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Freitag, 23. September 2022

Geburtenschwund in den einstmals christlichen Ländern

Prof. GUNNAR HEINSOHN / 21.09.2022 / 13:50 Uhr auf Achse:

"Putins Teilmobilisierung: Wofür die einzigen Söhne verheizen?
Schon am 20. September berichtet Igor Sushko über die Panik russischer Mütter, die ihre Söhne – überwiegend einzige Kinder – vor Putin Teilmobilisierung ins Ausland schaffen wollen, aber die Wege verstellt sehen. Obwohl sie sich strafbar machen, dürfte man von ihnen noch hören.
Erinnern wir uns, daß am 24. Februar nicht nur die Welt, sondern auch Putin vom Krieg überrascht wird. Befohlen hatte er die Invasion mit dem Ergebnis umgehender Kapitulation und anschließender Ausrottung der Aktivisten des Ukrainertums. Seine Erwartung war nicht irrational. Noch nie haben zwei Nationen mit einem Durchschnittsalter von über 40 Jahren Krieg gegeneinander geführt. Noch nie haben zwei Nationen mit einem Kriegsindex von 0,7 miteinander die Waffen gekreuzt.
Auf 1.000 Männer im Alter von 55–59 Jahren folgen nur noch 700 Jünglinge im Alter von 15–19 Jahren (Siehe hier). Beide Nationen haben auch in absoluten Zahlen weniger 15- bis 29-Jährige als je zuvor in den letzten 150 Jahren ihrer Geschichte (Siehe hier und hier). Putin mußte also nicht wie 1999/2000 bei seinem Genozid in Tschetschenien (damals mit einem Kriegsindex über 4) erst einmal die jüngeren Brüder der bereits Kämpfenden ermorden lassen, um Rußlands demografischen Nachteil auszugleichen. Damals beginnt die Männerfreundschaft mit SPD-Urgestein Gerhard Schröder.
 
Die Ukraine hat kaum jüngere Brüder, die vom Mut der älteren inspiriert werden. Es hätte also reichen sollen, drei Viertel des verfügbaren russischen Militärs um die Ukraine aufmarschieren und dann einmarschieren zu lassen, um umgehend mit dem Genozid beginnen zu können. Der war anders als der Krieg – die Massengräber zeigen das – sorgfältig geplant. 
 
Zu den raren Ausnahmen, daß auch alternde Nationen entschlossen kämpfen, gehören mit Ausrottung bedrohte. Israel steht dafür exemplarisch. Die Ukraine hatte in der Sowjetunion bis 1991 nicht lernen dürfen, daß sie bereits 1932/33 im Holodomor das Opfer eines enormen russisch-bolschewistischen Völkermordes gewesen ist (Seitdem lernt das am Dnepr, nicht jedoch in Russland, jedes Kind. Und wer gelegentlich zweifelt, wird durch frische Massengräber eines Besseren belehrt.).
 
Es sind also gerade die beträchtlichen Verluste der Ukraine, die den Kampfesmut – und den Zuspruch für die Kiewer Regierung – nicht etwa verringern, sondern stetig steigern. Die Getöteten zeigen, daß vielfach mehr umgebracht würden, wenn man die Waffen niederlegt. Das verstehen Putins westliche Freunde nicht. Sie reden vom Einstellen der Kämpfe zur Beendigung des Leidens. Die Ukrainer jedoch hören, dass sie sich widerstandslos abschlachten lassen sollen.*
Es ist Rußland, das aufgrund seiner rund 50.000 Gefallenen und Verstümmelten die Kampfbereitschaft verliert. Ihnen gehört das größte Land der Erde. Niemand bedroht sie mit Krieg oder gar Genozid. Wofür also die einzigen Söhne verheizen? Damit der Führer seine Blamage herauszögern kann? Wie die Imponier-Invasion Putin nicht vor dem Krieg bewahrt hat, kann ihn die Mobilisierung nicht davor schützen, daß er noch aussichtsloser wird. Jede Erweiterung seines Tötungspotenzials ermutigt noch mehr Ukrainer zum Widerstand.
 
 
Ja, ja, die Russen erleiden auch den Geburtenschwund. Das erklärt auch, weshalb Putin sich bei der Rekrutierung in den schlimmsten Kriegeremporien mit Humanresourcen eingedeckt hat, besagt die von Sloterdijk "kritisch" gerühmte zynische Vernunft.
Europa hat versagt. Nein, das ist keine Täter-Opfer-Umkehr und es ist kein Stockholm-Syndrom, es ist die nüchterne Zurkenntnisnahme eines Sachverhalts. 

*Auch das gehört zu Köppels Mahnung, man müsse - mit den Worten von Uwe Johnson -  die andere Seite mit ihren eigenen Augen sehen.

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