Stationen

Montag, 3. Januar 2011

Erinnerung an Emil Spannocchi



Ich habe seinerzeit den Wehrdienst verweigert, weil mir die damalige strategische Konzeption der NATO auf die Dauer zu gefährlich zu sein schien. Ich irrte mich darin Gottseidank. Aber ich werde nie sagen, dass ich damals völlig falsch lag. Mechtersheimer entwickelte in den 80-er Jahren Ideen, die meinen von 1977 sehr ähnlich waren. Denen, die er in den 90-er Jahren entwickelte, möchte ich lieber nicht folgen, obwohl ich leider zugeben und zu bedenken geben muss, dass er irgendwann auch mit diesen noch einmal Erfolg haben könnte. Hinterher wills immer keiner gewesen sein, und es sieht hinterher auch manchmal so aus, als habe es gar nicht anders kommen können und als sei daher alles vorhersehbar gewesen. Nur hinterher sieht es aber manchmal so aus.

Nicht nur in meiner Zivildienstzeit, während der ich in Heilbronn zwei mal zu politischen Lehrgängen zu Friedensforschung und Konfliktbewältigung beordert wurde, sondern auch später machte ich die enttäuschende Erfahrung, kein einziges Mal einem realistischen Wehrdienstverweigerer zu begegnen und stets nur auf moralische Eitelkeit und herablassende, gehässige Bemerkungen gegenüber Wehrdienstleistenden zu stoßen (wie z.B. bei der Musterung müssten Wehrdienstverweigerer keine Intelligenztests machen, weil es ohnehin alles Abiturienten seien). Interessante, vernünftige Gespräche zum Thema Sicherheit, Frieden, Kriegsverhütung und Konfliktbewältigung hatte ich ausschließlich immer nur mit Offizieren. Ich erwog während des Zivildienstes sogar, mich ans zuständige Amt mit der Bitte zu wenden, jetzt doch Wehrdienst leisten zu können. Nicht, weil ich es mir anders überlegt hatte, sondern weil ich die andere Erfahrung auch gerne gemacht hätte. Aber inzwischen gefiel es mir in der herrlichen Gegend von Kirchberg an der Jagst, und ich hatte sehr interessante Menschen dort und in der Umgegend kennengelernt. Eine ältere Halbjüdin, deren Großmutter die Busenfreundin von Frau Sacher war und entsprechend gute Sachertorten buk und die später mit Felicia Langer durch deutsche Gymnasien tingelte, um über die Ungerechtigkeiten im heutigen Israel und im einstigen Deutschland zu berichten. Einen jüdischen Anarch, der die Zeit des Nationalsozialismus in Deutschland verbracht hatte und danach 5 Jahre in Sibirien in einem von Stalins Lagern gelandet war und schon 1978 von Mossadeq erzählte - nicht ohne Benno Ohnesorg und Gudrun Ensslin in diesem Zusammenhang zu nennen - , um uns Jüngeren die Ursachen der sich gerade abspielenden Revolution im Iran zu erklären, wobei er dennoch das damalige Wohlwollen gegenüber Khomeini nicht teilte, das damals die Linken zeigten, und das sich auf nichts anderes gründete als die Tatsache, dass man endlich mal dem Volk bei einer Revolution zusehen konnte (die polnische Solidarnosz gab es damals ja noch nicht). Und ich lernte einen drolligen lutherischen Pastor kennen, der mit der Familie Ensslin bekannt war und besagter Gudrun Griechischunterricht gegeben hatte. Lauter Informationen aus erster Hand! Also genau das, wonach ich damals dürstete. Gudrun Ensslin sei "hochintelligent aber spinnig" gewesen, sagte mir der Pastor, als wir zusammen zur Beerdigung meines einstigen Religionslehrers fuhren, und sie habe einen Bruder, der an Schizophrenie erkrankt sei. Während er als Student einer chirurgischen Operation beiwohnte, habe er plötzlich behauptet, eine der Krankenschwestern "schaue ihn so nackt an".

Und "von der anderen Seite" wurde ich ebenfalls mit Informationen aus erster Hand verwöhnt. Der Vater einer meiner dortigen Freunde war ein ehemaliger, überaus herzlicher, SS-Mann, der immer noch zu den jährlichen Treffen fuhr und beteuerte, es seien völlig unpolitische kameradschaftliche Treffen. Und ich lernte dort auch einen ehemaligen Kämpfer eines Freicorps kennen. Interessant war in dieser bunten Runde auch ein dicker, britischer Biochemiker, der sich damals schon Gedanken über Wirtschaftspsychologie machte. Also es gab inzwischen hinreichend Gründe, um diesen Ort nicht zu verlassen, so groß meine Neugier aufs Militär auch war. Aber man kann nun mal nicht alles aus eigener Erfahrung kennenlernen. Mein Leitmotiv war schon damals "Audiatur et altera pars", und in dieser Hinsicht war ich in Kirchberg wirklich reichlich versorgt. Offiziere lernte ich meistens auf Reisen kennen. Als ich im Urlaub mit meiner Freundin per Anhalter nach England fuhr, nahm uns einmal ein Offizier der RAF mit (womit nicht die Rote Armee Fraktion gemeint ist, sondern die Royal Air Force). Wir wollten eigentlich nach Stratford, aber er schlug uns nach einer Viertelstunde Fahrt und Plauderei Nottingham vor und nahm uns nach Hause zu Frau und Kindern mit und zeigte uns am nächsten Tag bei einem Ausflug ins Grüne das Lake District.

Ich war nie ein Pazifist, weil ich nicht an den Pazifismus des Gegners glauben kann. Nur an seltene Übereinkünfte zwischen Gegnern, die sich gegenseitig achten, kann ich glauben und daran, dass deren Gefolgsleute ihnen manchmal auch tatsächlich für ein paar Jahre oder sogar Jahrzehnte folgen. Ich bedauerte es angesichts meiner skeptischen Einstellung gegenüber dem Pazifismus sogar, dass der Stand heutiger technologischer Entwicklung Krieg als Mittel zur Erreichung politischer Ziele delegitimiert hatte, insofern Kriege heutzutage entsetztlich gefährlich sind, entsetzliche Folgewirkungen haben (besonders der Nuklearkrieg, aber inzwischen auch die konventionelleren Varianten, durch die unerklärliche Fälle von Leukämie, auch unter den Soldaten, verursacht werden und Tausende von Bodenminen ausgestreut werden, die einzusammeln zum aussichtslosen Unternehmen wird) und gleichzeitig so unfruchtbar wurden, sodass der Krieg nicht mehr Symbol äußerster Machtentfaltung sein kann, sondern die Entfesselung der Unverhältnismäßigkeit darstellt und zum Symbol der Ohnmacht und der gebundenen Hände wird. Kriege fruchten nicht mehr! Die Tragweite der Militärtechnologie schreibt dem Menschen Folgen und Ergebnisse vor, die im erdenklich größten Widerspruch zu seinen Wünschen und Absichten stehen. Aus diesem Tatbestand die richtigen Konsequenzen zu ziehen, darauf kam es mir an. "Ich hätte auch gerne einen Krieg gewonnen! Ich beneide sogar den alten Cato, der unbekümmert sagen konnte, Ceterum censeo Carthaginem delendam esse. Aber ob es je wieder irgendwann gewinnbare Kriege geben wird? Das mache ich nicht mit", sagte ich mir damals. "Dadurch ändere ich zwar nichts, aber ich setze wenigstens ein Zeichen, dass mich selbst immer wieder unter Rechtfertigungsdruck stellt und so andere zwingen wird, mir zuzuhören".

Emil Spannocchis Ideen fand ich damals am überzeugendsten. Seine Idee der Raumverteidigung hätte im Kriegsfall den Verhandlungsspielraum auf mindestens zwei Wochen ausdehnen können. Die NATO-Konzeption hingegen ging davon aus, dass im Ernstfall schon nach drei Tagen die Anwendung von Nuklearwaffen unaufschiebbar gewesen wäre. Der damalige Oberbefehlshaber Rogers vertrat sogar die Ansicht, nach nur einem Tag.

Die "Weizsäckerstudie" von Carl Friedrich von Weizsäckers "Institut für Konfliktforschung" (am Max Planck Institut) hatte ergeben, dass Deutschland konventionell nicht verteidigt werden konnte, und dass eine nukleare Verteidigung zur Zerstörung des gesamten deutschen Gebiets hätte führen müssen.

Bei einem Symposium der Pugwash Conferences on Science and World Affairs im Mai 1978 wurde eine Erklärung verabschiedet, die auch von Uwe Nerlich unterschrieben wurde und auch heute noch mit Bedacht gelesen werden sollte: 

"Wir haben, nachdem sich die erschreckende Wirkung von Atomwaffen in Hiroshima und Nagasaki zum ersten Male gezeigt hatte, irgendwie 33 Jahre lang überlebt, ohne dass diese Waffen in einem Krieg zur Anwendung gekommen wären. 

Worauf ist dieses glückliche Schicksal zurückzuführen? 

Wir sind dieser Frage unter mehreren Gesichtspunkten nachgegangen: eine Analyse der Krisen, die sich in diesen Jahrzehnten ereigneten, die technischen Aspekte von Kontrolle und Kommando, und die verschiedenen Versuche, die qualitative und quantitative Entwicklung dieser Waffen zu regeln. Wir kamen insgesamt - in Anbetracht der Ereignisse der letzten Jahrzehnte - zu dem Schluss, dass ein Nuklearkrieg bisher nur durch gute Führung (good management) verhindert wurde, und in noch höherem Maße dem Glück (fortune) zu verdanken ist."

Der einzige Weg, der aus dieser Sackgasse - in der die beiden deutschen Staaten sich gegenseitig wie die Kettenhunde der beiden Supermächte gegenüberstanden - hätte herausführen können, schien mir damals wirklich Spannocchis Weg zu sein. Der Preis dafür wäre zwar die Notwendigkeit, alle 6 Monate Wehrübungen durchzuführen, gewesen, aber ich sagte mir, "das ist es wert!" und ich wäre dazu bereit gewesen.

Meine Wehrdienstverweigerung betraf also die spezifische Situation Deutschlands, das geografisch in der Mitte Europas liegt und für die Warschauer-Pakt-Staaten den Haupteingangskorridor nach Europa darstellte. Durch die Zweiteilung zum doppelten deutschen Michel wurde von Deutschland erwartet, im Ernstfall "sich gegenseitig selbst" zu zerfleischen, ohne dass damals je ein deutscher Politiker gewagt hätte, mit diesem Pfunde zu wuchern.

Hier eine aktuelle Analyse Nerlichs für die RAND Corporation

Zur Erinnerung an ein Thema, das nie inaktuell wurde - Pugwash Conference 1998


"Wer keine Macht besitzt, Schutz zu gewährleisten, verwirkt das Recht, Gehorsam zu verlangen; und umgekehrt: Wer Schutz sucht und ihn annimmt, hat nicht das Recht, den Gehorsam zu verweigern.“ Carl Schmitt

Seit Ende des 1. Weltkrieges sind nicht die Verlierer, sondern die Sieger vom Problem der Sicherheit besessen. Früher galt als Sieger derjenige, der Sicherheit im Übermaß besaß.


Tragweite der Waffentechnik

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