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Freitag, 29. Januar 2016

Hoch lebe Garibaldi!

England und Frankreich haben sagenhafte Volkshelden, die alle rebellisch sind, aber eigentlich nur literarische Figuren sind (Robin Hood, Die drei Musketiere, Die schwarze Tulpe... ). Der Schweizer Wilhelm Tell ist sogar eine völlig ortsfremde bei den Dänen abgekupferte Sage.
In Deutschland haben wir den Götz von Berlichingen, Michael Kohlhaas und  Florian Geyer. Aber wie Störtebeker wurden auch sie nie wirklich zu Volkshelden. Till Eulenspiegel und die Volksbücher Karl Simrocks sind so gut wie vergessen. Der Faust war ursprünglich mal ein Marionettentheater, das so beliebt war wie heute die Filme über Harry Potter. Zuvor war er sogar ein dem Cagliostro ähnlicher Schwindler. Heute gilt er der Mehrheit als volksferne Figur, die nicht einmal dem Bürgertum noch etwas bedeutet und selbst von Germanisten, oder besonders von Germanisten, bespöttelt wird. Die einzigen, die in Deutschland immer noch ein bisschen die Aura des Volkshelden umgibt, sind eher reaktionäre Aufklärer wie Luther und sogar der alte Fritz, der neuerdings manchmal schwärmerisch aufgewärmt wird! Deren Mythos ist allerdings fast genauso realitätsfern wie der von Robin Hood (dabei aber längst nicht so beliebt), und Luthers Nimbus als reaktionärem Rebell entspricht haargenau die deutsche Zerrissenheit zwischen Aufbegehren und Ordnungssehnsucht.

Es verwundert zunächst, dass wir das Wort "Nimbus" (=schwarze Wolke; das Wort imber, mit dem man den Platzregen bezeichnet, klingt darin an) zur Bezeichnung einer Ausstrahlung verwenden, die man treffender als "Aura" (goldener Schein) bezeichnet. "Nimbus" war aber auch der Nebel, in den sich die Götter hüllten. In der Malerei wurde deshalb der Heiligenschein nicht nur als aureola, sondern auch als nimbus bezeichnet. Aber eigentlich dient der Heiligenschein dazu, das Charisma der Güte derer darzustellen, deren Erscheinen bei allen Anwesenden das Gefühl weckt, der Raum werde plötzlich heller geworden, wenn jene ihn betreten. Er ist also kein verhüllender Nebel, sondern Ausstrahlung, Licht, Helligkeit. Der Bedeutungswandel des Wortes "Nimbus" entspricht also der Übergangszeit und der Umwertung aller Werte - die sich wie eine Richtungsänderung jedes einzelnen Daseinsaspekts - damals über die Welt legte und die Wahrnehmung umkodierte, wie Augustinus es in De civitate Dei durch Vergleiche mit Vergils Narrativ beschrieb. Eine Art Aufklärung.

Luther mag seine Fehler gehabt haben, aber er war ein typisches Beispiel mittelalterlicher Frömmigkeit. Er faltete seine Hände nach der germanischen Art, die Dürer in einer Zeichnung verewigte, die schon bei der Anbetung Wotans üblich war und merkwürdigerweise von der katholischen Kirche übernommen wurde und im Laufe der Zeit überall auf der Welt üblich wurde. Er bekreuzigte sich beim Beten wie heute noch die Katholiken. Ich nehme an, dass er (der an Incubi, Succubi und Hexen glaubte, deren Verfolgung er übrigens empfahl) auch an die Existenz von Heiligen glaubte, obwohl es ihn befremdete, dass der aus Trier stammende Mailänder Notar Ambrosius aus den Heiligen Rechtsanwälte gegenüber Gottes Anklägern gemacht hatte, die die anlehnungsbedürftigen (cliens), kleinen, stimmschwachen Christen durch Fürsprache vertraten. Denn dies stand nicht in der Bibel, sondern war allgemeine  römische Praxis: der pater familias war patronus der zu seiner familia sensu lato zählenden kleineren, für ihn diensttuenden Familienväter. Ambrosius hatte das ohne Umschweife einfach übertragen, weil einfache Menschen in Italien diese Situation aus dem Alltag kannten und die Analogie auf Anhieb verstanden, während in Deutschland außerhalb Bayerns und des Rheintals erst ein Kurs in italienischer Anthropologie nötig war, bzw. Luther und Hutten ja gerade die deutsche Anthropologie entdeckten. Luther war das zu mediterran: er wusste, in Deutschland schmeckt das allzumenschliche Ortsfremde zu sehr durch. Für die deutsche Frömmigkeit und Innigkeit musste etwas Universelles, Zeitloses her. Da kam als Quelle nur die Bibel in Frage, denn die war zumindest so weithergeholt, dass man das Ortstypische Israels nicht durchschmeckte: dass da an Weihnachten kein Schnee liegt, wusste keiner und Palmen weckten keine Südseeassoziationen sondern österliche Frühlingsassoziationen, weil man die Weidenkätzchen der Sal-Weide Palmkätzchen nannte. Die Römer waren die Bösen.

Dass später in den evangelischen Kirchen eine andere Betgestik üblich wurde, ist ein Ausdruck der Psychologie der Abgrenzung, die dem cuius regio, eius religio und der daraus entstehenden gehässigen Eigenbrödlerei entspricht. Ähnliches geschah auch in Jugoslawien, wo sich Orthodoxe (Serben) anders bekreuzigen als Katholiken (Kroaten).

Der Volksheld Garibaldi war wirklich in Fleisch und Blut haargenau so, wie er in der italienischen Volksphantasie lebendig ist. Dass ausgerechnet die emotionalen Italiener auch diesmal "rationaler" als alle anderen sind, ist - bei Lichte besehen - eher die Regel als die Ausnahme. Die Italiener sind eben - um mit Marc Jongen und Götz Kubitschek zu sprechen - thymisch wohltemperiert.

Dass außerhalb Italiens kaum jemand den Namen Garibaldis je gehört hat, entspricht ebenfalls der Regel. Dasselbe gilt für Marconi. Die Hassliebe zwischen Italien und Deutschland führt immer wieder zu den Schnörkeln des Barock: Telefunken wurde gegründet, als Marconi nicht einmal mehr bereit war, private Telegramme für Kaiser Wilhelm zu übermitteln. Telefunken und Grundig sind weltbekannt, Marconi - auf dessen von den führenden Physikern seiner Zeit verspotteten, amateurhaften Forschungen so ziemlich alles fußt, woraus unsere heutige Welt besteht - wurde vergessen (eine ähnlich große Wirkung auf unseren Alltag hatten vielleicht nur der berühmte Edison und Tesla, dessen Namen fast nur die Serben kennen). Den Namen Cesare Musatti kennen in Deutschland wahrscheinlich nicht einmal die ADESSO-Leser. Er sagte einmal, die Italiener seien das gesündeste Volk der Welt. Da können SPIEGEL- und The Economist-Leser natürlich nur mit dem Kopf schütteln.

Die Bauwerke des gegenreformatorischen Barock sind fast das einzige, was sich in Deutschland wirklich sehen lassen kann und in seiner in Jahrhunderten gewachsenen Form in einem Land weiterbesteht, das seine alten Burgen fast alle geschleift hat und gerne ehrfürchtig frustriert vor dem ollen Jemäuer legendenumwobener Ruinen trübe Träume träumt.

Es ist grotesk, eine Burg mit der Bedeutung von Trifels verfallen zu lassen und dann auch noch zu schleifen. Und es ist lächerlich, sie dann in der Neuschwansteinära wieder aufzubauen, und dabei nicht einmal originalgetreu, sondern quasi als Disneylandkopie, die sich als authentisch aufspielt, aber fast so künstlich ist wie das für den Tourismus errichtete jüdische Viertel in Berlin, an dem absolut nichts jüdisch und alles Täuschung, bzw. Tarnung ist. In Disneyland weiß man wenigstens, woran man ist! Was Björn Höcke (Gott sei Dank) übersieht, ist, dass man in Deutschland seit Jahrhunderten die eigene Geschichte mit Füßen tritt und nicht erst seit 1968.

Jedenfalls ist das Barock Balthasar Neumanns und anderer damals reger Baumeister fast das einzige (nur die Backsteingotik lasse ich ansonsten noch gelten), was man in der Baukunst Deutschlands als Blüte bezeichnen kann (und selbst damals waren viele beteiligte Spezialisten Italiener wie Tiepolo).

Die paar gotischen Kirchen Deutschlands, die einem außer der Backsteingotik noch wirklich das Herz wärmen können, sind ja schnell genannt. Der Kölner Dom wurde erst in einem Jahrhundert zuende gebaut, als man gerade aufhörte, eigenständige Formen zu entwickeln und lieber historistische Nachahmungen aufstellte oder gar 1:1-Imitate wie die Feldherrnhalle und Märchen-Phantasien wie Neuschwanstein Konjunktur bekamen, und von den nennenswerten gotischen Kirchen sind nur ganz wenige keine nach dem Zweiten Weltkrieg wiederaufgebaute Steinattrappen.



Die katholische Kirche kann man verspotten, ohne deshalb gerügt zu werden. Die Katholiken sind im Moment anscheinend die einzige menschliche Gemeinschaft, die die eigenen Schwächen sehr gut kennt und sogar dazu fähig ist, darüber zu lachen. Es muss mit dem Selbstbewusstsein zusammenhängen, das man nur haben kann, wenn man einer seit fast 2000 Jahren bestehenden Institution angehört. Wir Protestanten halten uns zwar für eine Art christlicher Elite, aber wir spüren insgeheim, dass wir uns hochnäsig hinter dem breiten Rücken der ehrwürdigen Santa Madre Chiesa verstecken.

Wie schön wäre es, wenn auch die evangelische Kirche zu Selbstironie und Humor fähig wäre! Wenn es Komiker gäbe, die statt mit einfallslosen Filmen zum x-ten Mal die Katholiken, Bayern, Polen und Italien lächerlich zu machen, die EKD und die Schwächen der lutherischen Mentalität humorvoll aufs Korn nähmen. Aber die verstehen ja keinen Spaß.
Oder die der Atheisten! Die der "zeitgenössischen" Künstler und ihrer aufgeblasenen, sogenannten "Kritiker" und Historiker!! Ganz zu schweigen von den Restauratoren, die den Schmarrn reparieren sollen. Die der Intellektuellen und anderer linker Scharlatane!!! Ganz zu schweigen von der Mentalität der Juden, Araber, Muslime, Skandinavier, Frauen, Neger, Grundgesetzfetischisten und anderer heiliger Kühe. Wobei es mir nicht um Gesellschaftskritik geht, sondern um etwas, was die Voraussetzung des kritischen Verstandes und der Herzensgüte ist: Humor, Selbsterkenntnis und gute Laune.

Aber die hierfür notwendige Virtuosität besitzt bisher nur Luca Medici. Peter Ustinov ist ja nicht mehr da.

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