»Das Genaue ist das Falsche. Es läßt den
Hof, den Nimbus nicht zu. Unsere Lebenssphäre ist das Vage, das
Ungefähre« (Botho Strauß). — Es gibt in der Sphäre der Politik – also
dort, wo es um den Bau und den Erhalt der politischen Ordnung geht –
drei unverzichtbare Kategorien für jeden Rechten:
das Volk (die
ethnisch-kulturelle, nicht starre, aber erkennbar abgegrenzte
Schicksalsgemeinschaft), die Nation (diese Willensbekundung des Volkes
zur Souveränität) und die Große Erzählung (den Bericht über die Tage und
Taten des »Wir«, das aus dieser Erzählung Kraft schöpft).
Leider steht es – um es mit einem Rest an
Hoffnung auszudrücken – in Deutschland mit diesen drei Größen nicht zum
Besten. Das Volk schrumpft, die Verluste werden durch Zuwanderer
ausgeglichen, ein quantitativer Austausch, bei dem die Qualität (das
heißt: die Unverwechselbarkeit, die aus der Verwurzelung rührt) keine
Rolle mehr spielt. Man muß ja auch zugeben: Ob der weltläufige Konsument
als Spanier in München, als Türke in New York oder als Deutscher in
London jobben und shoppen geht, ist letztlich egal. Dem Volk wird
dadurch doppelt zugesetzt, beides raubt ihm seine Eigentümlichkeit –
unumkehrbar wahrscheinlich.
Zur Nation ist zu sagen, daß sie ihre
Souveränität nach 1945 nie mehr zurückerhalten und allein in den
vergangenen zwanzig Jahren so viele Kernkompetenzen an supranationale
Institutionen abgegeben hat, daß alles politische Handeln wirkt, als
klebe man Tapeten über schimmlige Wände.
Von der Großen Erzählung schließlich ist die Ausleuchtung der großen Sauereien geblieben. Natürlich kann man Christopher Clarks Bericht
über den somnambulen Taumel in den Ersten Weltkrieg für einen ersten
Schritt auf dem Weg der Rückeroberung verlorener Deutungsmacht halten,
indes: Während wir auf diesen klitzekleinen Historikerstreit hoffen,
speist die Deutsche Filmförderung achteinhalb Millionen Euro in die
Hollywood-Schmonzette Monuments Men ein, weil George Clooney in
Merseburg und Babelsberg dreht. Er behauptet in seinem Film, daß es die
Amerikaner gewesen seien, die inmitten der kleinen Unordnung des
alliierten Vormarsches das kulturelle Erbe der Menschheit vor der
Zerstörung bewahrten. Gedreht hat dieser grinsende Blender
beispielsweise auch in Halberstadt, diesem kriegsunwichtigen Städtchen,
das am 8. April 1945 innerhalb von zwanzig Minuten durch Bomben
vollkommen zerstört wurde. Drei Tage später marschierten die Amerikaner
in das ein, was ihre Luftwaffe übriggelassen hatte, und vermutlich zog
irgendein Clooney schon damals aus den Trümmern ein Gemälde mit
angekohltem Rahmen, um es für die Menschheit aufzubewahren.
»Für uns also heißt es: überaus aufmerksam untergehen«, schreibt Botho Strauß. Mit »uns« kann er nur uns meinen.
—
Die Neue Rechte wird seit Alain de Benoists Programm einer Kulturrevolution von rechts
mit Antonio Gramscis Strategie der Eroberung der kulturellen Hegemonie
in Verbindung gebracht: Wer Begriffe definiere, Debatten führe und
gewinne, Slogans durchsetze und die Kultur weltanschaulich kanonisiere,
werde zu einem Machtfaktor, den die Politik auf Dauer nicht ignorieren
könne. Wir haben diesen Ansatz in der Sezession nicht nur etliche Male durchdekliniert – die Sezession selbst ist eine Strecke auf diesem Weg. Dabei gab und gibt es stets drei Sphären: den Einzelnen, die Politik und das Ganze.
Der Einzelne zielt auf die Verwirklichung
des ihm Angemessenen und hinterläßt dabei eine Spur. Dieser Anspruch der
ersten Sphäre ist in seinem Wechselspiel aus Freiheit und Bindung eines
der großen, konservativen Themen – er wirft die Frage nach innen- und
außengeleitetem Handeln, nach Dienst und Einpassung, Widerstand und Ego
non auf; Es geht also um ein grundsätzliches Zurechtkommen, um das
eigene Schicksal, um das »Eigentum« in einem weit über den Besitz
hinausweisenden Sinn. Diese erste Sphäre ist total, sie ist existentiell
und spielt für die Frage nach der Strategie Gramscis insofern eine
Rolle, als aus ihr heraus ein Gutteil jener Persönlichkeit geformt,
gestärkt und entlassen wird, die ausgreifen und Wirkung entfalten
möchte.
Ort dieses Wirkens ist zum einen der
politische Raum. Diese zweite Sphäre ist von der Arbeit am Machbaren
geprägt, und es gibt auf Dauer nur eine Möglichkeit, in dieser Sphäre zu
verweilen: indem man sich von den Gegebenheiten, den Wirkungsgesetzen
und den Machbarkeitshinweisen der Politik zum Politiker erziehen läßt,
von der Anmaßung also zum Angemessenen findet und weder das Ich, noch
das Ganze gegen Ausgleich und Kompromiß setzt. Bleibt es beim Ich, wird
man zum Narren, soll es das Ganze sein, endet es im Chaos oder in der
Katastrophe.
Dieses »Ganze« nämlich – getragen nicht vom
kompromißbereiten, sondern vom anmaßenden »Ich« – ist die dritte
Sphäre: der Ort des großen Entwurfs, der Kunst, des Traums, der
Rücksichtslosigkeit, der Lebenssteigerung, des Rausches, der
Kompromißlosigkeit, des großen Moments, der irrationalen Vitalität, und
nicht nur jene, die bruchlos von Luther über Nietzsche zu Hitler
durcherzählen, sehen in der Übertragung der Innerlichkeit, der
Gralssehnsucht und der Tiefe auf die Politik den Sündenfall des
deutschen Geistes an sich.
—
Carl Schmitts Arbeit über die Politische Romantik
ist das Dokument einer theoretisch geglückten Selbstheilung. Schmitt
selbst schwankte als junger Mann zwischen seiner Neigung zur Germanistik
und seiner Einsicht in die Notwendigkeit einer Karriere als
Staatsrechtler. Mit der 1919 erschienenen Politischen Romantik
war die Entscheidung gefallen: Schmitt beschrieb den Typus des
Romantikers dergestalt, daß er ihn selbst nicht mehr verkörpern wollte
und konnte. Er nahm ihm zunächst die deutsche Exklusivität: Zwar habe
sich das Romantische (also eine bestimmte, an der historischen Romantik
ausgerichtete Art des geistigen Zugriffs) in Deutschland auf besondere
Weise manifestiert und behauptet, sei aber insgesamt das Ergebnis einer
beinahe notwendigen Entwicklung der modernen Psyche: Der Romantiker
glaube im Gefolge Rousseaus und Herders daran, daß die aus Vernunft und
Aufklärung rührende Entfernung des Menschen von seiner »Natur« ein
Vorgang der Verarmung sei und daß der ungeordneten, un-vernünftigen,
natürlichen Begabung des Menschen Vitalkräfte innewohnten, die es zu
befreien und zu feiern gelte.
Der Mensch rückt damit ins Zentrum der
Schöpfung, aber nicht mehr in christlicher Demut: Er wird selbst zum
Schöpfer. So verstanden, ist Romantik nach Schmitt »subjektiver
Occasionalismus, d.h. im Romantischen behandelt das romantische Subjekt
die Welt als Anlaß und Gelegenheit seiner romantischen Produktivität.«
Von dieser Position aus versetzte der Staatsrechtler Schmitt dem
Romantiker mit politischen Ambitionen den Todesstoß: Aus seiner
expressiven Schöpfergeste heraus bleibt der Romantiker blind für die
Realität und das Unabwendbare, dem er einen anmaßenden, eben
»occasionellen«, selbstgefälligen Entwurf entgegenstellt – eine Utopie,
die er meist als einziger Bewohner besiedelt, und darüber hinaus nur im
Geiste! Denn im konkreten Leben greift selbst der romantischste
Romantiker auf jene Ordnungsleistungen zurück, die von den weniger
inspirierten, weniger trunkenen Bürgern aufgerichtet worden sind. »Keine
Gesellschaft kann eine Ordnung finden ohne einen Begriff von dem, was
normal und dem, was Recht ist. Das Normale ist seinem Begriff nach
unromantisch, weil jede Norm die occasionelle Ungebundenheit des
Romantischen zerstört« (Schmitt). Anders ausgedrückt: Auch
Ein-Mann-Kasernen hängen an der öffentlichen Stromversorgung.
—
Capisco et obmutesco, dachte Schmitt
vermutlich, als er sein Manuskript abgeschlossen hatte, »ich begreife
und verstumme«. 1933 blitzte seine unterdrückte Sehnsucht nach dem
Großen, Ganzen, Vitalen noch einmal auf, obwohl er die Katastrophe
ahnte. Die Frage nach der Wirkmächtigkeit Politischer Romantik erhält
aus den zwölf Jahren folgende Antwort: Nie wieder hat eine politische
Okkasion auch nur annähernd so elektrisierend und erschütternd,
entfesselnd und produktiv, katastrophal und verheerend gewirkt wie diese
kurze Zeitspanne. Das Dröhnen dieser deutschen Götterdämmerung hallt
bis heute nach, neben den Nibelungenzug ist der Vormarsch der Wehrmacht,
neben Etzels Saal ist Stalingrad getreten. Von solchen Orten findet
seit jeher niemand zurück, und mit dem Hinweis auf sie läßt sich
untermauern, daß sich die Politik auf das Prinzip der Verhinderung von
Schmerzen, Leid und Grausamkeit gründen müsse.
—
»Die Spannung zwischen dem Romantischen und
dem Politischen ist die Spannung zwischen dem Vorstellbaren und
Lebbaren. Der Versuch, diese Spannung in eine widerspruchsfreie Einheit
zu überführen, kann zur Verarmung oder zur Verwüstung des Lebens führen.
Das Leben verarmt, wenn man sich nichts mehr vorzustellen wagt über das
hinaus, was man auch leben zu können glaubt. Und das Leben wird
verwüstet, wenn man um jeden Preis, auch den der Zerstörung und
Selbstzerstörung, etwas leben will, bloß weil man es sich vorgestellt
hat. Wenn wir die Vernunft der Politik und die Leidenschaft der Romantik
nicht als zwei Sphären begreifen und als solche zu trennen wissen, wenn
wir statt dessen die bruchlose Einheit wünschen und uns nicht darauf
verstehen, in mindestens zwei Welten zu leben, dann besteht die Gefahr,
daß wir in der Politik ein Abenteuer suchen.« (Rüdiger Safranski)
Hier ist das alles also wieder klar
voneinander geschieden und doch väterlich vermittelt: die Politik von
der Kunst, das Mögliche vom Ganzen, die soziale Frage von der Schönheit,
und nicht schwer ist es, zu erkennen, worauf das hinausläuft: Der
panische Schrecken, den die Kunst verbreiten kann, wird ersetzt durch
eine Art romantischen Dünger. Das Leben soll schon seine paar Erregungs-
und Verzückungsspitzen haben, am besten aber nur Samstags zwischen
neunzehn und einundzwanzig Uhr dreißig. Derlei Sphärentrennung ist
vergleichbar mit dem Eifer, Museen zu bauen und um jeden etwas älteren
Stein einen Zaun zu ziehen.
Alles ist behandelt, beschrieben und
abgelegt, man weiß viel, eigentlich alles, aber nichts zündet mehr. Der
bloßen Verwaltung des Lebens wird durch einen vom Ernst abgetrennten,
inneren Erlebnispark vorgebeugt. An die Stelle der Temperaturerhöhung
tritt das folgenlose »Interesse«, tritt das, was Nietzsche das
»Schweißtuch des Bürgers« genannt hat: geordnete Erregung, weit entfernt
von dem, was der Torso Apolls zu bewirken vermochte und vermag – »Du
mußt dein Leben ändern!«
—
Anscheinend verweigern sich nur Unbelehrbare einem neuen Trend: Neuer Realismus ist sein Name, die AfD verkörpert ihn, die Junge Freiheit verbreitet ihn, Vordenker beschreiben seinen spröden Charme
und die ihm innewohnende Hinwendung zu Lagefeststellungen,
Machbarkeitsüberlegungen und politischer Bescheidenheit. Die Fragen
lauten: Wo können wir anknüpfen, welche Kröten müssen wir schlucken?
Implizit bedeutet das: Wer jetzt noch mehr als das will, was möglich
geworden ist, kann nicht mehr für politikfähig gelten. Denn die Sphäre
der Politik, aus der bisher jeder Ansatz von rechts hinausgeprügelt
wurde, scheint offen zu sein für diese Mixtur aus liberalem
Konservatismus, Überdehnungswarnung und kommunitaristischer Disziplin.
Nicht wenige Konservative und Rechte sehen die Chance, politisch zu
Wirkung, Einfluß, sogar zu Macht zu gelangen, und es ist der Vorgang an
sich, der sie dazu bringt, plötzlich auf diesen Minimalkonsens zu
pochen. Endlich dabei!
Vor diesem Hintergrund und
dieser Dynamik gilt es, eine grundsätzliche Entscheidung zu treffen:
Sind die direkte und die metapolitische Einflußnahme auf die zweite
Sphäre von solcher Bedeutung, daß sie ab sofort die Richtschnur rechten
Denkens, Publizierens und Handelns sein sollten und alles, was auf die
Politik ausgerichtet ist, einer Art Parteidisziplin unterwerfen dürfen?
Ist die Anmaßung – diese Maximalforderung des Ichs oder des Ganzen –
tatsächlich das Schlimmste, was man jetzt, gerade jetzt hineintragen
könnte in den ein ganz klein wenig aufbrechenden, durch und durch
liberalen, abgesicherten, auf die Mitte hin orientierten Konservatismus?
—
Wer zu viele Kröten schluckt, kann nichts
Großes mehr erzählen, und vor allem opfert er der Struktur das
Notwendige. Anzuknüpfen heißt nämlich, auch in Zukunft auf dieses
Geflecht Rücksicht nehmen zu müssen. Dies ist also eine grundsätzliche
Entscheidung: für oder gegen die Sezession. Denn nur losgelöst von engen
Bindungen in die zweite Sphäre gelingt es, der Großen Erzählung den
taktierenden Ton zu nehmen und das Mobilisierende, Magnetische,
Elektrisierende gegen den Realismus (sei er alt, sei er neu, sei er
vernünftig) zu stellen, nach einem uralten poetischen Gesetz: Zwar war
es nie so, wie es erzählt wird, aber es wirkt immer! »Der Reaktionär«,
schreibt Botho Strauß, »ist Phantast, Erfinder (der Konservative dagegen
eher Krämer des angeblich Bewährten). Gerade weil nichts so ist, wie
er’s sieht, noch gar nach seinem Sinn sich entwickelt, steigert er die
fiktive Kraft seiner Anschauung und verteilt die nachhaltigsten Güter. Oder die lange anhaltenden. Oder die im Erhalten sich erneuernden.«
—
Es ist ein wenig müßig, immer wieder auf die
Bilanz der Politik der letzten Jahrzehnte hinzuweisen. Dieser
schleichenden Katastrophe, dieser Auflösung aller Dinge fehlt das
Alarmierende. Man kann ganz gut leben, wenn man über gar keinen oder
einen sehr geordneten Kopf verfügt, wenn einem also die Verödung des
Lebens gar nicht oder nur aus der Distanz zusetzt. Zivilisation? Für
Arnold Gehlen ist das nichts anderes als die »Katastrophe im Zustand
ihrer Lebbarkeit«. Das von Max Weber beschriebene »stählerne Gehäuse«
aus Institutionen, Bedürfnisbefriedigung und Verwaltungsnotwendigkeit,
in das sich der einzelne Mensch innerhalb der Massengesellschaft
gezwängt sieht, garantiert diese Lebbarkeit und schnürt natürlich auch
den Politiker in ein Korsett: Er wird zum anti-erhabenen Typ – wenn er
es nicht schon immer war – und kann keine Alternative mehr formulieren.
Dies könnte nur dem gelingen, der Maßstäbe
aus einer Sphäre mitbrächte, in der die Politik keine Rolle spielt:
Glaube, Dichtung, Anderland. Er hätte ein ganz anderes Bild dabei, eine Große Erzählung,
und vor allem wäre er von furchterregender, angemessen rücksichtsloser
Entschlossenheit. Der Einzelne und sein inneres, sein poetisches Reich –
wer wirklich schöpferisch und restaurativ zugleich wirken will, muß
dort gewohnt haben. Hat der ein oder andere Realist vielleicht die
Geburt des Täters Claus Graf Schenk von Stauffenberg aus dem
George-Kreis (mithin im Geheimen Deutschland) übersehen? Keimte nicht
gerade in diesem glänzenden Offizier etwas, das zur rechten Zeit reifen
konnte? Mehr von diesem Dünger!
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