Drei Themen haben im Jahr 2015 die Politik in Deutschland und Europa
bestimmt: der Terrorismus, der Asyl-Tsunami und die sogenannte
Euro-Rettung. Bei allen drei verbindet sich das Wissen um die Dramatik
mit dem Eindruck der Unwirklichkeit und Geisterhaftigkeit des
politisch-medialen Betriebs.
Die Ereignisse und Prozesse, die unsere Lebenswelt irreversibel
umzustürzen drohen, werden von ihm in eine erbauliche Begriffs- und
Bilderwelt gepreßt. In Begriffe wie „Integration“, „Willkommenskultur“,
„erfolgreiche Reformschritte“; in Berichte von Flüchtlingen, die
hungrige deutsche Wanderer speisen; in suggestive Fotos,
Kanzlerinnen-Selfies und Scheinhandlungen aller Art sowie inszenierte
Scheinkonflikte. Sie gleichen den „Wunschsymbolen“ einer vergangenen
Zeit, über die es in Walter Benjamins Aufsatz „Paris, die Hauptstadt des
XIX. Jahrhunderts“ heißt, daß sie von der Wirklichkeit längst in Trümmer
gelegt worden sind.
Apropos Paris: Nach dem islamistischen Attentat auf die Zeitschrift Charlie Hebdo
im Januar wurde die Vorstellung einer Phalanx internationaler Politiker
erweckt, die an der Spitze eines riesigen Demonstrationszuges dem
Terror die Stirn bietet. Das neomythische Bild stellte sich als
Pressetermin in einer abgesperrten und streng bewachten Nebenstraße
heraus. Das Wunschsymbol fiel in sich zusammen und offenbarte die
Schwäche der europäischen Länder, aber auch die Spaltung zwischen Volk
und Elite. Mit den Attentaten vom Dezember sitzt der islamistische
Terror endgültig als steinerner Gast mit am Tisch, wenn über Politik und
Gesellschaft entschieden wird.
Seine Drohung kann nicht einfach unter den normalen Unwägbarkeiten
des Lebens subsumiert werden.
Sie wirkt so mächtig, weil die von den
Eliten zugelassene, teilweise absichtlich herbeigeführte
Massenzuwanderung ihr ein ausgedehntes Hinterland verschafft hat.
Das
heißt nicht, daß muslimische Zuwanderer tatsächliche oder auch nur
potentielle Terroristen sind. Doch hat der Zustrom neue
Unübersichtlichkeiten, Kontrollverluste und frische
Frustrationspotentiale geschaffen, die der Generierung des Terrors
günstig sind.
Naseweise Kommentatoren berufen sich jetzt auf die normative Kraft
des Faktischen und verkünden, es gehe nicht mehr um den Verbleib der
Asylanten bei uns, sondern nur noch um das Wie ihrer Integration. Doch
auch diese erklärten Realisten können nicht erklären, weshalb
ausgerechnet Deutschland gelingen könnte, was Ländern wie Frankreich und
Großbritannien, die über ein stabileres Selbstbewußtsein verfügen und
aufgrund ihrer kolonialen Vergangenheit viel mehr Erfahrungen im Umgang
mit außereuropäischen Kulturen besitzen, so grandios mißlungen ist.
Es kommen überwiegend Menschen ins Land, die weder die vier
Grundrechenarten beherrschen noch einen vollständigen Satz schreiben
können. Sie haben keine Aussicht, beruflich Fuß zu fassen und regulären
Wohlstand und gesellschaftlichen Respekt zu erlangen. Andererseits
entwickeln sie Ansprüche, die sie ihrer neuen Lebenswelt und der Werbung
entnehmen und sich nur auf illegalem Wege erfüllen können. Aus den
schon vorhandenen Parallelwelten erwachsen – auch aufgrund
demographischer Verschiebungen – neue Herrschaftsstrukturen, die mit der
Staatsmacht konkurrieren, diese einschüchtern und sich absehbar mit ihr
vermischen werden.
Vorerst versucht der Staat, den Kontrollverlust durch flächendeckende
Überwachung und Ausweitung von Sozialleistungen für die Zuwanderer zu
kompensieren. Keine Google-Eingabe, kein Facebook-Kommentar, kein
Informationsabruf, keine Überweisung bleibt unbeobachtet. Als
einträgliche Nebenwirkung wird die finanzielle Auspressung des indigenen
Steuerzahlers optimiert. Der darf nicht hoffen, für den materiellen
Malus mit einem immateriellen Bonus belohnt zu werden.
Der faktische „Flüchtlings-Soli“ dient der Finanzierung weiterer
Problemimporte und damit der fortgesetzten Verschlechterung seiner Lage.
Gleichzeitig wird der Rückzug ins Private immer schwieriger, weil unter
dem wachsenden Andrang die Nischen knapp und damit teurer werden. Und
längst wirken Fanatiker der multikulturellen Gesinnungsethik – oft aus
Steuermitteln bezahlt – in das private und berufliche Umfeld hinein,
indem sie Meinungsäußerungen kontrollieren, Gesinnungen bewerten und
Denunziationskampagnen lostreten.
Das monatelange Schmierentheater um die Euro-Rettung, das mit dem
erwarteten Ergebnis einer Vergemeinschaftung der Schulden endete, ist
darüber fast in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht, denn die Verpfändung
ihres Besitzstandes komplettiert die Schutzlosigkeit der Bürger, die
nicht mehr durch Eigeninitiative und -vorsorge ersetzen können, was der
Staat ihnen an Schutz entzieht.
Neben Demokratie und dem Rechtsstaat gehören auch die soziale
Sicherheit und Planbarkeit zu den zertrümmerten Wunschsymbolen anno
2015. In der nun angebrochenen neuen Zeit sieht die allseits entwurzelte
deutsche Arbeitsmonade sich eingeladen, ihre Sicherheit in einem
stählernen Gehäuse aus miserabler Verwaltung, lückenloser Überwachung,
Terrorangst, rigidem Moralismus und sinkendem Lebensstandard zu suchen.
Die Deutschen stehen Ende 2015 erneut in einer Situation, in der sie
von der eigenen Führung nichts erwarten können. Selber wehrlos und
ratlos über die doppelte Frontstellung, der sie ausgesetzt sind, können
sie nur hoffen, daß ihre Nachbarn über einen reiferen Sinn für das
Politische verfügen und ihr Handeln auf Deutschland heilsam zurückwirkt. Thorsten Hinz
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