Stationen

Dienstag, 27. April 2010

Grenzüberschreitung

(draufklicken)

Als ich Josef Ratzinger Anfang der 80-er Jahre zum ersten Mal im TV sah, wusste ich überhaupt nichts von ihm, und mir war seine Physiognomie unangenehm, die mich an den von Riemenschneider gefertigten Epitaphaltar für Rudolph II von Scherenberg erinnerte. Und zwar weil sie mir zwischen missgünstiger Gezwungenheit, dogmatisch langweiliger Frömmigkeit und süddeutscher Scheinheiligkeit zu changieren schien. Mein erster Gedanke war damals tatsächlich, das könnte ein verkappter Nazi sein, obwohl ich damals noch gar nicht wusste, dass Marktl am Inn ganze 17 Kilometer stromaufwärts von Braunau am Inn liegt. Es gibt tatsächlich gewisse Überschneidungen, was Hitlers und Ratzingers Background angeht. Marktl und Braunau liegen beide in einem Grenzgebiet; eine Staatsgrenze trennt zwei landschaftlich, sprachlich und kulturell sehr ähnliche Landstriche.

In der Zwischenzeit hat "die argwöhnische Vorsicht gegenüber sich selbst", die an Paulus, Augustinus, Luther und Ratzinger beobachtet werden kann, und - gerade im Hinblick auf Hitler - schon immer meine Skepsis gegenüber dem Ideal der Selbstverwirklichung geweckt hatte, mich noch nachsichtiger gegenüber den oft unzulänglichen Versuchen, einer guten Absicht pragmatische Maßnahmen folgen zu lassen, gemacht. Wenn ich heute Scherenberg ansehe, spricht mich das Milde seiner Züge stärker an als damals, als meine jugendliche Schärfe mehr das Dubiose witterte. Riemenschneider gelang es, den Facettenreichtum einer Physiognomie in Adneter Marmor zu graben. In Ratzinger hatte ich mich geirrt.

Aenus

http://de.wikipedia.org/wiki/Huchen

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