Stationen

Donnerstag, 12. Dezember 2013

Der böse Apfelkuchen

Ja, so ist das mit der Wahrheit. Sie bleibt wahr, egal wer sie ausspricht. Egal, ob Al Capone, Al-Kaida, Berlusconi, Stalin, Hitler, Beate Klarsfeld, Uhse oder Zschäpe.

Schade, dass ihr Anblick manchmal so weh tut und wir gegenüber Andersdenkenden immer gleich so gehässig werden und hysterisch reagieren. Es ist nicht zu ändern. Es ist nicht zu ändern. Es ist überall auf der Welt so. Aber es gibt trotzdem etwas, was bei uns in Deutschland geändert werden muss! Wir müssen endlich aufhören damit, Leute, die eine andere Ansicht als wir vertreten, mit Verboten zu bedrohen.

Auch in Italien tun sich die Menschen schwer damit, ihre politischen Gegner zu respektieren. Es ist allerdings auch eine extremere Situation! Wenn Steinbrück mit oder statt Merkel regiert, dann ist das so gehupft wie gesprungen. Wenn in Italien die Kommunisten mit der Mafia eine Grande Koalizione eingehen, ist das ein bisschen nervenaufreibender.

Man mag einwenden, dass in Italien zu wenig verboten wird. Stimmt. Dennoch müssen wir in Deutschland damit aufhören, Andersdenkende durch Verbote einzuschüchtern und mundtot zu machen. Wie undemokratisch unsere Mentalität - dem guten Gauck seis geklagt - immer noch ist, kann man, so leids mir tut, daran sehen, dass wir die NPD verbieten wollen, statt sie zu Anne Will einzuladen. Die BRD ist einer der demokratischsten Staaten der Welt, und in mancherlei Hinsicht aus einem falschen Demokratieverständnis heraus auf eine weltfremde Weise sogar zu liberal und zu tolerant geworden. Aber an der Entschlossenheit, mit der darüber nachgedacht wird, die NPD zu verbieten, statt sie als politische Kraft anzuerkennen und als solche mit politischen Mitteln zu bekämpfen, zeigt sich, dass unsere politische Kultur auf Grund unserer traumatischen Erfahrung teilweise defizitär, unausgereift und im wahrsten Sinne des Wortes geistig behindert ist.

Ich meine natürlich nicht, dass jede extremistische Gruppierung sich in den Talkshows behaupten oder aufreiben soll. Aber sobald eine Partei in einem Länderparlament sitzt, sollte es eine Selbstverständlichkeit sein, dass man sie zu Rede und Antwort auffordert, statt sie zu verbieten. Egal, auf Grund welcher Argumente sie ihre Wählerstimmen bekam. Egal, ob es sich um Befürworter der Todesstrafe, der Genmanipulation, der Atomkraft, des bedingungslosen Grundeinkommens, der Polygamie, der Vorratsdatenspeicherung, des Dschihad oder der homosexuellen Elternschaft handelt. So ist Demokratie nun einmal. Vor 40 Jahren hat man sich - selbst unter der Regierung der SPD - nicht gescheut, die Karriere von Menschen zu zerstören, bloß weil sie der DKP angehörten. Man bespitzelte sie, machte ihnen den Prozess und verordnete ihnen Berufsverbot im öffentlichen Dienst. Eine undemokratische, und außerdem noch unmenschliche, weil existenzbedrohende Praxis.

Wohlgemerkt, auch in Dänemark oder Italien wäre es damals nicht möglich gewesen, dass ein Kommunist in einer christlichen oder liberalen Schule arbeitete, bzw. nur ausnahmsweise. Aber es wäre vom Elternbeirat oder der Schulleitung unterbunden, bzw. erlaubt worden. Und natürlich berechtigterweise! Warum sollte eine Schule einen Lehrer beschäftigen, dessen Weltanschauung sie ablehnt? Undemokratisch und unmenschlich wurde die deutsche Praxis damals nur durch die Verrechtlichung des Prinzips und durch die pseudoobjektive Anonymisierung des Verfahrens. Es kam damals sogar vor, dass besonders beliebte Lehrer, die die Wertschätzung von Schülern, Eltern und Lehrerkollegen besaßen, ihre Arbeit verloren, weil der Verfassungsschutz - also dieselbe Organisation, die wahrscheinlich bei der NSU ein Auge zudrückte - damals die Post aus dem Briefkasten der DKP-Mitglieder holte, das Briefgeheimnis außer Kraft setzte, die Briefe heimlich las und - haargenau wie es die Stasi in der DDR tat - diese erkennungsdienstlichen Erhebungen an die Prüfungskommission weiterleitete. Und das, obwohl das Grundgesetz schon damals mit den Worten "die Menschenwürde ist unantastbar" begann und im Artikel 3 (3) die gesetzliche Verfolgung der Bürger wegen ihrer individuellen politischen Ansichten ausdrücklich untersagte. Pfui Teufel.

Wie sagte Voltaire noch? "Ich teile deine Ansicht zwar nicht, aber ich werde alles tun, damit dich niemand daran hindern kann, sie zu äußern". Oder so ähnlich. Das geflügelte Wort "Jeder soll nach seiner Facon selig werden", beflügelte die sadistischen Spitzel und die, die deren Tun guthießen, natürlich schon damals. Pfui Teufel.


PS.: Dass Meinungsäußerung frei sein muss und man sie nicht durch Verbote behindern und verhindern soll, gilt natürlich auch die Holocaustleugner betreffend. Hier ist es eine Frage des richtigen Zeitpunkts. Ich habe Verständnis dafür, dass die Verwandten der Opfer - und besonders ehemalige Internierte, die ein Vernichtungs- oder Arbeitslager überlebt hatten - nicht nur kurz nach dem 2. Weltkrieg, sondern auch noch Jahrzehnte danach, auf die Holocaustleugner nur mit Entsetzen reagierten, nur überreagieren konnten. Wer nur ein bisschen Empathie besitzt, kann nachempfinden, dass ein Holocaustleugner für so eine Familie ähnlich unerträglich sein muss, wie für die Verwandten eines missbrauchten Kindes die Kinderpornographie unerträglich ist. Es gibt Dinge, die so schlimm sind, dass Voltaires Maxime daneben eben leider fehl am Platz ist.

Aber irgendwann sind die letzten persönlich von der Shoah betroffenen Menschen verstorben. Dann müssen wir zur Normalität zurückfinden. Dann muss auch die Vermutung, dass die Shoah nur eine Propagandalüge der Sowjets (oder gar der Amerikaner, wie Sigmar Gabriels Vater glaubte) war, eine legitime, zu widerlegende sein dürfen. Es darf auch nicht verboten sein, "Mein Kampf" zu lesen oder sich für die Motivation von Breivik, der RAF oder der NSU zu interessieren. Menschliche Beweggründe müssen immer begriffen werden und als allgemeinmenschlich aufgefasst werden. Homo sum, humani nihil a me alienum puto, sagte Terenz. Thomas Mann legte Goethe in einem Roman die Worte in den Mund, es gebe kein Verbrechen, dessen er nicht fähig sei. Primo Levis Satz "Wer versteht, der rechtfertigt schon.", weise ich zurück. Ich nehme die Warnung, die er enthält an, aber nicht den Aberglauben, dass der Verstehende schutzlos einem Automatismus der Fatalität ausgesetzt ist.

Gerade was junge Menschen angeht, muss unbefangenes Fragen immer ermutigt werden. Geschichtswissen darf nie zum dogmatischen Glauben werden. Gerade weil die Geschichte keine exakte Wissenschaft ist, deren Wahrheit nicht im Klassenzimmer durch Experimente bewiesen werden kann, muss etwas so Ungeheures und Bedeutsames durch gute Argumentation begleitet werden. Vor dem Ungeheuerlichen ist nie der blinde Glaube intelligent, sondern immer nur der Zweifel. Das müssen auch die Juden einsehen. Es ist nur menschlich, dass jede Generation erst einmal an der Shoah zweifeln wird. Damit müssen die Juden leben, und wir auch.

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