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Montag, 17. Januar 2011

Das Nibelungenlied








Zu Beginn des 13. Jahrhunderts - als sich das Christentum durchgesetzt hatte in, wie soll ich sagen? in Deutschland? in "Germanien"?, in der Selva Hercyna? - aktualisierte ein Kleriker, der die geschichtsträchtige Rheingegend um Worms und Xanten gekannt haben muss, eine alte Geschichte, um eine Konfliktlage zwischen Welfen und Stauffern darzustellen, die in den Städten entlang des Rheins, vor allem in Worms, um die Vorherrschaft kämpften. Bzw. er deaktualisierte junge Geschichten! Um sie erzählen zu können.

Nibel = Nebel
-ung = Sohn, Abkömmling, Nachkomme (patronymische Bildung, wie bei Merowing = Sohn des Merow oder Karoling = Nachkomme von Karl).
Der Familienname "Nibelung" war häufig in der Gegend von Worms. Dass die Geschichte dort entstand, ist also plausibel. Die Nibelungen waren somit Nachkommen von Personen, die mit dem Nebel zu tun gehabt haben mussten. Vermutlich betrifft dieses Nebulöse den Charakter: ein düsterer, nebelhafter Mann.

Nur ein einziger Vers über den Lindwurm! Siegfried habe ihn getötet. Das bedeutete Sieg über Leidenschaft und ungezügelte Natur, und - in der christlichen Ideenwelt des Mittelalters - über das Böse schlechthin. Die Geschichte von Siegfrieds Kampf mit dem Drachen, befindet sich also nicht im Nibelungenlied. Sie steht in der Thidrekssaga.

Der eine Vers über den Lindwurm ist eine ganz bestimmte Bezugnahme auf eine Figur, die im 13. Jahrhundert jedes Kind kannte: den aus Kappadokien stammenden Heiligen Georg, der zum Schutzpatron der Kreuzritter geworden war. Vor ihm galt der Heilige Michael als der eigentliche Drachenbezwinger. Seit der Schlacht am Lechfeld 955 ist Michael der Nationalheilige Deutschlands. Im Psalm 89 ist der Herr Zebaoth selbst der Bezwinger Rahabs. Thor besiegte die Midgardschlange, Apollo die Python, Herakles die Hydra, Tarhunna die Schlange Illuyanka, Indra den Vrithradrachen.

Fossilienfunde von Sauriern hatten im Lauf der Jahrtausende weltweit die Vorstellung von den Drachenungeheuern geformt. Schon bei den Römern gab es den Draco als bronzenes Feldzeichen von Kohorten (dieser Draco ist allerdings ägyptischen Krokodilen nachempfunden). Es gibt daher auch Otto Höflers These, dass die Figur Siegfried ein ausgeschmücktes Arminiuskostüm sei... Xanten - Siegfrieds Heimatstadt - war allerdings ein Ort, wo Arminius eine Zeit lang für Varus tätig war, bevor er ihn durch Verrat ins Verderben stürzte, und die Bataver brachen ihren Aufstand ebenfalls in Xanten vom Zaun! Der Drachentöter soll daher Arminius sein, und der Lindwurm wäre dann der kilometerlange Zug der drei Legionen (etwa 20000 Mann), mit seinen Draco-Standarten. Die fahrenden Sänger erzählten über Jahrhunderte die Geschichte von Arminius, bis irgenndwann aus Arminius "Sieg-Fried" wurde. 

Eigentlich eine ganz selbstverständliche Überlegung, die auch den modernsten Erkenntnissen über mündliche Überlieferung von Volksepen entspricht, wie in den Arbeiten von Parry und Lord (nachzulesen in Ongs herrlichem Buch über Oralität und Literatur). Nur in Deutschland kennt kein Mensch diese Forschungsergebnisse zu Volksepen, vielleicht weil Höfler ein bekennender Nazi war und ungern erzählt wird, dass in Himmlers Institut für Ahnenerbe eine so plausible These entwickelt werden konnte, die nicht nur propagandistischem Wunschdenken entsprach, sondern realistischer Einschätzung. Aber die Gleichsetzung von Arminius und Siegfried geht ja gar nicht auf Höfler zurück, wie in der ZDF-Dokumentation behauptet wird, sondern klingt seit 1820 immer wieder mal an und wurde besonders von Adolf Giesebrecht 1837 genau formuliert. Es ist sehr unerfreulich, dass das ZDF die Dinge so verdreht. Offensichtlich steigt die Einschaltquote, wenn man eine schöne plausible These mit Naziideologie umwittert, statt einfach zu sagen, dass sie fast 200 Jahre alt ist und auch in Himmlers Institut Anhänger hatte, die nach weiteren Indizien suchten.

Ein norwegischer Reisebericht aus dem 12. Jahrhundert erwähnt eine "Gnitaheide", wo "Siegfried den Drachen erschlug" fand dieser Höfler heraus. Tatsächlich gibt es einen Ort namens Knetterheide am Rande des Teutoburger Waldes. Und Kalkriese befindet sich etwa 70 Km davon entfernt (Knetterheide ist heute Teil von Bad Salzuflen). Sind 70 Km eine auffallend geringe Distanz, oder sind 70 Km zuviel, um hier einen plausiblen Zusammenhang sehen zu können?

Das stärkste Argument gegen die These, Siegfried sei Arminius, ist die Tatsache, dass unter den vielen Namen, die aus dem 6. und angehenden 7. Jahrhundert überliefert sind, kein einziger 'Siegfried' belegt ist; die frühesten Belege des Namens Siegfried stammen vom Ende des 7. Jahrhunderts und beziehen sich auf Personen, die um oder nach 650 geboren wurden. Danach wird dieser Name sehr schnell häufig. Wenn es schon früher einen berühmten Sagenhelden dieses Namens gegeben hätte, wäre es unerklärlich, wieso sein Name nicht in der Personennamengebung benutzt wurde. Dieses sehr wichtige Gegenargument wird leider in der ZDF-Dokumentation mit keinem Wort erwähnt. Das setzt der Verlogenheit die Krone auf. Offensichtlich will der Autor des Dokumentationsfilms, dass die Fernsehzuschauer an die "NS-These" glauben. Dass der Autor versteckte, indirekte NS-Propaganda betreibt, glaube ich nicht. Aber dass er um die Einschaltquote zu heben nicht davor zurückschreckt, falsche Tatsachen vorzuspiegeln, wollen wir zur Kenntnis nehmen.

Ansonsten wird von Höfler beliebig zusammengeklaubt und -geklebt, was sich so findet. Als Nibelungenhort soll der Hildesheimer Silberschatz dienen. Aber von Schätzen handeln Epen wahrscheinlich immer, und in der Wirklichkeit kommen Schätze erst recht vor, egal ob es die von Priamos sind, oder ob sie bereits seit 1000 Jahren unter der Erde Trojas ruhten, als der trojanische Krieg noch in Gang war.

Die Ritter sind eine mächtige Gesellschaftsklasse in der Zeit, als das Nibelungenlied geschrieben wurde. Der Autor kann nur ein Geistlicher gewesen sein, denn nur sie verfügten damals über die nötige Bildung. Vielleicht schrieb er unter anderm gegen die damals unter Rittern gar zu verbreitete Selbstjustiz an, die auch im Sachsenspiegel gegeißelt wird, der von Eike von Repgow etwa zur selben Zeit aufgeschrieben wird, als das Nibelungenlied geschrieben wird. Dessen Autor verbindet Geschichtsstoff aus 1000 Jahren durch Neuverarbeitung des Schicksals der Burgunden (die um 436 von den Hunnen aus Worms vertrieben wurden), von 600 Jahre alten Intrigen der Merowingern und von Sagen über Schätze im Rhein.

Die Merowinger hatten streitbare Frauen.

Gewisse Züge der Brünhild, die wohl kein Zufall sein können, finden sich in Brunichildis, die eine Frau mit großem Durchsetzungsvermögen war (mulier virilis), die in Rüstung auftrat und mit ihrer Armee in den Krieg zog!! Es gibt eine Münze im Münzkabinett der Bibliotheque Nationale in Paris, die ein stilisiertes Portrait der Brunichildis zeigt, und auf der Rückseite steht der damalige lateinische Name von Worms, "Varmatia". Mit anderen Worten, die Münze wurde in Worms im Auftrag von Brunichildis geprägt. Sie residierte oft in Autun, und ihr tragisches Schicksal ging dort ins historische Gedächtnis über.

Brunichildis Ehemann Sigibert I. wurde durch gewisse Parallelen vielleicht zur historischen Vorlage für einige Details der Siegfriedfigur. Brünhilds Rachestory fußt vage auf der Familienstory Sigiberts: Fredegunde war die 2. Ehefrau von Chilperich I. (dem Bruder Sigiberts), und als sie noch seine Konkubine war, ließ sie die erste Ehefrau ermorden. Auch Sigibert ließ sie ermorden, als er mit seinen Soldaten nach einer erfolgreichen Schlacht feierte. 

Brunichildis lässt daraufhin Chilperich umbringen, um den Mord an ihrem geliebten Sigibert zu vergelten. Venantius Fortunatus (der Dichter des Pange lingua) hatte ein Hochzeitsgedicht für Sigibert und Brunichildis geschrieben, in dem er Sigibert mit Achilleus vergleicht! Dieses Hochzeitsgedicht wurde im 13. Jahrhundert immer noch gerne gelesen, könnte also tatsächlich zu den Inspirationsquellen des Autors gehört haben, die dieser in Worms gelesen haben könnte.

Aus der Sicht des Autors, der ein Kleriker gewesen sein muss, war Siegfried eigentlich ein Auslaufmodell, denn er war ein unchristlicher, heidnischer Held, in dem Erinnerungen an Achill und Armin lebendig waren. Sein Nibelungenlied dient vielleicht gar nicht der Verherrlichung, sondern ähnlich wie Augustins "De civitate Dei" der Herabsetzung heidnischer Kultur: er gab sich für nicht besonders ritterliche Täuschungsmanöver her, und der wahrlich treue Held, der den Zankapfel "Nibelungenschatz" ohne Selbstsucht schlicht und einfach wegwirft, ist eigentlich Hagen.

Es gibt keine deckungsgleichen Übereinstimmungen zwischen Brünhilde und Brunichildis und erst recht nicht zwischen Krimhild und Fredegunde. Nur gewisse Elemente stimmen überein, und tatsächlich kam durch zwei machtgierige Frauenfiguren, wie die, die das Nibelungenlied überschatten, Unheil über dieses fränkische Königsgeschlecht, in einer Zeit, als die Christianisierung noch in den Kinderschuhen steckte. Sigibert und Chilperich waren Enkel von Chlodwig I., der die Franken durch Zwangstaufe christianisiert hatte.

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