Stationen

Mittwoch, 2. Februar 2011

Lob der Dummheit - die Kunst des Anhimmelns

Kritikern, die mir meine Neigung, alles Negative als zweitrangig zu erachten, obwohl es doch die überwiegende Mehrheit darstelle, vorhalten, habe ich immer entgegengehalten, dass am nächtlichen Himmel ja auch nicht der dunkle interstellare Zwischenraum das Bezaubernde ist, was wir anhimmeln, sondern die Sterne. Kürzlich las ich irgendwo, dass Victor Hugo sinngemäß einmal genau dasselbe gesagt hat; mein innerer Schweinehund ist gleich fünf Zentimeter gewachsen vor lauter Stolz. Natürlich sind die Sterne nur deshalb so bezaubernd, weil dazwischen diese schwarze Leere herrscht. Genau aus diesem Grund empfiehlt es sich, das Negative im Auge zu behalten und klar zu sehen. Aber wichtiger ist, sich darüber im Klaren zu sein, dass die Sterne unzählig viele sind. Und selbst wenn man NUR absoluten Meisterwerken der Kulturgeschichte seine Aufmerksamkeit schenkt, wird ein Menschenleben nicht ausreichen, sie alle auch nur aufzulisten. Außerdem sollte man viel Schund lesen, bevor man sich ausschließlich von Wundervollem berauschen lässt. Es ist nicht gut, wenn man sich immer nur auf Qualitätsprodukte einlässt. Nicht so sehr, weil man sich dadurch zu sehr selber verwöhnt und verweichlicht, als viel mehr, weil der ausschließliche Austausch mit Intelligentem und unter Intelligenten eine Art kulturellen Inzest darstellt, der den guten Einfluss des Wildwuchses ausschaltet und paradoxerweise zu intelligenter Idiotie führen kann.

Die größte Herausforderung für intelligente Menschen ist die Beschäftigung mit der Dummheit. Das kann sehr lehrreich sein. Nichts ist eine stärkere Schule, als in völliger Abwesenheit von Gleichgesinnten zu versuchen, die Dummheit folgerichtig zu widerlegen. Ich hielt das für meine eigene Entdeckung, aber "Doctus in indocto poterit bona discere crebro, si pensare velit, cur sit sapientior illo" sagte schon Otloh von Sankt Emmeran. Und Stephen Jay Gould sollte ernstgenommen werden (dass es noch keinen deutschen Wikipediaartikel über ihn gibt, ist beschämend für uns); nach seinen Erkenntnissen ist Intelligenz nicht wissenschaftlich definierbar, geschweige denn messbar. Ich behalte mir jedoch vor, sie nach eigenem Gutdünken dennoch zu definieren. Gerade die wesentlichsten kulturellen Leistungen sind nun mal nicht messbar. Was nichts daran ändert, dass die naturwissenschaftliche Wahrheit etwas außerordentlich Kostbares ist und ich inständig hoffe, dass die Poppersche Unterscheidung zwischen Wissenschaftlichkeit und Unwissenschaftlichkeit nie Schaden nehmen wird. Popper weist warnend darauf hin, dass dies bereits schon einmal geschehen ist, als die Tradition der Thaletischen Schule in Vergessenheit geriet. Es dauerte 2000 Jahre, bis Galilei sie wieder zum Leben erweckte. Der schlimmste Aspekt von Sigmund Freuds dämonisierendem Obskurantismus ist sein gezielter Angriff auf den galileischen Wissenschaftlichkeitsbegriff: "Es ist ein Fehler anzunehmen, Wissenschaft bestehe in nichts anderem als endgültig bewiesenen Aussagen, und es ist falsch zu fordern, dass dies so sei. Eine solche Forderung stellen nur diejenigen, die sich nach Autorität sehnen, egal in welcher Form, und die den religiösen Katechismus mit etwas anderem ersetzen müssen." Gottseidank ist es Popper gelungen, einerseits das gute, in Freuds Standpunkt enthaltene, emanzipatorische Element aufzugreifen, schlüssig darzulegen, weshalb und auf welche Weise in der Wissenschaft nichts endgültig sein kann und gleichzeitig Freuds fahrlässige Übertreibung dennoch zu widerlegen.

Dass ausgerechnet Heisenberg, der Entdecker der Unschärferelation, unterstrich "Was nicht messbar ist, existiert nicht", ist allerdings eine weitere und weiterhin stimulierende Facette. Schade, dass es nie zu der Zeitschrift kam, die Werner Heisenberg und Ernst Jünger herausgeben wollten.

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