Stationen

Freitag, 11. Dezember 2015

Üble Leere

Seit zwei Jahren darf der SPD-Politiker Heiko Maas sich Bundesjustizminister nennen, aber noch immer klingt die Verbindung seines Namens mit der Amtsbezeichnung überaus drollig. Als Spiegel-Online ihn kürzlich mit der Titelschlagzeile „SPD-Kanzlerkandidat der Reserve“ ehrte, konnte der Artikel nur ganz kurz den Spitzenplatz im Internet-Auftritt behaupten, denn das Echo war verheerend. „Charme eines Oberprimaners!“, „Das ist ein Scherz!“, „Milchbubi!“, „Verlierer von der Saar!“ und „Soviel Clown kann man doch gar nicht frühstücken!“ schallte es aus den Kommentaren.
Die Ansprache „Bundesjustizminister Heiko Maas“ ruft vor dem geistigen Auge einen subalternen Aktenkofferträger hervor, dessen Anblick spontan die Frage auslöst: Und wo bleibt der Chef? Maas wirkt wie der sprichwörtliche Konfirmand, der in einen viel zu großen Boss-Anzug geschlüpft ist. Jedenfalls wie einer, der das Amt nicht mit seiner Persönlichkeit ausfüllt, sondern der den Posten braucht, um dem Ich einen Halt zu geben und sich endlich den fälligen Respekt zu verschaffen.

Tatsächlich hatte er, bevor er nach Berlin gerufen wurde, im heimatlichen Saarland Niederlage auf Niederlage gehäuft. Er war zuletzt nur noch eine Zielscheibe des Spotts oder ein Objekt des Mitleids gewesen – wenn man ihn denn überhaupt zur Kenntnis nahm. Der studierte Jurist, Jahrgang 1966, hatte die üblichen Stationen einer Politikerkarriere zunächst mit Bravour absolviert. Mit 26 Jahren wurde er Juso-Landesvorsitzender, zwei Jahre später kam er in den Landtag, mit 30 Jahren wurde er Staatssekretär und mit 32 Landesminister für Umwelt. Sein Weg in die Saarbrücker Staatskanzlei, wo sein politischer Ziehvater Oskar Lafontaine dreizehn Jahre lang mit absoluter Mehrheit regiert hatte, schien vorgezeichnet.
Doch 1999 verlor die SPD die Landtagswahlen, genauso 2004, 2009 und 2012, als Maas jeweils der Spitzenkandidat seiner Partei war. Das jugendliche Versprechen, das er verkörperte, alterte von Wahl zu Wahl. Mit 46 Jahren war Maas ein politischer Greis, der über kurz oder lang ein Ehrengrab auf dem Friedhof des Unbekannten Parteisoldaten bekommen hätte, also einen gutdotierten Posten bei den Saarbrücker Stadtwerken oder in einer parteinahen Stiftung. Die Große Koalition in Berlin belebte ihn wieder. Weil seine Partei keinen anderen hatte, erhielt Maas als Justizminister eine unverhoffte Chance.

Trotz ihrer politischen Nähe stellte ihm Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung ein niederschmetterndes Eignungszeugnis aus: „Maas ist ein Jurist, bei dem man in der Biographie nachschauen muß, um zu erfahren, daß er wirklich einer ist. Er verkörpert einen Politikertypus, der Politik versteht und beherrscht, aber kein inhaltliches Fachgebiet vorzuweisen hat.“ Er prognostizierte: „Weil er aber weiß, daß die SPD keinen markanten Rechtspolitiker mehr hat, wird er mit Fleiß danach trachten, ein solcher zu werden. Sein Widerpart im Innenministerium ist ein alter Profi: Thomas de Maizière. Weil Maas schlau ist, wird er sich von ihm abgrenzen – vielleicht bei der Vorratsdatenspeicherung.
Prantl schrieb treffenderweise „schlau“ und nicht „gebildet“ oder „klug“. Das Wort hat einen pejorativen Beigeschmack und bezeichnet eine praktische Intelligenz ohne hinreichende ethische Grundierung. Es besitzt eine semantische Nähe zu Worten wie „listig“ oder „durchtrieben“, die dazu passende rhetorische Figur heißt „Schweinchen Schlau“.

Bis auf die Themenwahl ist es genauso gekommen, wie der Kommentator es vorhersah. Maas hat sich statt auf die Vorratsdatenspeicherung auf Pegida kapriziert. „Schande für Deutschland!“, „widerwärtig und abscheulich“, donnerte er bereits 2014 im Juso- beziehungsweise Halbstarkenjargon, der eines Ministers unwürdig ist. Es kennzeichnet den Niveauverfall des öffentlichen Lebens, daß ihm diese Wortwahl die so lange entbehrte Zuneigung der Medien verschaffte.
Da brauchte es ihn nicht scheren, daß der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgericht, Hans-Jürgen Papier, ihn per Interview zu Zurückhaltung ermahnte. Denn in dem Punkt hatte Spiegel-Online recht: „Ohne Pegida wäre Maas heute wohl nicht unter den bekanntesten Ministern der Bundesregierung. Und nicht so beliebt in der SPD.“

Im Oktober 2015 legte er nach: Der Mordanschlag auf Kölns Oberbürgermeister-Kandidatin Henriette Reker sei die Wirkung des „Pegida-Giftes“, und wer „nach Galgen“ und „KZ-Rede“ immer noch mitmarschiere, der sei „kein Mitläufer mehr, sondern trägt moralische Mitverantwortung für die Gewalt, die von dieser Hetze ausgeht“. Ausgerechnet der Minister, der zum Lordsiegelbewahrer der Rechtsstaatlichkeit berufen ist, stellt Kausalzusammenhänge her, die er unmöglich beweisen kann.
Drohend fügte er hinzu, in Dresden würde die „Polizei sehr sorgfältig beobachten, ob bei Pegida Straftaten begangen werden“. Es hat den Anschein, daß er die Konfrontation zwischen der Polizei und der Pegida-Bewegung geradezu herbeiwünscht. Den Pegida-Demonstrationen liegt die Gewaltlosigkeit zugrunde. Hingegen sind mehrere Teilnehmer von Pegida-Ablegern durch sogenannte Gegendemonstranten oder Aktivisten verletzt worden. Diese dürften die Ministerworte als Rechtfertigung und Ansporn für ihr Handeln empfinden.

Maas pflegt die Semantik des Agitators und Einpeitschers. Die betonte Gelassenheit, die er dabei an den Tag legt, läßt die Aggressivität noch unheimlicher wirken. Die äußerliche Beherrschtheit entspringt ja keiner in sich ruhenden Persönlichkeit. Maas war, wie gesagt, oft belächelt und bemitleidet worden, wenn er versuchte, das politische Alphatier zu mimen. Den ideologischen Furor und das Karrierestreben hat er jetzt unter den Habitus des exekutierenden Apparatschiks gezwungen. Vordergründig gibt der Erfolg in den Medien und der Partei ihm recht.
Parallel dazu ist der Kontrast zwischen seiner verbalen Kraftmeierei und der zarten körperlichen Erscheinung ein beliebtes Thema in den sozialen Medien geworden. Es kursieren Bezeichnungen wie „Maas-Männchen“, „halbe Portion“ oder eben „Milchbubi“. Sie unterstellen bei Maas die schon von Prantl angedeutete Kombination aus politischem Profilierungs- und persönlichem Erfolgsdruck und interpretieren seine Amtsführung als die Geschichte einer Kompensation.

Nun liegen solche Diagnosen häufig auf dem Niveau der Küchenpsychologie oder verraten eigene Ressentiments. Doch bei Maas sind sie schwer zu widerlegen. Die politischen Ansichten des Gregor Gysi zum Beispiel kann man schärfstens ablehnen, doch jeder Versuch, sie unter Hinweis auf seine geringe Körperhöhe zu widerlegen, würde sich umgehend gegen den Urheber wenden. Denn Gysi ist eine souveräne Persönlichkeit. Ob er mit dem als „Pfälzer Riesen“ titulierten Helmut Kohl – damals noch Bundeskanzler – ein Streitgespräch führen würde, wurde Gysi einmal gefragt, worauf er sinngemäß antwortete: „Nein! Von mir wäre nichts zu sehen und von Helmut Kohl nichts zu hören!“
Die einzige Phase, in der man Gysi unglücklich erlebte, war seine kurze Amtszeit als Wirtschaftssenator in Berlin. Das Amtskorsett nahm ihm den Atem, weshalb er den erstbesten Vorwand nutzte, um es abzustreifen. Gysi braucht, um zu wirken, die öffentliche Bühne, aber kein öffentliches Amt. Das eben ist der Unterschied zwischen der Persönlichkeit und dem Funktionär. Würde hingegen Maas aus dem Amt scheiden, stünde er umgehend als ein Niemand da.

Nein, er ist kein schlichter Diederich Heßling, der nach oben buckelt und nach unten tritt. Heinrich Manns „Untertan“ empfindet Unsicherheit nur gegenüber den Autoritäten, im übrigen verkörpert er – wenigstens im Erwachsenenalter – die derbe Frohnatur, die mit sich im reinen ist.

Wenn schon, dann ähnelt Heiko Maas dem schwächlichen Kunsthistoriker Helmut Institoris aus Thomas Manns „Faustus“-Roman, einem „kleinangelegten und seinerseits in ästhetischen Kraft-Ambitionen sich gefallenden Schönheitsästheten“.
Institoris buhlt um allgemeine Anerkennung, indem er sich als Erbe kraftvoller Renaissance-Menschen geriert, von „Brutalität“, „schöner Ruchlosigkeit und italienischen Giftmorden schwärmt“. Sein Name geht auf Henricus Institoris zurück, den Verfasser des mittelalterlichen „Hexenhammers“, der wollüstig und ausgiebig die zur Überführung der Verbrecher anzuwendenden Foltermethoden referiert.

Wenn Heiko Maas tönt, Justiz, Polizei und Verfassungsschutz müßten „Härte gegen Hetzer“ und „klare Kante gegen Rassismus und Hetze“ zeigen, dann nutzt er die geliehene Macht und das Drohpotential des Staates, um den starken Mann zu markieren und sein Ego zu therapieren. Das ist befremdlich genug. Vor allem jedoch drohen politische Schäden. Der Rechtsstaat ist derjenige staatliche Bereich in Deutschland, der noch leidlich funktioniert. Dieser Justizminister treibt mit seinen Äußerungen die Entwicklung zu einem Maas-, pardon Maßnahmenstaat voran, in dem das Recht dem politischen Zweck und der Durchsetzung einer Weltanschauung dient. Und das ist weder drollig noch ein Scherz. Thorsten Hinz
JF 51/15

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