Stationen

Samstag, 28. Dezember 2013

1963

Damals war ich 6 Jahre alt. In der Tagesschau sah ich eines Abends plötzlich für ein paar Sekunden die Beatles, die "She loves me, yeah, yeah, yeah" sangen und bekam Herzklopfen. Die Mutti deckte gerade den Tisch. Ich wunderte mich, dass sie diese aufregenden Menschen nicht einmal bemerkte und spürte sofort instinktiv, dass sie mit ihrem Leben nichts zu tun hatten, dafür aber um so mehr mit meinem. Es war wie ein sehnsüchtiger Schauder, der mich für ein paar Minuten erfasste, und eine etwas beklemmende Unruhe spürte ich auch, weil sich ein paar Sekunden lang eine Kluft aufgetan hatte, und ich jetzt plötzlich in meiner kleinen Kindergewissheit wusste, dass es Sehnsüchte gab, die meine Mutter nicht verstanden hätte und für die mir selber die Worte fehlten.
Ehrhard wurde damals Kanzler. Der 1. Auschwitzprozess begann. Zwei Jahre zuvor war Eichmann in Jerusalem verurteilt worden und die Berliner Mauer gebaut worden. Ein Jahr vorher ereignete sich die Spiegel-Affäre. All dies erfuhr ich Jahrzehnte später, nur dass mein Vater den Spiegel hasste, wusste ich damals. Bei der deutschen Polizei arbeiteten noch Beamte, die schon während des Nationalsozialismus als Polizisten tätig waren. Und beim Auschwitzprozess standen unter anderem auch Polizeifunktionäre als Angeklagte vor dem Richter.

Man muss sich einmal vergegenwärtigen, was die Demonstranten angesichts dieser Tatsachen damals empfinden mussten, wenn die Polizei anrückte. Es gehörte zweifellos auch Mut dazu, auf die Straße zu gehen. Dass man dabei fotografiert würde, war gewiss. Dass die Polizei einem immer Freund und Helfer sein würde, wenn man sich selber nur korrekt verhielt, war keineswegs gewiss.

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