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Sonntag, 10. November 2024

Menosgada (bei Bad Staffelstein)

 

Fünf Meter ragte die Tormauer in die Höhe, über dem Eingang ein mindestens doppelt so hohes Torhaus. Darunter ein Zangentor  – das so heißt, weil Besucher und Eindringlinge vor ihm in eine zangenförmige Gasse gezwungen wurden: der westliche Zugang zu der keltischen Stadt Menosgada, die vor 2.000 Jahren am Staffelberg im Nordwesten der heutigen Frankenalb stand. In den Holzpfosten, die die Mauer stützten, saßen in geschnitzten Nischen abgeschlagenen Köpfe. Der albtraumhafte Fassadenschmuck gießt Wasser auf die Mühlen derer, die sagen, die Kelten seien nichts weiter als blutrünstige Barbaren gewesen. Dabei verrät das Tor viel mehr über die Fähigkeiten und das Wissen ihrer Erbauer.

Dem Archäologen Markus Schußmann, Privatdozent an der Universität Bamberg, der die Forschungsgrabungen am Staffelberg geleitet hat, ist es wichtig, auf die Handwerkskunst und die religiösen Aspekte zu verweisen, die aus man aus dem Tor ablesen kann. „Die einzigartige Architektur des Tores, die auch stark repräsentativen Charakter hatte, und die religiösen Zeremonien, die bei seiner Erbauung stattgefunden haben, erweitern unser Verständnis von den Kelten“, sagt er. 

Denn neben den Tor- und Schädelfragmenten entdeckten die Forschenden außerdem auch religiöse Opfergaben und gepflasterte Straßen im Umfeld des Bauwerks. Diese führten zu jener Zeit in das Oppidum – die befestigten, stadtartig angelegten Siedlungen der Kelten – und offenbaren eine durchdachte Verkehrsplanung. 

„Insgesamt stellt sich der Befund gegen die Idee der Kelten als Barbaren, die mehr oder weniger wild und planlos in den Tag lebten“, sagt Schußmann. „Beim Bau ist man äußerst strukturiert vorgegangen, das können wir durch die detailreichen Funde heute nachvollziehen. Die Bauweise des Tores erlaubt also Rückschlüsse auf eine sehr organisierte Arbeitswelt, eine starke Planung und weitreichende architektonische und handwerkliche Kenntnisse.“

Die Freilegung des Keltentors fand zwischen 2018 und 2019 statt. Dabei fanden sich unter anderem 1,2 Meter hohe Mauerreste, verbrannte Spuren der Holzkonstruktion und der Torflügel sowie Schädelfragmente von bis zu 30 verschiedenen Individuen. Schußmann zufolge offenbarte sich schnell der außerordentlich gute Zustand der Befunde. „Das war schon etwas Besonderes“, sagt er. Dass die Fundstücke nach Jahrtausenden noch derart gut erhalten waren, hätte es den Wissenschaftlern ermöglicht, Fragen zu beantworten, die sie sich bis zu diesem Punkt noch gar nicht gestellt hatten.

So befanden sich unter den entdeckten Opferungen Waffenopfer und antike Waffentrophäen, aber auch zwei Kindergräber. Dies zeige, dass die Tore auch einem religiösen Zweck gedient hätten. „Man hat versucht, von möglichst vielen verschiedenen Gottheiten möglichst viel Schutz auf das Tor zu projizieren“, erklärt Schußmann. Auch die Schädel haben in diesem Zusammenhang eine Rolle gespielt: In der Zeit, als das Tor aktiv genutzt wurde, handelte es sich bei diesen noch um Köpfe in unterschiedlichen Verwesungszuständen, die zur Abschreckung von Feinden angebracht wurden. 

Diese makaber wirkenden Praktiken waren jedoch keineswegs ein Alleinstellungsmerkmal der Kelten. „Blutige Opferzeremonien gab es in allen antiken Kulturen, nicht nur bei den Kelten. Sie waren alltäglich und neben Tieren traf es dabei immer wieder auch Menschen”, erklärt Schußmann. Das Zurschaustellen der Schädel sei nur eines von vielen Instrumenten gewesen, mit dem göttlicher Schutz für das Tor gesichert werden sollte.

Für den Archäologen Andreas Büttner vom Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege, der die Grabungen fachlich betreut hat, sind die Funde deswegen von großer Bedeutung, weil sie konkrete Rückschlüsse auf das Stadtlebens der Kelten am Staffelberg erlauben. Aufgrund des guten Erhaltungszustands der Fragmente sei eine Rekonstruktion der Befestigungsanlage von Menosgada bereits während der Voruntersuchungen möglich gewesen.

„Durch die Untersuchungen konnte erstmalig ein detaillierter Einblick in die Befestigung eines Zugangs in das Oppidum gewonnen werden“, sagt Büttner. „Neben dem nun gesicherten Westtor ist aufgrund topografischer Überlegungen mit drei weiteren Zugängen in der 2,9 Kilometer langen Umfassungsmauer der Stadt zu rechnen.“ Das untersuchte westliche Stadttor sei vermutlich das wichtigste und imposanteste von insgesamt vier Eingängen gewesen. Vermutlich, weil hier Händler ankamen, die über das Maintal anreisten. 

Durch das Stadttor führten zwei Straßen, deren Bauweise darauf hindeutet, dass bei den Kelten bereits eine Art Rechtsverkehr galt. „Eine der Straßen führte in die Stadt hinein und eine führte heraus. Archäologisch konnte man feststellen, dass die rechte der Straßen gepflastert war und die linke nicht“, sagt Büttner. Der Grund dafür sei vermutlich, dass für die Fahrt bergan ein fester Untergrund benötigt wurde, um das Abrutschen der Wagen zu vermeiden. Da auf der Strecke bergab die Schotterung im Laufe der Zeit abgetragen worden wäre, hätte man auf dieser Straßenseite auf einen entsprechenden Ausbau verzichtet.

Ein Teil der geschotterten Straße wurde auch nach dem Ende Menosgadas jahrhundertelang von Wanderern genutzt, ohne dass diese von seinem Ursprung wussten. „Auf wenigen Metern Länge bildete der originale spätkeltische Weg noch die heutige Oberfläche des Wanderwegs“, sagt Büttner. „Wenn man so will: Dieses Stück Weg war die ganze Zeit unbekannterweise Bayerns älteste noch heute begangene Straße.“

Warum die Kelten letztendlich ihr Oppidum am Staffelberg aufgaben, ist nicht eindeutig geklärt. „Was wir wissen, ist, dass die Bewohner von Menosgada die Stadt um das Jahr 40 n. Chr. verließen – und dass sie planmäßig abzogen und zumindest das ausgegrabene Tor selber niederbrannten“, so Büttner. Das sei vor allem daran zu erkennen, dass offenbar alle wertvolleren Einrichtungsgegenstände im und am Torhaus fehlten: Die Anlage wurde also systematisch geräumt, bevor man das Feuer legte. „Außerdem dürfte es nicht so leicht gewesen sein, das Torhaus von außen im Rahmen eines feindlichen Angriffs zu entzünden. Vielmehr sieht es so aus, dass das Feuer an neuralgischen Punkten im Durchgang des Torhauses selber entzündet wurde“, so Büttner.

Markus Schußmann zufolge waren die konkreten Umstände, die zum Verlassen des Oppidums führten, vermutlich ökonomischer Natur. „Viel beruht im Grunde darauf, dass der Fernhandel die keltischen Städte nicht nur miteinander verband, sondern auch ihre wirtschaftliche Grundlage war“, erklärt er. In Süddeutschland hätten die Germanen jedoch bereits ab 80 v. Chr. mit ihren Kriegs- und Beutezügen begonnen. Zwar sei der Staffelberg nicht direkt betroffen gewesen, durch die Schwächung des gesamten Wirtschaftssystems der Kelten hätte aber auch er stark gelitten. „Um 50 v. Chr. kam Julius Caesar nach Gallien und erobert dort keltische Städte, die wichtige Handelspartner der Kelten östlich des Rheins waren. Damit brach der Handel dann endgültig zusammen“, so Schußmann. Anstelle eines konkreten Ereignisses war es also eher eine Art wirtschaftlicher Dominoeffekt, der zum Verlassen der Stadt und dem Abbrennen des Tores geführt haben dürfte.

„Nie zuvor konnte ein keltisches Stadttor so detailliert dokumentiert werden wie das auf dem fränkischen Staffelberg“, schreibt das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege. Darum wird derzeit eine virtuelle Rekonstruktion des Tores und der Stadtmauer erstellt, die den Menschen von heute die Geschichte des 2.000 Jahre alten Bauwerks auf besondere Weise näherbringen soll - und so hoffentlich einige Vorurteile über die wilden Kelten widerlegt.      National Geographic

Staffelberg

 Frankenlied

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