Stationen

Freitag, 19. Februar 2010

Albert Jacquard hatte also recht?

Albert Jacquard behauptete schon vor 25 Jahren, je mehr phänotypische, physiologische Merkmale - zum Beispiel all die Blutgruppen, die der Mensch außer A, B, AB und 0 sonst noch hat - man in Betracht ziehe, desto unbrauchbarer werde der Begriff Rasse. Jetzt wurde es auch auf genotypischer Basis bewiesen?



Aus der FAZ:
Rassen werden genetisch zu Schall und Rauch
"Das Glück blieb den Genomforschern bis zur Ergebnisauswertung treu. Beim Vergleich mit den Gendaten von Europäern, Asiaten und anderen Afrikanern hat man aufregende Entdeckungen gemacht. Eine ungeahnte Vielfalt breitete sich vor den Augen der Forscher aus. Fast anderthalb Millionen neuer, bislang unbekannter Genvarianten, unzählige Krankheits- und Merkmalsdispositionen, die sich nun unbeschränkt mit den Genomspendern in Verbindung bringen lassen.
Zwei Buschmänner aus der Kalahari-Wüste unterscheiden sich, wie man jetzt weiß, genetisch stärker voneinander als ein Europäer von einem Asiaten. Mit anderen Worten: Ethnien und Rassen sind gentheoretisch Schall und Rauch. Was wäre eine schönere Bestätigung im Kampf gegen das Pulverfass Apartheid? Tutus Lebenswerk wird so in einem texanischen Genlabor zur runden Sache."


"Jede neue Wahrheit beginnt ihren Weg als Ketzerei und beendet ihn als Orthodoxie." zitierte der Rassenkundler Konrad Lorenz den Biologen Thomas Huxley schon vor 40 Jahren in seinen "8 Todsünden der zivilisierten Menschheit".. Die Genetik ist nun dabei, eine neue Orthodoxie zu errichten. Es ist dennoch nicht auszuschließen, dass in 100 Jahren, oder sehr viel früher, der Rassegedanke doch wieder Revanche fordert, weil die Datenmenge im Moment so ungeheuer anwächst, dass sie - wenn überhaupt, wenn überhaupt je - erst in nicht absehbarer Zeit zuverlässig ausgewertet werden kann, denn eine Hand voll menschlicher Genome sagen auch dann nur sehr wenig Endgültiges, wenn sie vollständig entschlüsselt sind. Das Argument mit der genetischen Distanz hatte, wie schon gesagt, bereits Jacquard vor langer Zeit in die Debatte geworfen. Die Frage, wie Tatsachen zu deuten sind, wird jedenfalls wie nie zuvor durch die Erkenntnisse befeuert, die in den nächsten Jahrzehnten emporquellen werden.
Vor zehn Jahren gelang es Wissenschaftlern eines Schwellenlandes - ich glaube Mexiko, David F. Horrobin zitiert den Fall in seinem Buch über die Schizofrenie - Mäuse zu züchten, die 10 mal intelligenter waren als alle anderen, und das obwohl nur 1 der 2 Gene ihren Stoffwechsel verändert hatten. Und Mechtersheimers Kumpane halten hartnäckig daran fest, ihre Zähne und Instrumente zu pflegen. 


Thesen zum Rassismus


Man darf bei dieser Kontroverse nicht versäumen, sich vor Augen zu halten, dass es sich um Scheingefechte und/oder vernebelnde Rauchbomben handelt, insofern ihr eigentlicher Gegenstand - die Mentalitätsunterschiede - auf einer Ebene wirken - der Ebene der Kulturantropologie - , auf der die Konstanten zwar nicht so konstant sind wie die biologischen Genotypen, jedoch derartig unbeeinflussbar wirkend viele Generationen überdauern, dass die Unterscheidung für die politische Praxis hinfällig wird. Claude Levy Strauss knüpfte schon 1953 an diesen Gedanken an und schrieb eine Arbeit für die UNESCO, die mit dem Titel "Rasse und Geschichte" auch als Buch veröffentlicht wurde.  Dieses Buch wird noch lange lesenswert bleiben.


Rasse und Geschichte


Die Ergebnisse der Genforschung sind in ethischer Hinsicht irrelevant. Wirklich relevant für unser abendländisches Selbstverständnis ist die Tatsache (die sich letztlich nicht ohne unbeweisbare, sprich: in der Praxis dogmatische, Unerbittlichkeit verteidigen lässt), dass die Gleichheit wichtiger ist als die Unterschiede, egal, ob letztere kulturell oder biologisch bedingt sind. Desmond Tutu hat aus unserer Sicht in jedem Fall Recht.


Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit      Der Mensch und seine Gene.


Ein Tatbestand ist noch festzuhalten: Die Überzeugung, dass nicht nur individuellen Eigenschaften, sondern auch nationalen, ethnischen Eigenarten eine biologisch genetische Verankerung in unseren Genen zu Grunde liegt, ist derartig verbreitet und tief sitzend, dass man sie selber für einen in die DNA geschriebenen Befehl halten kann. Aufschluss hierüber kann man sich unter Umständen nur durch Gespräche in vertrauter Runde und gegebenenfalls durch indirekte, oblique Thematisierung machen. Nicht überall sprechen die Menschen, wie ihnen der Schnabel gewachsen ist, jedenfalls nicht außerhalb Italiens oder Berlins. Und hier handelt es sich ja um ein Thema, das auch in Berlin, und gerade in Berlin, nicht unbefangen behandelt wird.


Aber meine Erfahrung ist wirklich die, dass - Albert Jacquard und Luigi Cavalli-Sforza seis geklagt - es keine konsequent nicht in biogenetisch denkenden Kategorien denkenden Menschen gibt. Besonders enttäuschend ist es, festzustellen, dass gerade bei militanten Antirassisten ein in Eigenschaften "des Bluts" denkender Gesprächspartner hervorkommt, wenn man nur ein bisschen am Lack kratzt. In über 30 Jahren Gesprächen über dieses Thema, mit Gesprächspartnern aus den unterschiedlichsten Erdteilen, bin ich insgesamt nicht mehr als drei Personen begegnet, die mit der intellektuellen Herausforderung, schlüssige und vor allem schlüssigere alternative Begründungen als die DNA zu erdenken, Ernst machten; und alle drei hatten internationale Erfahrung anthropologischer Verschiedenheit auf Grund eines persönlichen oligokulturellen Backgrounds.
Zu beobachten ist hingegen, dass je weiter man in Italien nach Süden kommt, es desto selbstverständlicher wird, in rassischen Kriterien und Kategorien zu denken und zu sprechen, egal, ob man über Pferde, Artischoken, Meeresfrüchte oder Menschen spricht. Spätestens in Sizilien wird es offen ausgesprochen. Und zwar nicht nur vom "Mann auf der Straße", sondern auch von pensionierten Neurologen.


Gene, Völker und Sprachen. Die biologischen Grundlagen unserer Zivilisation.



Wie heißt es so schön in Neapel? "Wir sind keine Rassisten. Ihr seid keine Neapolitaner! Das ist das Problem!!"




Der Rassismus ist eins der zentralen identitäts- und konstitutionsbildenden Tabus, und es ist verständlich, dass besonders in Deutschland dieses Thema gescheut und unreflektiert gemieden wird, wie es auch verständlich ist, dass in Nordamerika poltische Korrektheit untrennbar mit Antirassismus verbunden ist, da Nordamerika sein Selbstverständnis auf dem Ausgang eines Sezessionskriegs aufbaut, der 600.000 Bürgern des eigenen Landes das Leben gekostet hat und bei dem es unter anderm um eine den Rassismus betreffende Frage ging. Aber es darf uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass außerhalb des Tabubezirks Deutschland für den das amerikanische Selbstverständnis wie eine tröstende Schmusedecke der Gemeinsamkeit willkommen ist, keinerlei Hemmung besteht, Kulturen, die man nicht mag, nicht nur kulturell abzuetikettieren, sondern auch biologisch zu katalogisieren. Und die unbewusste kognitive Schizofrenie zu der Menschen fähig sind, die aus einem Teil der Welt ohne starke wissenschaftliche Tradition kommen, ist frappierend; besonders, wenn es sich um religiöse Menschen handelt.


Wir leben in einer Epoche, in der an die Stelle der Verwandtschaft die Leidensgenossenschaft treten sollte. Wenn man Pablo Neruda liest, ist dieses unausgesprochene Programm stets wie ein - außer den schönen Naturbeschreibungen - alles übergreifendes Thema in seiner Ambiguität präsent, als ein einer neuartigen Wertordnung verpflichtetes Thema, in welcher alle Menschen, Völker und Individuen gleich sind und alle so gleich miteinander verwandt sein sollen, dass Verwandtschaft keine Rolle mehr spielen kann. Jetzt wurde dieses Thema durch die Ergebnisse eines texanischen Instituts für Humangenetik auf eine vernünftigere und ernster zu nehmende Weise belebt, als es die vermessenen Träume eines Dichters, der Stalins Verbrechen verharmloste, je sein konnte.
Aber wir wissen viel zu wenig, um endgültige Urteile fällen zu können. Wir sind nur im Moment berauscht von der Nachricht, dass es inzwischen gelingt, ganze Genome Base für Base aufzuzeichnen, aber wir wissen viel zu wenig, zum Beispiel darüber, wie Gene bestimmte andere Gene unter ganz bestimmten Voraussetzungen erst aktivieren und wie Erziehung diese Aktivierung beeinträchtigen könnte. Wir werden wahrscheinlich nie genug wissen, um den unbegrenzbaren Spekulationen über unser Gehirn Einhalt zu gebieten. Es wird gerade bei diesem Thema immer nur Denkschulen geben und nie Gewissheit, und ich hoffe natürlich, dass sich diese meine Überzeugung, die ich für eine Einsicht halte, immer wieder durchsetzen wird. Ich glaube jedenfalls nicht, dass das Bestreben, Verwandtschaft durch Leidensgenossenschaft zu ersetzen die Menschen davon abhalten wird, in Kategorien der Verwandtschaft und "des Bluts"zu denken, oder dass es sie dazu veranlassen kann, die Seelenverwandtschaft für reine Software zu halten. Vor allem nicht bei Völkern, die unserer technisch wissenschaftlichen Zivilisation mit ambivalenten Gefühlen von Neid und gleichzeitiger Ablehnung gegenüberstehen und der Überzeugung sind, wir seien ihnen etwas schuldig.



Nachtrag vom 22.2.2010


Hier ist ein, diesmal wirklich hervorragender, Artikel aus der FAZ, von Jörg Albrecht und Sonja Kastilan, in dem bereits anklingt, wie es weitergeht: Nachdem Jacquard seit Jahrzehnten auf phänotypische Differenzen hinweist, die den Begriff "Rasse" aus biologischer Sicht obsolet machen, für die man aber erst noch genotypische Entsprechungen wollte, um Jacquards Meinung zu zustimmen, fand man nun eine Unmenge von genotypischen Eigenheiten, aber man kann ihnen noch keine phänotypischen Erscheinungsformen zuordnen.


FAZ 



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