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Montag, 5. April 2010

Osterspaziergang und Vorüberziehendes

"Zweitens habemus mama. Wir wissen ja, daß das Zölibat nur durch einen aberwitzigen Umstand kirchliches Dogma wurde."

Das weiß ich nicht. Meinen Sie? Ich glaube nicht, dass kulturgeschichtliche Entwicklungen dieser Art zuverlässig entschlüsselt werden können, nicht wirklich. Die Keuschheit spielt in vielen Kulturen eine große Rolle.

http://de.wikipedia.org/wiki/Keuschheit

Aber vor allem: hier unterscheiden wir uns glaube ich grundsätzlich in unserem Blickwinkel, insofern Sie mit einem laizistischen "wir" Leute wie sich selbst, Russel, Popper und Paul Schulz meinen, während ich, wenn ich - durchaus laizistisch - "wir" sage, einen bestehenden Mainstream und ein pragmatisches Anknüpfen im Auge habe, die sich an den Genannten orientieren, wobei ich aber gezielt mit Leuten wie dem Dalai Lama und Ratzinger gemeinsame Sache machen möchte. Realistische Rationalität heißt für mich auch kollektive Träume ernst nehmen. Religionen sind kunstvolle, gemessene Kollektivität des Träumens aus Liebe zu verstorbenen Verwandten und Freunden, nicht aus Angst vorm Tod. Gemeinsame Nenner, Kunst des Anknüpfens sind wichtig. Durch radikale Neuanfänge entsteht selten Friedliches (weder bei Mohammed, noch bei Luther). Die Kreuzzüge sind doch Muckefuck im Vergleich zur islamischen Expansion, die Karl Martell und Prinz Eugen zurückschlagen mussten. Und wenn es nördlich der Pyrenäen und erst recht der Alpen nicht so ungemütlich kalt wäre, hätten Allahs Getreue sich wohl nicht so leicht abweisen lassen, während wir uns mit ein paar Zimtsternen und Lebkuchen als Souvenir begnügten, obwohl wir auch gerne im Schatten von Palmen aufs Meer schauen (weshalb die Wikinger ja auch nicht wieder weg wollten aus Sizilien).

http://de.wikipedia.org/wiki/Knabenlese

Und ich halte Ratzinger eben auch für verlässlicher, ehrlicher und intellektuell redlicher als Paul Schulz. Schade, dass Ratzinger nicht mehr Kardinal ist und eine Gegenüberstellung zwischen ihm und Schulz nicht mehr möglich ist. Es gab vor ein paar Jahren eine Podiumsdiskussion zwischen Ratzinger und Paolo Flores D´Arcais, bei der mich Ratzinger sehr viel mehr durch - im besten Sinne vernehmend vernünftige - Rationalität überzeugte.

http://de.wikipedia.org/wiki/Paolo_Flores_d%E2%80%99Arcais

Es wird viel über R gesagt, und bisher sah es in den letzten 20 Jahren bei genauerem Hinsehen immer ganz anders aus, ist meine Erfahrung, und immer zu Rs Gunsten. Es gibt nicht viele, die so vorbildlich argumentieren und intellektuell redlich denken wie er (und gleichzeitig so herrvoragend klar und verständlich und stilistisch gut schreiben). Ein guter Redner ist er dagegen überhaupt nicht.

Also es ist auch diesmal hoffentlich nur eine Sau, die durchs Dorf rennt. Allerdings in einem Moment, wo die Dorfstraße besonders schmutzig ist. Mal sehen, was draus wird.

4 Kommentare:

  1. Zölibat. Ich bin einer landläufigen Meinung aufgesessen.
    Ratzinger.
    Ich erinnere mich an einen beachtlichen Artikel in der FAZ von ihm. Er war damals in gewisser Weise der Liebling des Feuilletons. Als Papst ist er meiner Meinung nichts als ein gutmeinendes retardierendes Moment. Schon als er gewählt wurde, hat man ihn als Verlegenheits/Übergangskandidaten gesehen. Die besseren Alternativen hatten sich neutralisiert. Das wofür der Religionsstifter stand, hat er überhaupt nicht drauf. Ich glaube nicht, daß eine Sau durchs Dorf getrieben wird. Den aktuellen SpiegelTitel finde ich keineswegs bösartig. Mir sind nicht viele Kardinäle bekannt, aus ihnen ragt Schönborn heraus. Den versteht nicht nur der Intellektuelle und der kann was zu aktuellen themen sagen.
    Auch die meisten deutschen Protestanten (ich kenn mich als ehem. und 18 jähriger Kirchenvorstand ein bisschen aus) haben Hoffnungen in Ratzinger gesetzt und wohl fast alle sind jetzt maßlos enttäuscht. Aber mit dem Alter wird man eben immer konservativer, und Ratzinger - bei all seiner Blitzgescheitheit - ist ja medizinisch gesehen ein Greis.

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  2. Schönborn ist nur einer unter vielen brillianten Kardinälen. Das Kardinalsgremium ist einer der gesprächsbereitesten, klügsten Vereine der Welt und von allen Gremien weltweit wahrscheinlich sogar das mit der größten und solidesten Allgemeinbildung. Mir ist jedenfalls keines bekannt, das besser wäre, und ich suche immerhin schon seit über 30 Jahren - auf Grund unserer gemeinsamen Vorbehalte gegenüber den Aspekten epochenspezifischer Fragwürdigkeit - nach einem besseren Club. Aber im MIT sind die Leute durch ihren Spezialismus gehandicapped und die Harvardianer können erst recht nicht mit dem langen Atem der Kardinäle mithalten.

    Ratzinger ist kein guter Redner und als Showman ohne Charisma, ansonsten ist er einer der größten Päpste der Geschichte und ich kenne keine einzige Gelehrte, Intellektuelle, Managerin, Außenministerin oder Soldatin die so mütterlich wie Ratzinger oder der Dalai Lama wäre. Ratzinger wirkt nur deshalb etwas blass, weil Woytila ein besseres Sprachrohr war für das, was die beiden gemeinsam ausheckten. Kommt auch nicht oft vor, dass ein Pole und ein Deutscher sich so gut verstehen!! Allein das ist schon ein 100 Punkte Bonus fürs Christentum (und den Katholizismus, wie ich als Lutheraner zugeben muss).

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  3. Refectionem meres post annos XVIII et implicationem quam minimam tibi exopto cum congregatione illa.

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  4. "Aber mit dem Alter wird man eben immer konservativer, und Ratzinger - bei all seiner Blitzgescheitheit - ist ja medizinisch gesehen ein Greis."

    "Konservativ" ist eine unglückliche Bezeichnung für all diejenigen, die wie ich und Ratzinger von ihrem Gemüt her mehr von allem Zeitlosen angezogen sind, als vom Zeitgemäßen und vom Unzeitgemäßen. Konservativ ist eigentlich etwas ganz anderes: wenn man sich an etwas klammert, das einmal zeitgemäß war, es aber nicht mehr ist.

    Ich persönlich habe zwar eine Vorliebe fürs Zeitlose. Mein eigentliches Interesse betrifft aber seit jeher die Art und Weise, wie sich das Zeitlose durch Formen äußert, die gleichzeitig zeitgemäß und unzeitgemäß sind.

    Was Ratzinger angeht, geht es mir eigentlich vor allem darum: Ehre, wem Ehre gebührt. Für den polnischen General Jaruzelski würde ich mich genauso stark machen, wenn ihn jemand verleumden würde, obwohl ich genauso wenig Kommunist bin, wie ich Katholik bin.

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