Der
Umgang der Medien mit der Massenzuwanderung läßt sich nur noch mit
Sarkasmus kommentieren. Angeblich treffen vor allem Herzchirurgen,
Computerspezialisten, Handwerker mit goldenen Händen und fürsorgliche
Krankenpfleger ein und fiebern der Gelegenheit entgegen, das
Bruttosozialprodukt zu steigern, die Sozialsysteme zu sanieren und die
entvölkerten Gegenden im Osten in blühende Landschaften zu verwandeln.
Landesweit bilden sich spontane Begrüßungskomitees, und alles wäre
bestens, gäbe es nicht den „rassistisch motivierten Terror von rechts“
(Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles, SPD, im Spiegel), die „ausländerfeindliche Bagage“ (Heribert Prantl, Süddeutsche Zeitung),
„eine Minderheit, die gegen Asylbewerber Stimmung macht, die
Flüchtlingsunterkünfte anzündet, unter Wasser setzt oder beschießt, die
auf Anti-Asyl-Demonstrationen herumplärrt “ (der Dresdner Lokalreporter
der FAZ).
Viel Ideologie und wenig Realität
Es fällt immer schwerer, dem Vergleich mit der Medienpraxis in der
DDR zu widersprechen. Als das Land im Sommer 1989 unter dem Eindruck der
Massenflucht kollabierte, schrieben die Journalisten über
initiativreiche Werktätige, welche die staatlichen Planvorgaben
schöpferisch überboten und von kollektiver Vorfreude auf den nächsten
SED-Parteitag erfüllt waren. Doch der Klassenfeind versuchte das Glück
im sozialistischen Winkel zu sabotieren: Seine Agenten betäubten in
Ungarn urlaubende DDR-Bürger mit Mentholzigaretten und entführten sie
nach Österreich, während die BRD-Neonazis auf ihrem Marsch nach Bonn
sich dem Stadtrand näherten …
Das waren und sind hermetische Medienwelten, die viel mit Ideologie
und wenig mit der Realität zu tun haben. Sie allein auf die
Wagenburg-Mentalität, die Weltfremdheit und den verinnerlichten Wahnwitz
der Medienarbeiter zurückzuführen, greift zu kurz. In der 1992
erschienenen anspruchsvollen Untersuchung „Die Weiterleiter“ von Stefan
Pannen, die sich mit der Funktion und dem Selbstverständnis der
DDR-Journalisten befaßt, erklärt einer von ihnen rückblickend: „Wir
haben das Maul gehalten und unter uns (…) haben wir sarkastische
Bemerkungen getauscht. Mein Gott, was konnten wir spöttisch sein. Aber
den Beruf, den haben wir nicht getauscht.“
Suggestion von Meinungen und Drohungen
Die Synthese aus Desillusionierung und Angepaßtheit war repräsentativ
für den Berufsstand. Daneben gab es – wie heute auch – den gutbezahlten
Zyniker, den starren Dogmatiker und den beschränkten Dummkopf. Die
Funktion des „Weiterleiters“ war – und ist – ihnen gemeinsam: „Durch ihn
flossen die Informationen der Partei, die er weiterleitete. Überdies
sollte er die Massen selbsttätig anleiten, schließlich war er Funktionär
der Partei …“
Zwar existiert heute keine Staatspartei mit Macht- und
Meinungsmonopol, doch der Meinungskorridor verengt sich in dem Maße, wie
die Parteien ihre Unterscheidbarkeit verlieren. Damit gleicht sich auch
die Funktion vieler – der meisten – Journalisten heute jener von
DDR-Journalisten an. Statt zu berichten und zu analysieren, verlegen sie
sich auf die Suggestion von Meinungen, Weltbildern, von
Handlungsanweisungen und auf Drohungen. Die dauernde Wiederholung der
Absurditäten soll dem Empfänger klarmachen, daß die absurde Situation
unabänderlich ist und er ihr nicht entrinnen kann.
Angepasst am risikolosen Durchschnitt
Auch die Medienkrise hat keinen Wettbewerb um mehr Lebensnähe,
Meinungsvielfalt und Offenheit – „Glasnost“ – ausgelöst, obwohl die
Verkaufserfolge der Bücher von Thilo Sarrazin, Akif Pirincci oder Udo
Ulfkotte gezeigt haben, daß das Publikum begierig danach ist.
Pluralismus und das Prinzip von Angebot und Nachfrage sind durch die
institutionellen Zwänge des politisch-medialen Komplexes, der seinem
Fußvolk keine Alternativen läßt, außer Kraft gesetzt worden.
Journalisten wie auch einzelne Formate und Medien schätzen bei
sinkenden Auflagen das Risiko des Ausscherens immer noch höher ein als
das des opportunistischen Zuwartens. Niemand weiß, ob der eigene Sender,
die eigene Zeitung nicht demnächst bankrott geht, Entlassungen vornimmt
oder mit der Konkurrenz fusioniert. Um auf jeden dieser Fälle
vorbereitet und anderswo anschlußfähig zu sein, orientiert man sich am
risikolosen Durchschnitt. Das verschärft den Angleichungsprozeß
zusätzlich.
Mischung aus Pflichtgefühl und Untertanengeist
Zeitungen und Zeitschriften scheinen den Ausweg in einer dem
öffentlich-rechtlichen Rundfunk vergleichbaren, zwangsfinanzierten
Absicherung zu erblicken. Zu diesem Zweck verweisen sie auf ihre
staatspolitische Unentbehrlichkeit und untermauern sie durch
Konformismus. Die Entfernung von den Lesern erscheint in der Abwägung
als das kleinere Übel. Um dennoch den Eindruck von Würde und
Selbstbestimmung aufrechtzuerhalten, wird der Zwang, dem man gehorcht,
als freie Entscheidung hingestellt, was wiederum zu ideologisch
verhärteten Auftritten führt, die nicht mehr zwingend durch
Überzeugungen gedeckt sind.
Buchautor Stefan Pannen hielt die „kognitive Dissonanz“ – das
quälende Nebeneinander gegensätzlicher Gedanken und Gefühle – und die
Mischung aus Pflichtgefühl und Untertanengeist für typische
Eigenschaften von DDR-Journalisten. Eine Erklärung dafür sah er in den
Prägungen aus der NS-Zeit, die in der DDR nie aufgearbeitet wurden,
während sie in der Bundesrepublik „langsam (geschwunden)“ seien. Nun,
die neototalitären Verhaltenmuster haben sich längst gesamtdeutsch
regeneriert. Man muß nur das „Pflichtgefühl“ durch die standardisierte
„Selbstverwirklichung“ ersetzen und erhält eine aktuelle
Charakterisierung des journalistischen Weiterleiters, der auf dem Weg
des ideologischen, professionellen und moralischen Bankrotts beherzt
voranschreitet und alle Zweifel unterdrückt.
Der Journalist als Werkzeug
Über seine künftigen Aufgaben hinsichtlich der Masseneinwanderung war im Berliner Tagesspiegel
zu lesen: „Das Projekt Aufklärung müßte also auf der anderen Seite im
deutschen (europäischen) Inneren an tiefsitzenden soziokulturellen
Einstellungen rühren und wäre als politische Bildungsaufgabe der von
Amerikanern und Briten nach 1945 in Westdeutschland betriebenen
‘Reeducation’ vergleichbar.“
Der Journalist als Ingenieur der menschlichen Seele und Werkzeug der
Über-Macht! Zu den Folgen der „Reeducation“ gehört nämlich die Akzeptanz
der Fremdbestimmtheit – vergleichbar einem Naturgesetz – und ihre
Transformation in einen moralischen Imperativ. Die DDR 2.0 ist mehr als
nur ein Hirngespinst.
Thorsten Hinz
Siehe auch Wladimir Bukowski
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