Stationen

Samstag, 9. Januar 2016

Tischnachbarn

Drei Themen haben im Jahr 2015 die Politik in Deutschland und Europa bestimmt: der Terrorismus, der Asyl-Tsunami und die sogenannte Euro-Rettung. Bei allen drei verbindet sich das Wissen um die Dramatik mit dem Eindruck der Unwirklichkeit und Geisterhaftigkeit des politisch-medialen Betriebs.

Die Ereignisse und Prozesse, die unsere Lebenswelt irreversibel umzustürzen drohen, werden von ihm in eine erbauliche Begriffs- und Bilderwelt gepreßt. In Begriffe  wie „Integration“, „Willkommenskultur“, „erfolgreiche Reformschritte“; in Berichte von Flüchtlingen, die hungrige deutsche Wanderer speisen; in suggestive Fotos, Kanzlerinnen-Selfies und Scheinhandlungen aller Art sowie inszenierte Scheinkonflikte. Sie gleichen den „Wunschsymbolen“ einer vergangenen Zeit, über die es in Walter Benjamins Aufsatz „Paris, die Hauptstadt des XIX. Jahrhunderts“ heißt, daß sie von der Wirklichkeit längst in Trümmer gelegt worden sind.

Apropos Paris: Nach dem islamistischen Attentat auf die Zeitschrift Charlie Hebdo im Januar wurde die Vorstellung einer Phalanx internationaler Politiker erweckt, die an der Spitze eines riesigen Demonstrationszuges dem Terror die Stirn bietet. Das neomythische Bild stellte sich als Pressetermin in einer abgesperrten und streng bewachten Nebenstraße heraus. Das Wunschsymbol fiel in sich zusammen und offenbarte die Schwäche der europäischen Länder, aber auch die Spaltung zwischen Volk und Elite. Mit den Attentaten vom Dezember sitzt der islamistische Terror endgültig als steinerner Gast mit am Tisch, wenn über Politik und Gesellschaft entschieden wird.
Seine Drohung kann nicht einfach unter den normalen Unwägbarkeiten des Lebens subsumiert werden.

Sie wirkt so mächtig, weil die von den Eliten zugelassene, teilweise absichtlich herbeigeführte Massenzuwanderung ihr ein ausgedehntes Hinterland verschafft hat.

Das heißt nicht, daß muslimische Zuwanderer tatsächliche oder auch nur potentielle Terroristen sind. Doch hat der Zustrom neue Unübersichtlichkeiten, Kontrollverluste und frische Frustrationspotentiale geschaffen, die der Generierung des Terrors günstig sind.
Naseweise Kommentatoren berufen sich jetzt auf die normative Kraft des Faktischen und verkünden, es gehe nicht mehr um den Verbleib der Asylanten bei uns, sondern nur noch um das Wie ihrer Integration. Doch auch diese erklärten Realisten können nicht erklären, weshalb ausgerechnet Deutschland gelingen könnte, was Ländern wie Frankreich und Großbritannien, die über ein stabileres Selbstbewußtsein verfügen und aufgrund ihrer kolonialen Vergangenheit viel mehr Erfahrungen im Umgang mit außereuropäischen Kulturen besitzen, so grandios mißlungen ist.

Es kommen überwiegend Menschen ins Land, die weder die vier Grundrechenarten beherrschen noch einen vollständigen Satz schreiben können. Sie haben keine Aussicht, beruflich Fuß zu fassen und regulären Wohlstand und gesellschaftlichen Respekt zu erlangen. Andererseits entwickeln sie Ansprüche, die sie ihrer neuen Lebenswelt und der Werbung entnehmen und sich nur auf illegalem Wege erfüllen können. Aus den schon vorhandenen Parallelwelten erwachsen – auch aufgrund demographischer Verschiebungen – neue Herrschaftsstrukturen, die mit der Staatsmacht konkurrieren, diese einschüchtern und sich absehbar mit ihr vermischen werden.
Vorerst versucht der Staat, den Kontrollverlust durch flächendeckende Überwachung und Ausweitung von Sozialleistungen für die Zuwanderer zu kompensieren. Keine Google-Eingabe, kein Facebook-Kommentar, kein Informationsabruf, keine Überweisung bleibt unbeobachtet. Als einträgliche Nebenwirkung wird die finanzielle Auspressung des indigenen Steuerzahlers optimiert. Der darf nicht hoffen, für den materiellen Malus mit einem immateriellen Bonus belohnt zu werden.

Der faktische „Flüchtlings-Soli“ dient der Finanzierung weiterer Problemimporte und damit der fortgesetzten Verschlechterung seiner Lage. Gleichzeitig wird der Rückzug ins Private immer schwieriger, weil unter dem wachsenden Andrang die Nischen knapp und damit teurer werden. Und längst wirken Fanatiker der multikulturellen Gesinnungsethik – oft aus Steuermitteln bezahlt – in das private und berufliche Umfeld hinein, indem sie Meinungsäußerungen kontrollieren, Gesinnungen bewerten und Denunziationskampagnen lostreten.


Das monatelange Schmierentheater um die Euro-Rettung, das mit dem erwarteten Ergebnis einer Vergemeinschaftung der Schulden endete, ist darüber fast in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht, denn die Verpfändung ihres Besitzstandes komplettiert die Schutzlosigkeit der Bürger, die nicht mehr durch Eigeninitiative und -vorsorge ersetzen können, was der Staat ihnen an Schutz entzieht.
Neben Demokratie und dem Rechtsstaat gehören auch die soziale Sicherheit und Planbarkeit zu den zertrümmerten Wunschsymbolen anno 2015. In der nun angebrochenen neuen Zeit sieht die allseits entwurzelte deutsche Arbeitsmonade sich eingeladen, ihre Sicherheit in einem stählernen Gehäuse aus miserabler Verwaltung, lückenloser Überwachung, Terrorangst, rigidem Moralismus und sinkendem Lebensstandard zu suchen.
Die Deutschen stehen Ende 2015 erneut in einer Situation, in der sie von der eigenen Führung nichts erwarten können. Selber wehrlos und ratlos über die doppelte Frontstellung, der sie ausgesetzt sind, können sie nur hoffen, daß ihre Nachbarn über einen reiferen Sinn für das Politische verfügen und ihr Handeln auf Deutschland heilsam zurückwirkt. Thorsten Hinz

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