verwurzelt waren! Die Burschenschaftler haben in höherem Maße ein Selbstverständnis als politisch Eingreifende. Genauere statistische Untersuchungen, wie sie der Verfassungsschutz vermutlich durchführt, sind mir allerdings nicht bekannt.

Davon einmal abgesehen scheint mir wirklich negativ an den Verbindungen nur die etwas weltfremde, irrationale Identität zu sein, die sowohl geschichtlich, wie kulturanthropologisch und weltanschaulich auf Anspielungen fußt, bei denen der Vater des Gedankens auf bestürzende Weise oft reines Wunschdenken ist und die Tradition wie von einem Schlangenbeschwörer dazu veranlasst wird, sich aufzurichten, wobei aber immer wolkig und amorph bleibt, was mit Tradition gemeint sein soll und die Bezugnahme auf den Deutschen Idealismus mit quasireligiösem Eifer in den Vordergrund gestellt wird, dabei aber ebenfalls quallig, trübe und unkonturiert bleibt und durch die Kyffhäuser Fantasien ergänzt wird. Daraus resultiert ein Traditionsbegriff, der den Eindruck eines undefinierten Agglomerats aus romantischen Anklängen weckt und wie ein ewig prekärer Embrionalzustand wirkt. Die klarste Konstante und das beste Element dieses Traditionbegriffs scheint mir das Ethos der Pflichterfüllung, der Leitungsmotivation, der Gesetzestreue und der Achtung und Freundschaft gegenüber der Seniorengeneration zu sein. Immerhin! Außerdem ist die Konstanz selbst, in einer Epoche der Abnutzung und Kurzlebigkeit, an für sich schon ein Wert, dessen Kostbarkeit gar nicht genug beachtet werden kann!! So sehr die Constantia für außenstehende Beobachter auch wie Stagnation aussehen mag, für einhaltgebietende, unnachgiebige Konstanz, die nicht aufgeben will, gibt es von meiner Seite erst einmal grundsätzlich Vorschusslorbeer, Wertschätzung und auch Achtung. Wie weit diese gehen kann, ist eine Detaillefrage, bei der sich allerdings auch herausstellen kann, dass es sich bei der Konstanz nur um Unbelehrbarkeit handelt, die mich dazu bewegt, mich wieder abzuwenden.

Dass die Corps sich nicht dafür interessieren, ob und inwiefern und bis zu welchem Grad einstige Mitglieder durch Eifer während des Nationalsozialismus auf eine Weise gewirkt haben, die rufschädigend für die Verbindung sein könnte, ist auch nicht gerade ein Ruhmesblatt und bestimmt kein Zeichen für Ehrenhaftigkeit oder sittliche Reife. Man könnte auch sagen, so spartanisch sie auch sein mögen, sie sind nicht spartanisch genug. Andererseits sind aus ihren Reihen vermutlich auch Männer des Widerstands hervorgegangen. Und dass sie nicht damit hausieren gehen und nicht an lärmenden Selbstdarstellungen teilnehmen wollen, die andere, der eigenen moralischen Eitelkeit zu Liebe, instrumentalisieren könnten, kann ich verstehen. Was wie Gegeimniskrämerei wirken kann, ist manchmal nur Diskretion. Aber es ist fürchterlich, wie dicht das Gute und das Grauenhafte aneinandergrenzen kann. Friedrich Hielscher wurde nach dem 20. Juli verhaftet, frei kam er, weil er in einer unheimlichen Gestalt wie Wolfram Sievers einen Fürsprecher fand.

Die Berührungsangst mit der Vergangenheit und die Zurückhaltung gegenüber der Bestrebung, zu untersuchen, ob wirklich auch alle lupenrein waren, kann man - nicht ganz ohne guten Grund übrigens... "Dracus dormiens numquam titillandus" - auch bei der evangelischen und der katholischen Kirche und vielleicht allen konservativen Einrichtungen beobachten, gerade dort, wo tatsächlich Widerstand geleistet wurde.

Unter anderm, weil alle konservativen Einrichtungen irgendwann Erfahrungen mit dem vitalen Antagonismus des Judentums gemacht haben und sich auch jetzt nicht über den Tisch ziehen lassen möchten. Da Auschwitz wie ein Vergrößerungsglas wirkt, wenn die Ablehnung von Juden durch Nichtjuden oder gar eine erklärte, kulturell motivierte Gegnerschaft betrachtet wird, fällt es uns heute sehr schwer, unbefangen und unvoreingenommen in die Vergangenheit zu blicken und Konfliktlagen ohne Schwarz-Weißmalerei zu beschreiben.

Man hört es nicht gerne, aber Kritik an jüdischer Kultur und Denkart ist noch lange kein Antisemitismus (genau wie Kritik an Israel oder an einer israelischen Regierung noch lange kein Antizionismus ist). Antisemitismus ist noch keine Judendiskriminierung, Judendiskriminierung ist noch keine Judenverfolgung, Judenverfolgung ist noch kein Judenmord, und Judenmord ist noch kein Völkermord. Dass aus dem einen innerhalb weniger Jahre das andere werden kann, das haben wir allerdings erlebt. Und dass diese Eskalation in Deutschland stattfand, muss einen Deutschen natürlich wachsam machen. Die Warnung "Wehret den Anfängen!" ist nur zu berechtigt und soll ernst genommen werden. Aber sie darf andererseits nicht dazu führen, dass Juden, jüdische Kultur und jüdische Denkart grundsätzlich gegen jede Form der Kritik abgeschottet werden und auch die lauterste, bestgemeinteste Kritik zum Sakrileg wird und daher durch Tabuisierung erstickt.

Denn gerade hierdurch wächst die Gefahr, dass aus dem einen mit schwindelerregender Geschwindigkeit das andere wird. Niemand tut gut daran, so zu tun, als könne er kein Wässerchen trüben und sei über allen Zweifel erhaben, auch die Juden nicht. Nichts ist unheilvoller für eine Gruppe von Menschen als das Korrektiv der Kritik aus dem gesellschaftlichen Leben auszublenden. Dass panikartige, hysterische Reaktionen die Regel sind, sobald das Judentum als Pauschalbegriff in Betracht genommen wird, wenn das Judentum also, noch vor jeder Kritik, nur als Gegenstand, den bestimmte Besonderheiten kennzeichnen, zum Gesprächsthema wird, empörte Ablehnung wie ein Reflex hervortritt, ist ein bedenklicher und besorgniserregender Zustand. Als Reaktion auf diese Feststellung höre ich schon den sarkastischen, spöttischen Vorwurf, ich sei wiedermal einer von denen, die zu verstehen geben wollten, die Juden seien selber Schuld am Antisemitismus.

So weit würde ich nun wirklich nicht gehen, obwohl gewisse Abneigungen nicht auf Vorurteilen zu fußen scheinen, sondern Grundeigenarten der Menschheit darstellen könnten: ich meine Abneigungen, wie sie von Anderen gegenüber Preußen, Japan, Sparta und Deutschland gehegt werden, die also mit der Empfindlichkeit gegenüber Härte zusammenhängen. Da schwingen Grundhaltungen mit, die vermutlich zeitlos sind, und das gilt wahrscheinlich auch für die Juden und für Israel. Denn der Antijudaismus ist eine ganz besonders konstante anthropologische Konstante. Ich halte auch den Gedanken, dass Juden die Ablehnung, auf die sie immer wieder stoßen, zum Teil durch eigene Fehler hervorrufen, für plausibel und sogar naheliegend. Dieser Gedanke ist ja innerhalb des Judentums auch ein alter Hut. "Risches machen" ist der intern überlieferte Ausdruck für die Unbedachtheit und ungeschickte Gedankenlosigkeit durch die man Unwillen gegenüber den Juden weckt. Paradoxerweise achtete man vor der Schoah aufmerksam darauf, in dieser Hinsicht nicht in Fettnäpfchen zu treten, während man nach der Schoah in so hohem Maß davon auszugehen scheint, ein Guthaben an Schuldscheinen für unschuldig erlittene Qualen zu besitzen, dass der eine oder andere Jude nun zu glauben scheint, er könne sich auf Grund dessen heute alles erlauben, denn man schulde ihm schließlich Verständnis, Nachsicht, Billigung und Toleranz.

Nein, ich will nicht darauf hinaus, dass die Juden sich immer alles selber einbrocken, ich teile aber auch nicht die - in jüdischen Kreisen leider nicht selten anzutreffende marxistoide und wehleidige Ansicht - Juden seien das Ergebnis des Antisemitismus. Ich würde sagen, sie sind es auch, aber doch nicht ausschließlich oder auch nur in überwiegendem Maße. Auf genau diese Behauptung stößt man aber immer wieder, zumindest bei Autoren, die zur Linken des Judentums zu rechnen sind. Eugenio Saracini bringt es sogar fertig, auf die von ihm selbst gestellte Frage, was ein Jude überhaupt sei, mit dieser abstrusen Formulierung zu antworten und die Juden somit implizit passiv zu definieren. Egal von welchem Volk in den letzten 2000 Jahren judenfeindliche Impulse ausgingen, die eigentliche Konstante dabei war immer ein passives Element? Und das bei einem Volk, das so gern Initiative ergreift, so viele historische Protagonisten hervorgebracht hat und wie kein anderes Volk seine Identität geschichtlich definiert? Also es gibt für alles eine Grenze, auch für das nachsichtige Verständnis, das man als Jude beanspruchen darf.

Urburschenschaft

Burschenschaft Danubia München

Geschichte der Studentenverbindungen

Repertorium Academicum Germanicum





Die italienischen Goliardi sind ebenfalls in einer Minderheitenposition. Ihre offiziellen Vereine sind zum größten Teil noch jünger als die deutschen. Der älteste historische Bericht über eine ihrer Eulenspiegeleien ist gerade mal aus dem Jahr 1820. Sie tun so, als existiere eine ungebrochene Tradition die bis ins Mittelalter zurückreicht, aber daran ist nichts wahr. Sie wurden anlässlich der 800 Jahrfeier der Universität Bologna ins Leben gerufen und gehören ein bisschen zur Befindlichkeit des Risorgimento, und ein kleines bisschen wurde auch Italien von der englisch-deutschen Mode der Neogotik erfasst.

Die Goliardi nehmen ebenfalls ein bisschen auf eine Zeit nationalen Wiedererwachens Bezug, und sie fingen wahrscheinlich an, sich zwischen der Zeit Napoleons und Radetzkys zu formieren und zu organisieren, hatten aber nie eine ideologische oder gar politische Bedeutung. Als Entstehungsjahr gilt auch erst 1888, als das 800-jährige Bestehen der Universität Bologna gefeiert wurde. Was bei den deutschen Corps und Burschenschaften die Franzosen waren, waren in Italien vor allem die Österreicher, und ein klein bisschen färbt das eben auch auf die Goliardi ab.

Das Zeremoniell dieser Ordines orientiert sich aber an den einstigen Stadtstaaten des Mittelalters und nimmt nicht etwa auf Volsker, Picaener oder sonstige italische Stämme bezug, wie in Deutschland, wo die Betonung regionaler Eigenheiten (mit ethnographischem Anklang) sich die Waage mit dem Einheitsgedanken hält. Der Leitgedanke der nationalen Einheit ist in Italien bei weitem nicht so prononciert wie bei den deutschen Studentenverbindungen, und es geht sogar mehr um Lokalchauvinismus als um Nationalität.

In einem an Traditionen so reichen Land wie in Italien ist die Goliardia eine merkwürdige Ausnahme, wie ja auch in der italienischen Architektur die Neogotik eine Randerscheinung ist. Es kommt in Italien sonst eigentlich nicht vor, dass eine Tradition aus dem Boden gestampft wird. Die Goliardi führen ein Randdasein, sie haben keine Corpshäuser, sie sind - im Gegensatz zu den deutschen Verbindungen - kein Ort, an dem sich Seilschaften entwickeln; das sind in Italien ganz andere Orte und nicht diese anarchoiden Spaßmacher, die quasi ein Schattendasein führen und sich mittelalterlich geben.

Es herrscht selbst darüber Unklarheit, wann die meisten Ordini gegründet wurden. Die einen sagen, sie entstanden fast alle zwischen 1945 und 1950, andere sagen, erst in den 50-er und 60-er Jahren des 20. Jhs, und wieder andere, dass sie sogar erst in den 90-er Jahren gegründet wurden, nachdem der sich in die Länge ziehende Showdown der 68-er Bewegung endlich durch das Erscheinen Berlusconis erfolgt war.

In Italien begann die glorreiche akademische Vergangenheit im 18. Jh auszuklingen. Sie war zwar immer noch reich und die italienische Kunst brachte sogar Ende des 19. noch einen Verdi hervor, dessen Opern unter anderem eine patriotisch volkspädagogische Absicht verfolgten, aber dieses Zuviel an Gewolltem ist natürlich ein fatales Indiz. Bologna ist die älteste Universität der Welt, aber die Zeiten, als dies jedermann wusste, sind lange vorbei.

Die Goliardi erinnern einen eher wenig ans 19. Jahrhundert. Sie wurden ja zum Großteil auch erst nach 1945 gegründet. Aber sie erinnern einen auch deshalb nicht ans 19 Jh, weil sie nicht die schwülstigen verquasten Lieder singen, die in vielen deutschen Liederbüchern ( Kommersbuch ) wie selbstverständlich neben den schönen, meist vor 1800 entstandenen Liedern stehen. Vor 1800 wirken selbst traurige Lieder des deutschen Volksliedfundus kaum mal morbid. Aber die schwülstigen Gefühle, die durch die nüchterne Rationalität der Aufklärung als Gegenreaktion in den Menschen geweckt worden waren, rankten sich während der Kriege mit Frankreich immer wieder um düstere Todesphantasien, die indirekt oft dem Morbiden huldigen und ohne die ergreifende Anmut der Lieder aus dem 30-jährigen Krieg sind.

Im Gegensatz zu den während der Befreiungskriege gegen Napoleon oder während des Krieges von 1870/71 geschriebenen Liedern wirken die Lieder aus der Zeit des 30-jährigen Krieges immer angenehm, anmutig, angemessen und abgerundet, weil sie sich im Lauf der Jahrhunderte verbessern konnten, während die Lieder aus dem 19. Jh sich durch die allgemeine Schulpflicht und durch Buchdruck in wachsender Auflage festschrieben, bevor sie zu echten Volksliedern heranreifen konnten.

Aber so wie es schönes italienisches Schmachten gibt (Verdi prati), so gibt es auch einige deutsche Lieder, die schwülstig sind, aus dem 19. Jh stammen und trotzdem sehr schön sind (O Täler weit, o Höhen). Deutsches Schmachten.




Goliardic

Der englische Artikel handelt nicht von den heutigen italienischen "Goliardi", sondern nur von der mittelalterlichen Tradition, auf die sie sich berufen.

Academic Corporations - Goliardia

Man kann in den italienischen Goliardi wahrlich keine echte Entsprechung der deutschen Studentenverbindungen sehen. Ich habe zwar einmal dieselben Mützen und Bänder gesehen, aber es herrscht vergleichsweise nicht der relativ steife Ernst deutscher Verbindungen, sondern ein sehr anarchischer Anspruch (innerhalb einer verspielten strengen Hierarchie, die die Freimaurer nachzuahmen scheint), es wird weniger getrunken, es gibt einerseits mehr klaren kulturhistorischen Verstand, andererseits aber auch die alberne Willkür mit der die Tradition an den Haaren herbeigezogen wird. So als versteife man sich in Bayern darauf, dass Neuschwanstein von Otto dem Großen für seine Tochter erbaut worden sei.

Ansonsten wirken die Galiardi wie Faschingsvereine, und das ist auch so gemeint.

Die Galiardoverbindungen ähneln daher vielleicht ein bisschen dem Tübinger Igel. Paradoxerweise, insofern der Igel ja gerade die deutschen Studentenverbindungen verulkt. Andre Länder, andre Sitten.


Dietrich Bonhoefer gehörte dem Igel an!

Joseph Victor von Scheffel wird von der Akademischen Verbindung Igel als "Ehrenalter" genannt! Das ist eine vernünftige Art, die Decke der eigenen Tradition ideell ein bisschen in die Vergangenheit zu verlängern, wenn einem die Füße kalt werden.

Akademische Verbindung Igel Tübingen

Allen diesen Bünden ist nur eines gemein: sie singen gerne "Gaudeamus igitur".

Studentenverbindungen in Italien









"Das Duell verfeinert die Umgangsformen und die Zensur verfeinert den Stil."




Duell

Satisfaktion


Progress (Studentenverbindung)

Comment


Corps

Convent

Senioren-Convent

Weinheimer Senioren-Convent

Kösener Senioren-Convent

Mensur (Studentenverbindung)

Nationalsozialistischer Altherrenbund


"Ebenfalls im Jahr 1934 gelang es dem WSC, die Durchführung des sog. Arierparagraphen in den Corps abzuwehren. Dies blieb aber der letzte Erfolg im Kampf um den Erhalt der Corps und des WSC. Bereits zum Ende des Sommersemesters 1934 empfahl der Allgemeine Deutsche Waffenring seinen angeschlossenen Korporationsverbänden, das Tragen von Couleur in der Öffentlichkeit künftig zu unterlassen, nachdem es in mehreren Hochschulstädten zu Zusammenstößen von Korporierten mit der Hitlerjugend gekommen war."

Jetzt macht Wikipedia aus dem Weinheimer Senioren Convent quasi eine Säule des bürgerlichen Widerstands gegen Hitlers Judenpolitik. So widersprüchlich sich damals manche Situationen in der Praxis auch ergaben, das ist, glaube ich, eine Darstellung, die ins Auge geht. Mein Vater - der auf Hitler gut zu sprechen war und ein Alter Herr im Corps war - erzählte mir, während des Dritten Reichs sei nicht die Mitgliedschaft von Juden im Corps verboten gewesen (Juden gründeten meines Wissens eigene Corps, weil sie in den anderen Corps eher unerwünscht waren), sondern die Corps selbst seien verboten gewesen.

"Aber wenn die Polizei kam, haben wir denen einfach ein Glas Bier eingeschenkt, und die Sache hatte sich", fügte er vergnügt schmunzelnd hinzu. Mit anderen Worten, er sah den Sinn des Verbotes ein (obwohl er ihn eigentlich nicht recht verstand. "Aber es wird schon Gründe dafür gegeben haben, sonst wären sie ja nicht verboten worden... " bis hierhin und nicht weiter war er bereit, eine Überlegung zu diesem Thema mitzumachen), aber den Sinn, das Verbot nicht einzuhalten sah er - der sonst Gesetzestreue so wortwörtlich übte und über alles stellte - erst recht ein! Und die von ihm geschilderte Gepflogenheit bedeutete in seinen Augen schlicht und einfach, dass man etwas genoss, was man solange genießen konnte, wie man wollte, wenn man sich "entsprechend" verhielt. Als zusätzlicher Genuss kam der Gedanke, dass man ein Privileg genoss (insofern gegenüber anderen, die einen weniger guten Ruf bei den wachenden Behörden genossen, eben nicht so gnädig ein Auge zugedrückt wurde), und der Reiz des Verbotenen kam trotz des zugedrückten Auges tatsächlich auch noch dazu (nicht so sehr für meinen Vater, der aus dem Alter raus war, aber für die jüngeren Corpsbrüder; und die belebende Wirkung des Fünfe-grade-sein-lassen in Männerbünden, in denen sich vom Fuchs bis zum pensionierten Veteranen alle duzen, liegt auf der Hand). Das ist die Quadratur des Kreises. Die Nationalsozialisten waren wahre Meister der Menschendressur.


Falls sich jemand fragt, weshalb sie Dinge verboten, die doch eigentlich einem ähnlichen Geist verpflichtet waren, wie sie selbst ihn erwünschten, hier ist die Antwort: eben deshalb, der Verfügungsgewalt über die Vergnügungsgewalt wegen. Die Nationalsozialisten verstanden es tatsächlich, aus Brauchtum, Gepflogenheiten, Traditionen und sonstigen mit dem Herkommen verbundenen Träumereien und Sehnsüchten - egal ob tatsächlich oder nur vermeintlich überlieferte - genau das herauszusieben, was ihnen dienlich sein konnte. Man verbot und gleichzeitig gewährte man gutmütig, was man verboten hatte. Manchmal. Einmal hatte Vati versehentlich, als er mittlerweile Offizier war, ein jüdisches Geschäft betreten und machte so schnell wie er nur konnte, dass er wieder raus kam; und hatte dabei Angst, es könnte ihn jemand gesehen haben.

Nach 1968 hatten die Studentenverbindungen Nachwuchssorgen. Es spricht für ihre weltanschauliche Offenheit, dass einige Corps damals beschlossen, auch Wehrdienstverweigerer bereitwillig aufzunehmen. Man war in diesen Kreisen offensichtlich für Rudi Dutschkes Ansicht, Deutsche sollten nicht gegen Deutsche kämpfen, empfänglich.

„Reichswehr schießt nicht auf Reichswehr“ / „Truppe schießt nicht auf Truppe“ sagte einst Hans von Seeckt.

Für den einen oder anderen etwas härter Gesottenen unter den Alten Herren, ging dies allerdings zu weit, und so kam es auch vor, dass mal jemand austrat und die Verpflichtung der nachkommenden Generation gegenüber weiterzureichen, was er einst empfangen hatte, seinerseits verweigerte, weil ihm das Corps "zu links" geworden war.

Wie sehr sich politische Kategorien manchmal verändern oder miteinander verquicken können, wurde deutlich, als nur wenige Jahre später ein Politologe wie Alfred Mechtersheimer an der Friedensbewegung teilnahm und bei den Grünen eine Rolle als Friedens- und Verteidigungsexperte übernahm. Es ist leider nicht auszuschließen, dass Mechtersheimer auch heute richtig liegt und an Szenarien arbeitet, die in ein paar Jahren auf brisante Weise aktuell werden könnten. Die "stichwortgebende Funktion" der Neuen Rechten zeigt bereits Wirkung: Neofolkgruppen und Berserkerrockgruppen vermehrten sich in den letzten 10 Jahren geradezu explosionsartig, und es geht leider nicht nur um harmlose Wiederentdeckung vergessener Geschichten und Wiederbelebung alten Brauchtums, sondern um ein militantes Abschütteln von Fremdbestimmung und um wütendes Einhaltgebieten gegenüber Überfremdung. Dass die Sarrazindebatte rechtzeitig zu vernünftigen Überlegungen und klugen Maßnahmen führt, ist daher von großer Bedeutung.

Hier ist noch ein interessanter Überblick über die Situation in der DDR, der mir zum Teil immer noch eine Beschreibung aus DDR Sicht zu sein scheint und nicht so sehr eine Beschreibung der DDR Sicht.


DDR-Studentenverbindung


Interessant ist dabei, dass so wie im Westen 1848 für das Selbstverständnis der Verbindungen keine Rolle spielt, obwohl gerade die Burschenschaften die Farben Schwarz Rot Gold als Fahne der Einheitsbewegung verbreiteten, umgekehrt in der DDR die Rolle Bismarcks bei der Einung Deutschlands runtergespielt wurde, und so getan, als sei für die Einung nicht er, Ernst Moritz Arndt und der Antifranzösismus wichtig gewesen, sondern allein die demokratische Bewegung, Frankreich als Vorbild und der Profranzösismus. Also versuchte man 1848 in der DDR für die sozialitische Staatsräson zu vereinnahmen und die Bedeutung von 1870/71 totzuschweigen. In beiden deutschen Staaten blieb also ein wichtiger Aspekt unerwähnt.


In Wirklichkeit war es aber beides!


Im Westen wirkten die Verbindungen auf mich immer, als seien sie aus Bismarcks Händen 1870/71 vom Himmel gefallen. Freiligraths und von Fallerslebens Lieder wurden im Westen früher (ich meine bis vor etwa 10 Jahren) IMMER - und zwar nicht nur bei den Studentenverbindungen - so gesungen, als wären sie nicht von aufständischen Demokraten geschrieben worden, sondern Bismarck habe sie Goethe ins Ohr geflüstert.

Das sind die Verdrehungen des deutschen Idealismus. Womit ich meine, dass einerseits der einstige Idealismus selbst - Kant, Fichte, Schelling und Hegel - verdreht und auf den Kopf gestellt wird und andererseits dann dieser pragmatische "Idealismus" die Dinge solange verdreht, bis sie zu den Ideen passen.





So weltfremd und bestürzend die schlichte Einfalt auch sein mag, mit der diese jungen Menschen es genießen, im Schutz der Burgmauern, einmal des Kriegs gedenken zu können, ohne sich dabei mit Schuldgefühlen quälen zu müssen, für Taten, die sie selber nicht begangen haben, immerhin gedenken diese "Hermunduren" wenigstens der Gefallenen und pflegen Gefühle der Verbundenheit, die in jeder gesunden Gesellschaft unerlässlich sind. 


Und das unterscheidet sie positiv von der maßlosen Kaltschnäuzigkeit, mit der die in Afghanistan ums Leben gekommenen Soldaten jahrelang von Medien und Institutionen ignoriert wurden. Der Wirklichkeitssinn des Einen ist manchmal die Weltfremdheit des Andren.


Aber selbst wenn von den "Hermunduren" der Toten gedacht wird, zeigt sich die Kurzsinnigkeit der Studentenverbindungen. Der Gefallenen des Kriegs von 1870/71 wird gedacht, obwohl die erst 1898 gegründete "Hermunduria" gar keine Corpsbrüder haben kann, die in diesem Krieg gefallen sein können. Man könnte fast meinen,  es ginge nicht so sehr um die Ehrung der gefallenen Corpsbrüder, sondern generell um die damals Gefallenen... Aber dem ist nicht so: die Hermunduren ehren "ihre gefallenen Corpsbrüder", denn der Weinheimer Senioren-Convent besteht seit 1863, und die Hermunduren wurden vom Convent aufgenommen. Dabeisein und dazugehören (und Tradition!) ist alles, und geehrt werden die gefallenen Corpsbrüder.




... und Königgrätz ist nur ein böhmisches Dorf, und die Völkerschlacht bei Leipzig - bei der sich zum ersten Mal deutsche Soldaten geschlossen weigerten, auf andere deutsche Soldaten zu schießen - und die Gefallenen des 30-jährigen Krieges spielen für diese "Traditionalisten" erst recht keine Rolle. Nicht mal die Schlacht auf dem Lechfeld hat identitätsbildende Bedeutung. Es ist ein merkwürdiger "Deutscher Idealismus" der da zum Ausdruck kommt. Betont werden soll natürlich die Einheit Deutschlands! Deshalb wird nur ab dem Krieg gezählt, der zur Einheit geführt hat. So einfach ist das. Eine Art protokollarischer Buchhalterpatriotismus. Mir fehlen die Worte.


Dafür wird dann nach dem feierlichen Festakt aus voller Kehle "Herr Quinctilius Varus!" heraufbeschwört.


Königgrätz



Aub





Ralf-Dieter Brunowsky
















In taberna quando sumus 
non curamus quid sit humus, 
sed ad ludum properamus, 
cui semper insudamus. 
Quid agatur in taberna 
ubi nummus est pincerna, 
hoc est opus ut queratur, 
si quid loquar, audiatur. 


Quidam ludunt, quidam bibunt, 
quidam indiscrete vivunt. 
Sed in ludo qui morantur, 
ex his quidam denudantur 
quidam ibi vestiuntur, 
quidam saccis induuntur. 
Ibi nullus timet mortem 
sed pro Baccho mittunt sortem: 


Primo pro nummata vini, 
ex hac bibunt libertini; 
semel bibunt pro captivis, 
post haec bibunt ter pro vivis, 
quater pro Christianis cunctis 
quinquies pro fidelibus defunctis, 
sexies pro sororibus vanis, 
septies pro militibus silvanis. 


Octies pro fratribus perversis, 
nonies pro monachis dispersis, 
decies pro navigantibus 
undecies pro discordantibus, 
duodecies pro penitentibus, 
tredecies pro iter agentibus. 
Tam pro papa quam pro rege 
bibunt omnes sine lege. 


Bibit hera, bibit herus, 
bibit miles, bibit clerus, 
bibit ille, bibit illa, 
bibit servus cum ancilla, 
bibit velox, bibit piger, 
bibit albus, bibit niger, 
bibit constans, bibit vagus, 
bibit rudis, bibit magnus. 


Bibit pauper et egrotus, 
bibit exul et ignotus, 
bibit puer, bibit canus, 
bibit presul et decanus, 
bibit soror, bibit frater, 
bibit anus, bibit mater, 
bibit ista, bibit ille, 
bibunt centum, bibunt mille. 


Parum sexcente nummate 
durant, cum immoderate 
bibunt omnes sine meta. 
Quamvis bibant mente laeta, 
sic nos rodunt omnes gentes 
et sic erimus egentes. 
Qui nos rodunt confundantur 
et cum iustis non scribantur.






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