Stationen

Donnerstag, 24. Februar 2011

Missverständnisse

40 Jahre habe ich gebraucht, um zu verstehen, ob, dass und weshalb Jesus doch größer ist als Sokrates. Aber heute morgen unter der Dusche ist der Groschen endlich gefallen. Das, was Jesus größer macht, birgt leider auf Grund der menschlichen Unzulänglichkeit auch den Keim für Fanatismus, während Sokrates eine weniger einladende Basis für Fanatismus bietet. Eine solide Basis für Fanatismus bieten beide nicht, für Fundamentalismus hingegen ja (und wiederum beide). Beide wirken dem Fanatismus entgegen, Jesus letzlich auf wirksamere Weise als Sokrates, obwohl in seiner Nähe der Fanatismus keimen und wurzeln kann. Jesus und Sokrates verbindet die intellektuelle Redlichkeit. Sokrates wirkt dem Relativismus entgegen, obwohl er unterstreicht nichts zu wissen. Sein Bestreben ist es, sich der Wahrheit zu nähern. Aber er ist dabei immer wie infiziert durch Gorgias, der seinen Annäherungen immer wie ein Schatten folgt, und Sokrates appelliert nicht ans Gewissen. Genau das ist es, was Jesus zum Allergrößten macht. Denn es ist ein großer Unterschied, ob man sich im Dialog nur nach bestem Wissen versucht, der Wahrheit zu nähern und die eigene Subjektivität transzendierend - indem man die eigenen Ansichten mit den eigenen Erfahrungen, besonders der Jugend und Kindheit, aber auch späteren Traumen, korreliert und mit den Ansichten und Erfahrungen des Gegenübers abgleicht - zu intersubjektiven Einsichten zu gelangen versucht, oder ob man dasselbe nicht nur nach bestem Wissen, sondern auch nach bestem Gewissen macht. Man muss natürlich auch ein Gewissen haben und stillschweigende Einverständnisse daraufhin untersuchen, ob sie auf Missverständnissen beruhren und besonders auf die eigenen Missverständnisse achten (und darauf, ob man missverstehen WILL, um das eigene wishful thinking nicht zu beeinträchtigen), ohne die der anderen aus den Augen zu verlieren.

In der Antike waren gegensätzliche Auffassungen, die in gegensätzliche Kulturen eingebettet waren oft durch natürliche geografische Barrieren getrennt. Flüsse sind gleichzeitig Grenzen und gleichzeitig verbindende Elemente. Sie sind im wahrsten Sinne des Wortes fließende Grenzen. Dass Menschen, die die Begabung besaßen, intersubjektive Einsichten zu fördern, ein Priesteramt angetragen wurde, dass dieses Amt Pontifex genannt wurde und die Pontifices auch tatsächlich für den Brückenbau zuständig waren, ist mehr als einleuchtend. Das Herrliche an den Römern ist immer wieder die - ebenfalls dem ethymologischen Wortsinn entsprechende, von "vernehmen" - vernünftige Plausibilität, die Folgerichtigkeit der Entsprechungen (z.B. zwischen Mars und März, die ich hier ansprach), das Gleichgewicht zwischen Annehmlichkeiten und Unannehmlichkeiten, das dem Menschen besser gerecht wird als die Gleichheit, wenngleich es nur in der Dimension des Unwägbaren zustandekommen kann und daher in unserer Zeit, in der Verzifferung und Messbarkeit alles ist, wahrscheinlich nie mehr aktualisiert werden wird.

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