Wenn in den
vergangenen Tagen und Wochen die vermeintlich harte Verhandlungsführung
der deutschen Akteure in der „Griechenland Rettung“ gescholten wurde,
war der Hinweis auf die großzügige Niederschlagung der deutschen
Schulden nach dem Zweiten Weltkrieg oft schnell bei der Hand. Damals
seien der jungen, vom Krieg gezeichneten Bundesrepublik durch eine
wohlwollende internationale Gläubigergemeinschaft und insbesondere von
den Vereinigten Staaten ihre Auslandsschulden erlassen worden, so dass
die Bundesrepublik faktisch ohne Belastungen in die Nachkriegszeit
starten konnte, so heißt es. Die historische Unkenntnis, die selbst bei
ansonsten klugen Kommentatoren der Griechenland-Krise in diesem
Zusammenhang durchscheint, lässt vermuten, dass es sich wohl eher um ein
strategisches Argument handelt, das hier historisch untermauert werden
soll. Bei besserer Kenntnis der jüngeren deutschen Wirtschaftsgeschichte
würden die Kommentatoren andere Schlüsse ziehen.
Auf der Londoner Schuldenkonferenz
1952 und 1953 wurde einerseits über die deutschen Vorkriegsschulden und
andererseits über die Rückzahlung der amerikanischen Marshallplan-Hilfen
verhandelt. Bei den Vorkriegsschulden handelte es sich zum einen um
staatliche Schulden, die zum Teil auf die Reparationsforderungen aus dem
Ersten Weltkrieg
zurückgingen, und zum anderen um privatwirtschaftliche Schulden, die
aufgrund der Devisenbewirtschaftung ebenfalls nicht bedient worden
waren. In den Vorverhandlungen ging es zunächst darum, den Barwert
dieser Verschuldung festzustellen, wobei alliierte Demontagen und
beschlagnahmtes deutsches Auslandsvermögen mit einzurechnen waren. Die
größte Schwierigkeit lag aber darin, einen geeigneten Maßstab für die
Umrechnung der in älteren Währungen aufgenommenen Schulden zu finden.Fünfzigprozentiger Schuldenschnitt für Deutschland
Die Festsetzung auf 13,5 Milliarden D-Mark Vorkriegsschulden und 16,2 Milliarden D-Mark Nachkriegsschulden ist als sehr großes Entgegenkommen der Gläubiger zu werten, und tatsächlich waren die Vereinigten Staaten hierbei die treibende Kraft. Immerhin hatten die Reparationsforderungen aus dem Ersten Weltkrieg einmal 132 Milliarden Goldmark betragen. Der tatsächliche circa fünfzigprozentige Schuldenschnitt, der dann in den Verhandlungen 1952 erzielt wurde, stellte daher gegenüber den Entlastungen durch die Bewertung der Ausgangssumme nur noch eine Kleinigkeit dar. Die danach verbleibende Schuldsumme von gut 14 Milliarden D-Mark entsprach etwa einem Zehntel des westdeutschen Bruttosozialprodukts von 1953. Dieser Betrag ist aber nach einer vereinbarten fünfjährigen Schonfrist ab 1958 vollständig durch den bundesdeutschen Staat und die westdeutsche Privatwirtschaft getilgt worden.
Interessant
ist die Frage, warum damals die Gläubiger wie die Vereinigten Staaten,
darunter auch Griechenland, dem großzügigen Schuldenschnitt zugestimmt
haben. Das Interesse an einem friedlichen Neuanfang in Europa hat
zweifellos eine große Rolle gespielt. Zumindest eine Begründung weist
aber auch in die Vereinigten Staaten: Diese hatten sich als Bedingung
für die Zahlung der Marshallplan-Hilfen 1947 ausbedungen, dass ihre
Kredite vorrangig vor älteren Schulden zu bedienen seien. Aufgrund
dieser Regelung konnten sie nun 1952 die Empfängerländer des
Marshallplans (hierunter auch Griechenland) zum Einlenken bewegen, indem
sie in Aussicht stellten, auf ihre eigenen Forderungen zu verzichten,
wenn die anderen Länder im Gegenzug auch auf ihre Forderungen gegenüber
Deutschland verzichteten. Man könnte dies eine sehr harte
Verhandlungslinie nennen, die freilich auf der richtigen Erkenntnis
beruhte, dass gegenseitige Schuldforderungen den europäischen
Wiederaufbau stark belasten würden. Natürlich stand die gesamte
Diskussion im Zusammenhang mit dem beginnenden Kalten Krieg. Damals war
jedenfalls der Appell der Amerikaner mit einem eigenen
Forderungsverzicht verbunden.
Die Transferklausel im Abkommen
Die eigentliche Lehre des Londoner Schuldenabkommens für die heutige verfahrene Situation liegt aber in einem ganz anderen Aspekt, der wohl deshalb von den Mahnern bislang nicht betont wird, weil er die ganze Sinnlosigkeit des aktuellen, allzu hektisch geschnürten „Rettungspakets“ mit einem Schlag ans Tageslicht bringen würde: Das Abkommen enthielt eine Transferklausel. Zins- und Tilgungszahlungen der Bundesrepublik waren an einen Handelsbilanzüberschuss des Landes gekoppelt worden. Der Handelsbilanzüberschuss der ersten acht Monate von 1952, circa 580 Millionen D-Mark, galt als Maßstab. Zins- und Tilgungsraten sollten nicht über diese Summe hinausgehen. Auslandsschulden sollten also nur bedient werden, wenn das Land im Außenhandel Geld verdiente.Nur weil die Bundesrepublik vergleichsweise mühelos seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre einen solchen Überschuss erzielte, stellte das Ergebnis der Londoner Schuldenkonferenz keine wirtschaftliche Belastung dar. Wäre in der Bundesrepublik kein Handelsbilanzüberschuss entstanden, hätte auch das „Rettungspaket“ 1952/1953 nachverhandelt werden müssen. Eine vergleichsweise kleine Schuldensumme hätte sich dann in kurzer Zeit zu einer großen Belastung entwickeln können, wenn – wie im Fall Griechenlands – die Zinszahlungen aus alten Schulden immer wieder durch die Aufnahme neuer Schulden bezahlt worden wären.
Die stets verschwiegene Transferklausel
SVVM CVIQVE
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