Seit zwei Jahren darf der SPD-Politiker Heiko Maas sich
Bundesjustizminister nennen, aber noch immer klingt die Verbindung
seines Namens mit der Amtsbezeichnung überaus drollig. Als Spiegel-Online
ihn kürzlich mit der Titelschlagzeile „SPD-Kanzlerkandidat der Reserve“
ehrte, konnte der Artikel nur ganz kurz den Spitzenplatz im
Internet-Auftritt behaupten, denn das Echo war verheerend. „Charme eines
Oberprimaners!“, „Das ist ein Scherz!“, „Milchbubi!“, „Verlierer von
der Saar!“ und „Soviel Clown kann man doch gar nicht frühstücken!“
schallte es aus den Kommentaren.
Die Ansprache „Bundesjustizminister Heiko Maas“ ruft vor dem
geistigen Auge einen subalternen Aktenkofferträger hervor, dessen
Anblick spontan die Frage auslöst: Und wo bleibt der Chef? Maas wirkt
wie der sprichwörtliche Konfirmand, der in einen viel zu großen
Boss-Anzug geschlüpft ist. Jedenfalls wie einer, der das Amt nicht mit
seiner Persönlichkeit ausfüllt, sondern der den Posten braucht, um dem
Ich einen Halt zu geben und sich endlich den fälligen Respekt zu
verschaffen.
Tatsächlich hatte er, bevor er nach Berlin gerufen wurde, im
heimatlichen Saarland Niederlage auf Niederlage gehäuft. Er war zuletzt
nur noch eine Zielscheibe des Spotts oder ein Objekt des Mitleids
gewesen – wenn man ihn denn überhaupt zur Kenntnis nahm. Der studierte
Jurist, Jahrgang 1966, hatte die üblichen Stationen einer
Politikerkarriere zunächst mit Bravour absolviert. Mit 26 Jahren wurde
er Juso-Landesvorsitzender, zwei Jahre später kam er in den Landtag, mit
30 Jahren wurde er Staatssekretär und mit 32 Landesminister für Umwelt.
Sein Weg in die Saarbrücker Staatskanzlei, wo sein politischer
Ziehvater Oskar Lafontaine dreizehn Jahre lang mit absoluter Mehrheit
regiert hatte, schien vorgezeichnet.
Doch 1999 verlor die SPD die Landtagswahlen, genauso 2004, 2009 und
2012, als Maas jeweils der Spitzenkandidat seiner Partei war. Das
jugendliche Versprechen, das er verkörperte, alterte von Wahl zu Wahl.
Mit 46 Jahren war Maas ein politischer Greis, der über kurz oder lang
ein Ehrengrab auf dem Friedhof des Unbekannten Parteisoldaten bekommen
hätte, also einen gutdotierten Posten bei den Saarbrücker Stadtwerken
oder in einer parteinahen Stiftung. Die Große Koalition in Berlin
belebte ihn wieder. Weil seine Partei keinen anderen hatte, erhielt Maas
als Justizminister eine unverhoffte Chance.
Trotz ihrer politischen Nähe stellte ihm Heribert Prantl in der Süddeutschen Zeitung
ein niederschmetterndes Eignungszeugnis aus: „Maas ist ein Jurist, bei
dem man in der Biographie nachschauen muß, um zu erfahren, daß er
wirklich einer ist. Er verkörpert einen Politikertypus, der Politik
versteht und beherrscht, aber kein inhaltliches Fachgebiet vorzuweisen
hat.“ Er prognostizierte: „Weil er aber weiß, daß die SPD keinen
markanten Rechtspolitiker mehr hat, wird er mit Fleiß danach trachten,
ein solcher zu werden. Sein Widerpart im Innenministerium ist ein alter
Profi: Thomas de Maizière. Weil Maas schlau ist, wird er sich von ihm
abgrenzen – vielleicht bei der Vorratsdatenspeicherung.“
Prantl schrieb treffenderweise „schlau“ und nicht „gebildet“ oder
„klug“. Das Wort hat einen pejorativen Beigeschmack und bezeichnet eine
praktische Intelligenz ohne hinreichende ethische Grundierung. Es
besitzt eine semantische Nähe zu Worten wie „listig“ oder
„durchtrieben“, die dazu passende rhetorische Figur heißt „Schweinchen
Schlau“.
Bis auf die Themenwahl ist es genauso gekommen, wie der Kommentator
es vorhersah. Maas hat sich statt auf die Vorratsdatenspeicherung auf
Pegida kapriziert. „Schande für Deutschland!“, „widerwärtig und
abscheulich“, donnerte er bereits 2014 im Juso- beziehungsweise
Halbstarkenjargon, der eines Ministers unwürdig ist. Es kennzeichnet den
Niveauverfall des öffentlichen Lebens, daß ihm diese Wortwahl die so
lange entbehrte Zuneigung der Medien verschaffte.
Da brauchte es ihn nicht scheren, daß der ehemalige Präsident des
Bundesverfassungsgericht, Hans-Jürgen Papier, ihn per Interview zu
Zurückhaltung ermahnte. Denn in dem Punkt hatte Spiegel-Online
recht: „Ohne Pegida wäre Maas heute wohl nicht unter den bekanntesten
Ministern der Bundesregierung. Und nicht so beliebt in der SPD.“
Im Oktober 2015 legte er nach: Der Mordanschlag auf Kölns
Oberbürgermeister-Kandidatin Henriette Reker sei die Wirkung des
„Pegida-Giftes“, und wer „nach Galgen“ und „KZ-Rede“ immer noch
mitmarschiere, der sei „kein Mitläufer mehr, sondern trägt moralische
Mitverantwortung für die Gewalt, die von dieser Hetze ausgeht“.
Ausgerechnet der Minister, der zum Lordsiegelbewahrer der
Rechtsstaatlichkeit berufen ist, stellt Kausalzusammenhänge her, die er
unmöglich beweisen kann.
Drohend fügte er hinzu, in Dresden würde die „Polizei sehr sorgfältig
beobachten, ob bei Pegida Straftaten begangen werden“. Es hat den
Anschein, daß er die Konfrontation zwischen der Polizei und der
Pegida-Bewegung geradezu herbeiwünscht. Den Pegida-Demonstrationen liegt
die Gewaltlosigkeit zugrunde. Hingegen sind mehrere Teilnehmer von
Pegida-Ablegern durch sogenannte Gegendemonstranten oder Aktivisten
verletzt worden. Diese dürften die Ministerworte als Rechtfertigung und
Ansporn für ihr Handeln empfinden.
Maas pflegt die Semantik des Agitators und Einpeitschers. Die betonte
Gelassenheit, die er dabei an den Tag legt, läßt die Aggressivität noch
unheimlicher wirken. Die äußerliche Beherrschtheit entspringt ja keiner
in sich ruhenden Persönlichkeit. Maas war, wie gesagt, oft belächelt
und bemitleidet worden, wenn er versuchte, das politische Alphatier zu
mimen. Den ideologischen Furor und das Karrierestreben hat er jetzt
unter den Habitus des exekutierenden Apparatschiks gezwungen.
Vordergründig gibt der Erfolg in den Medien und der Partei ihm recht.
Parallel dazu ist der Kontrast zwischen seiner verbalen Kraftmeierei
und der zarten körperlichen Erscheinung ein beliebtes Thema in den
sozialen Medien geworden. Es kursieren Bezeichnungen wie
„Maas-Männchen“, „halbe Portion“ oder eben „Milchbubi“. Sie unterstellen
bei Maas die schon von Prantl angedeutete Kombination aus politischem
Profilierungs- und persönlichem Erfolgsdruck und interpretieren seine
Amtsführung als die Geschichte einer Kompensation.
Nun liegen solche Diagnosen häufig auf dem Niveau der
Küchenpsychologie oder verraten eigene Ressentiments. Doch bei Maas sind
sie schwer zu widerlegen. Die politischen Ansichten des Gregor Gysi zum
Beispiel kann man schärfstens ablehnen, doch jeder Versuch, sie unter
Hinweis auf seine geringe Körperhöhe zu widerlegen, würde sich umgehend
gegen den Urheber wenden. Denn Gysi ist eine souveräne Persönlichkeit.
Ob er mit dem als „Pfälzer Riesen“ titulierten Helmut Kohl – damals noch
Bundeskanzler – ein Streitgespräch führen würde, wurde Gysi einmal
gefragt, worauf er sinngemäß antwortete: „Nein! Von mir wäre nichts zu
sehen und von Helmut Kohl nichts zu hören!“
Die einzige Phase, in der man Gysi unglücklich erlebte, war seine
kurze Amtszeit als Wirtschaftssenator in Berlin. Das Amtskorsett nahm
ihm den Atem, weshalb er den erstbesten Vorwand nutzte, um es
abzustreifen. Gysi braucht, um zu wirken, die öffentliche Bühne, aber
kein öffentliches Amt. Das eben ist der Unterschied zwischen der
Persönlichkeit und dem Funktionär. Würde hingegen Maas aus dem Amt
scheiden, stünde er umgehend als ein Niemand da.
Nein, er ist kein schlichter Diederich Heßling, der nach oben buckelt
und nach unten tritt. Heinrich Manns „Untertan“ empfindet Unsicherheit
nur gegenüber den Autoritäten, im übrigen verkörpert er – wenigstens im
Erwachsenenalter – die derbe Frohnatur, die mit sich im reinen ist.
Wenn
schon, dann ähnelt Heiko Maas dem schwächlichen Kunsthistoriker Helmut
Institoris aus Thomas Manns „Faustus“-Roman, einem „kleinangelegten und
seinerseits in ästhetischen Kraft-Ambitionen sich gefallenden
Schönheitsästheten“.
Institoris buhlt um allgemeine Anerkennung, indem er sich als Erbe
kraftvoller Renaissance-Menschen geriert, von „Brutalität“, „schöner
Ruchlosigkeit und italienischen Giftmorden schwärmt“. Sein Name geht auf
Henricus Institoris zurück, den Verfasser des mittelalterlichen
„Hexenhammers“, der wollüstig und ausgiebig die zur Überführung der
Verbrecher anzuwendenden Foltermethoden referiert.
Wenn Heiko Maas tönt, Justiz, Polizei und Verfassungsschutz müßten
„Härte gegen Hetzer“ und „klare Kante gegen Rassismus und Hetze“ zeigen,
dann nutzt er die geliehene Macht und das Drohpotential des Staates, um
den starken Mann zu markieren und sein Ego zu therapieren. Das ist
befremdlich genug. Vor allem jedoch drohen politische Schäden. Der
Rechtsstaat ist derjenige staatliche Bereich in Deutschland, der noch
leidlich funktioniert. Dieser Justizminister treibt mit seinen
Äußerungen die Entwicklung zu einem Maas-, pardon Maßnahmenstaat voran,
in dem das Recht dem politischen Zweck und der Durchsetzung einer
Weltanschauung dient. Und das ist weder drollig noch ein Scherz. Thorsten Hinz
JF 51/15
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