Stationen

Mittwoch, 29. Juli 2015

Der große und der kleine Unterschied

Wenn in den vergangenen Tagen und Wochen die vermeintlich harte Verhandlungsführung der deutschen Akteure in der „Griechenland Rettung“ gescholten wurde, war der Hinweis auf die großzügige Niederschlagung der deutschen Schulden nach dem Zweiten Weltkrieg oft schnell bei der Hand. Damals seien der jungen, vom Krieg gezeichneten Bundesrepublik durch eine wohlwollende internationale Gläubigergemeinschaft und insbesondere von den Vereinigten Staaten ihre Auslandsschulden erlassen worden, so dass die Bundesrepublik faktisch ohne Belastungen in die Nachkriegszeit starten konnte, so heißt es. Die historische Unkenntnis, die selbst bei ansonsten klugen Kommentatoren der Griechenland-Krise in diesem Zusammenhang durchscheint, lässt vermuten, dass es sich wohl eher um ein strategisches Argument handelt, das hier historisch untermauert werden soll. Bei besserer Kenntnis der jüngeren deutschen Wirtschaftsgeschichte würden die Kommentatoren andere Schlüsse ziehen.
Auf der Londoner Schuldenkonferenz 1952 und 1953 wurde einerseits über die deutschen Vorkriegsschulden und andererseits über die Rückzahlung der amerikanischen Marshallplan-Hilfen verhandelt. Bei den Vorkriegsschulden handelte es sich zum einen um staatliche Schulden, die zum Teil auf die Reparationsforderungen aus dem Ersten Weltkrieg zurückgingen, und zum anderen um privatwirtschaftliche Schulden, die aufgrund der Devisenbewirtschaftung ebenfalls nicht bedient worden waren. In den Vorverhandlungen ging es zunächst darum, den Barwert dieser Verschuldung festzustellen, wobei alliierte Demontagen und beschlagnahmtes deutsches Auslandsvermögen mit einzurechnen waren. Die größte Schwierigkeit lag aber darin, einen geeigneten Maßstab für die Umrechnung der in älteren Währungen aufgenommenen Schulden zu finden.

Fünfzigprozentiger Schuldenschnitt für Deutschland

Die Festsetzung auf 13,5 Milliarden D-Mark Vorkriegsschulden und 16,2 Milliarden D-Mark Nachkriegsschulden ist als sehr großes Entgegenkommen der Gläubiger zu werten, und tatsächlich waren die Vereinigten Staaten hierbei die treibende Kraft. Immerhin hatten die Reparationsforderungen aus dem Ersten Weltkrieg einmal 132 Milliarden Goldmark betragen. Der tatsächliche circa fünfzigprozentige Schuldenschnitt, der dann in den Verhandlungen 1952 erzielt wurde, stellte daher gegenüber den Entlastungen durch die Bewertung der Ausgangssumme nur noch eine Kleinigkeit dar. Die danach verbleibende Schuldsumme von gut 14 Milliarden D-Mark entsprach etwa einem Zehntel des westdeutschen Bruttosozialprodukts von 1953. Dieser Betrag ist aber nach einer vereinbarten fünfjährigen Schonfrist ab 1958 vollständig durch den bundesdeutschen Staat und die westdeutsche Privatwirtschaft getilgt worden.

Insgesamt – so eine Berechnung der Bundesregierung im Jahr 1991 – habe die Bundesregierung 100 Milliarden D-Mark in Abwicklung des Londoner Schuldenabkommens und anderer Verträge gezahlt. Hierzu gehörten die im Luxemburger Abkommen zeitgleich geschlossenen Vereinbarungen mit Israel und Sonderregelungen mit der Schweiz, die als eines der wenigen Länder auch die Clearing-Schulden des Deutschen Reiches größtenteils zurückerhielt. Von einem totalen Schuldenerlass nach dem Zweiten Weltkrieg kann also nicht die Rede sein.

Interessant ist die Frage, warum damals die Gläubiger wie die Vereinigten Staaten, darunter auch Griechenland, dem großzügigen Schuldenschnitt zugestimmt haben. Das Interesse an einem friedlichen Neuanfang in Europa hat zweifellos eine große Rolle gespielt. Zumindest eine Begründung weist aber auch in die Vereinigten Staaten: Diese hatten sich als Bedingung für die Zahlung der Marshallplan-Hilfen 1947 ausbedungen, dass ihre Kredite vorrangig vor älteren Schulden zu bedienen seien. Aufgrund dieser Regelung konnten sie nun 1952 die Empfängerländer des Marshallplans (hierunter auch Griechenland) zum Einlenken bewegen, indem sie in Aussicht stellten, auf ihre eigenen Forderungen zu verzichten, wenn die anderen Länder im Gegenzug auch auf ihre Forderungen gegenüber Deutschland verzichteten. Man könnte dies eine sehr harte Verhandlungslinie nennen, die freilich auf der richtigen Erkenntnis beruhte, dass gegenseitige Schuldforderungen den europäischen Wiederaufbau stark belasten würden. Natürlich stand die gesamte Diskussion im Zusammenhang mit dem beginnenden Kalten Krieg. Damals war jedenfalls der Appell der Amerikaner mit einem eigenen Forderungsverzicht verbunden.

Die Transferklausel im Abkommen

Die eigentliche Lehre des Londoner Schuldenabkommens für die heutige verfahrene Situation liegt aber in einem ganz anderen Aspekt, der wohl deshalb von den Mahnern bislang nicht betont wird, weil er die ganze Sinnlosigkeit des aktuellen, allzu hektisch geschnürten „Rettungspakets“ mit einem Schlag ans Tageslicht bringen würde: Das Abkommen enthielt eine Transferklausel. Zins- und Tilgungszahlungen der Bundesrepublik waren an einen Handelsbilanzüberschuss des Landes gekoppelt worden. Der Handelsbilanzüberschuss der ersten acht Monate von 1952, circa 580 Millionen D-Mark, galt als Maßstab. Zins- und Tilgungsraten sollten nicht über diese Summe hinausgehen. Auslandsschulden sollten also nur bedient werden, wenn das Land im Außenhandel Geld verdiente.
Nur weil die Bundesrepublik vergleichsweise mühelos seit der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre einen solchen Überschuss erzielte, stellte das Ergebnis der Londoner Schuldenkonferenz keine wirtschaftliche Belastung dar. Wäre in der Bundesrepublik kein Handelsbilanzüberschuss entstanden, hätte auch das „Rettungspaket“ 1952/1953 nachverhandelt werden müssen. Eine vergleichsweise kleine Schuldensumme hätte sich dann in kurzer Zeit zu einer großen Belastung entwickeln können, wenn – wie im Fall Griechenlands – die Zinszahlungen aus alten Schulden immer wieder durch die Aufnahme neuer Schulden bezahlt worden wären.

Die Verhandlungen in London waren also auch damals äußerst schwierig, und eine großzügige Haltung der Gläubiger garantierte keineswegs den Erfolg. Den Akteuren war das seinerzeit durchaus bewusst. Finanzminister Fritz Schäffer übertrug dem späteren Vorstandssprecher der Deutschen Bank, Hermann Josef Abs, die Rolle des Verhandlungsführers mit den Worten: „Wenn Sie es schlecht machen, werden Sie an einem Birnbaum aufgehängt, und wenn Sie es gut machen, an einem Apfelbaum.“ Die Geschichte des Londoner Schuldenabkommens lehrt zuallererst, dass Auslandsverschuldung nur bei Leistungsbilanzüberschüssen tragfähig reduziert werden kann. Hiervon ist Griechenland ganz unabhängig vom Wohlwollen der Gläubiger weit entfernt.

Die stets verschwiegene Transferklausel

SVVM CVIQVE

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