Stationen

Montag, 14. Dezember 2015

Der edle Maulwurf

Analog zu Shakespeares 66. Sonett gibt es auch eine kaum überschaubare Fülle deutscher Übertragungen des 18. Sonetts, die der Münchner Germanist und Anglist Jürgen Gutsch gesammelt hat („... lesen, wie krass schön du bist konkret“. William Shakespeare, Sonett 18, vermittelt durch deutsche Übersetzer in 154 + 1 Versionen, EDITION SIGNAThUR, Dozwil/Schweiz 2003). Dieses Gedicht ist eines der eitelsten, selbstherrlichsten Zeugnisse aus Poetenmund, das die Geschichte der Literatur kennt. Immerhin behauptet der Dichter gegenüber der von ihm angesungenen Person nicht weniger, als dass sie durch seine Verse und mit diesen zusammen so lange existieren werde, wie es Menschen gibt. Nur weil der Verfasser Shakespeare heißt, wirkt diese Unsterblichkeitsverheißung pro domo nicht maßlos peinlich – oder wird nicht, wie man es seit ca. 150 Jahren mit immer größerer Intensität zu tun pflegt, unter Ironie abgeheftet.

 Shall I compare thee to a summer’s day?
 Thou art more lovely and more temperate:
 Rough winds do shake the darling buds of May,
 And summer’s lease hath all too short a date:
 Sometime too hot the eye of heaven shines,
 And often is his gold complexion dimm’d,
 And every fair from fair some time declines,
 By chance, or nature’s changing course, untrimm’d;
 But thy eternal summer shall not fade,
 Nor lose possession of that fair thou ow’st;
 Nor shall Death brag thou wand’rest in his shade,
 When in eternal lines to time thou grow’st:
    So long as men can breathe or eyes can see,
    So long lives this, and this gives life to thee.

 Wie bei ungefähr jedem zweiten Shakespeare-Sonett steht man staunend und fragt sich, wie er das so scheinbar einfach und doch in Vollendung hinbekommen hat, vor allem wieder einmal den Paarreim am Schluss, endgültig wie nur irgendetwas sonst vielleicht allenfalls bei Homer, Mozart oder Goethe. 

 „Solang noch Menschen atmen, Augen sehn,
 Lebt dies und läßt dein Leben nicht vergehn“
 (Ludwig Fulda)

 „So lang ein Puls noch schlägt, ein Auge sieht,
 So lang lebt Dieß, lebst Du in meinem Lied“
 (Karl Simrock)

 „Solang als menschen atmen . augen sehn
 Wird dies und du der darin lebt bestehn.“
 (George)

 „Ich will, daß du in meinem Vers gedeihst,
 und lebst, solang die Welt noch Augenlicht
 und Atemzug belebt: hier im Gedicht.“
 (Hans Magnus Enzensberger)

 Oder, nun doch ins modisch Ironische wechselnd:

 „Solang die Welt besteht mit Menschen drauf,
 hört dein Problem – das alte Lied – nicht auf.“
 (Wilma Weide pseudonym)

 „So lange wie bei Menschen noch was geht,
 sie lesen, wie krass schön du bist konkret.“
 (Kerim Köstebeck)

 Bei Letzerem handelt es sich ebenfalls um ein Pseudonym, und zwar um ein den regelmäßigen Lesern dieses Diariums bekanntes: Ich habe Köst(e)becks Kanak-Sprak-Version von Sonett 66 im Vorgängerbuch zitiert. Herausgeber Gutsch hat die Übersetzung eruiert: Kerim Köstebeck heißt auf  türkisch „der edle Maulwurf“, und vielleicht wird dieser Maulwurf sich irgendwann einmal zu erkennen geben.

 Besagter Herr Gutsch hat bei mir angefragt, ob ich zu seinem Kompendium nicht ebenfalls eine Übertragung beisteuern mag. Ich mochte, habe mir aber in meiner Version gestattet, die Perspektive umzukehren und den Dichter selber anzusingen, vielleicht aus einer gewissen Scham heraus gegenüber der Anmaßung des Originals.


 Vergleichen? Dich? Sogar ein Sommertag
 Ist halb so lieblich nur und temperiert
 Wie du. Des Maies Hätschelknopse frag,
 In welchen Winden Sommers Licht erfriert.

 Zwar brennt des Himmels Auge gerade heiß,
 Kurz aber währt der Glanz, bald eingetrübt,
 Zahlt Schönheit der Vergänglichkeit den Preis,
 Wie’s Zufall oder Weltplan halt beliebt.

 Doch nie soll deines Sommers Kraft ermatten!
 Das Schöne, das du schufst, es trotzt der Zeit.
 Beschämt kehrt sich der Tod zu seinen Schatten.
 Nur Verse!, denkt er, und: Unsterblichkeit?

 So lange Menschen atmen, Augen sehn,
 So lange, Dichter, wird dein Wort bestehn.

 (Sie können „Dichter“ gern durch „Shakespeare“ ersetzen.) MK am 14. 12. 2015

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