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Dienstag, 26. Mai 2015

Lengsfeld zum Fall Gysi (1)


Nach mehr als zwei Jahren Recherche der Hamburger Staatsanwaltschaft, ob der letzte SED- Chef und heutige Bundestagsfraktionsvorsitzende Gysi eine falsche eidesstattliche Erklärung abgegeben hat, um die Ausstrahlung des Filmes von Hans- Jürgen Börner „Die Akte Gysi“ zu verhindern, gab es endlich eine Entscheidung. Der Oberstaatsanwalt, dem alle Akten vorlagen, gab dem ermittelnden Staatsanwalt die Anweisung, Anklage gegen Gysi zu erheben.

In einem in der Justiz bisher einmaligen Vorgang weigerte sich der Untergebene der Anweisung Folge zu leisten und legte beim Justizsenator von Hamburg Beschwerde ein.

Damit untergräbt der Staatsanwalt die Unabhängigkeit der Justiz und will sie einer politischen Unterscheidung unterwerfen.

Berechtigte Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Oberstaatsanwalts können es nicht gewesen sein, die den Mann zu seinem skandalösen Verhalten veranlasst haben.  Nach der Aktenlage kann es keine Zweifel geben, dass Gysi „wissentlich und willentlich“ an die Staatssicherheit berichtet hat.

Wohlgemerkt: es geht nicht darum, ob Gysi IM Notar, Gregor oder Sputnik war, sondern nur darum, ob er berichtet hat.

Gysis hartnäckiges Leugnen und immer neue Volten haben inzwischen zu einer erheblichen Irreführung der Öffentlichkeit geführt, obwohl der Immunitätsausschuss des Deutschen Bundestages in seinem Abschlußbericht bereits vor Jahren zu einem eindeutigen Ergebnis kam: „Der Ausschuß für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung…hat in seiner 87. Sitzung am 8. Mai 1998 im Überprüfungsverfahren gemäß §44b Abs.2 Abgeordnetengesetz mit der in Nummer 1 der Richtlinie des Überprüfungsverfahrens vorgesehenen Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder eine inoffizielle Tätigkeit des Abgeordneten Dr. Gregor Gysi für das Ministerium für Staatssicherheit….als Erwiesen festgestellt.“

Nach den Richtlinien, die sich der Deutsche Bundestag in dieser Legislaturperiode gegeben hatte, hätte die Bundestagspräsidentin Rita Süßmuth den Abgeordneten Gysi nun auffordern müssen, sein Mandat niederzulegen. Gysi selbst hatte als Fraktionsvorsitzender dafür gesorgt, dass die Abgeordneten Jutta Braband (1991) und Kerstin Kaiser (1994) wegen früherer IM-Tätigkeit ihre Bundestagsmandate niederlegen mussten.  Was für die beiden Frauen galt, wollte Gysi auf sich selbst nicht anwenden. Er klagte beim Bundesverfassungsgericht gegen die Veröffentlichung der Entscheidung des Immunitätsausschusses. Als er unterlag, stand der Wahlkampf 1998 vor der Tür.  Aus diesem Grund entschied sich Süßmuth, die Aufforderung an Gysi, sein Mandat niederzulegen, zu unterlassen. Es könne ihr als Wahlkampf ausgelegt werden.


Durch die lange Wartezeit war das Interesse der Presse erloschen. Die bevorstehende Wahlniederlage von Helmut Kohl, die erste Rot-Grüne Bundesregierung, später die CDU-Spendenaffäre verdrängten den Fall Gysi aus den Medien. Nun ist es ein Hamburger Staatsanwalt, der für Gysi in die Bresche springt.

Da ich eine der Anzeigen gegen Gysi wegen eidesstattlicher Falschaussage erstattet habe, möchte ich öffentlich meine Gründe darlegen:
Ich wurde im Januar 1988 gemeinsam mit anderen Bürgerrechtlern, u.a. Bärbel Bohley und Freya Klier, verhaftet. Wie wir seit der Stasiaktenöffnung wissen, war es ein sogenannter „Enthauptungsschlag“, den die Staatsicherheit plante, um die Bürgerrechtsbewegung zu zerschlagen.

Plan A, uns monate- oder jahrelang hinter Gitter zu bringen, scheiterte an einer bisher nicht gekannten Welle an Protesten.
In mehr als dreißig Städten fanden allabendlich Solidaritätsveranstaltungen für unsere Freilassung statt. In Berlin nahmen in der DDR akkreditierte Journalisten teil, wodurch die Nachricht von unserer Inhaftierung in aller Welt verbreitet wurde. Der Druck auf Partei- und Staatschef Honecker, der seine nächsten Westreisepläne gefährdet sah, wurde so groß, dass er nach etwa zehn Tagen per Pressemitteilung verbreiten ließ, dass alle inhaftierten Bürgerrechtler in den nächsten Tagen entlassen würden.

Plan B war Abschiebung aller Bürgerrechtler in den Westen. Ich habe den Vorgang ausführlich in meinem Buch „Ich wollte frei sein” beschrieben, das seit 2002 auf dem Markt ist.

Mein damaliger Anwalt Wolfgang Schnur scheiterte bei dem Versuch, von mir ein Einverständnis für meine Abschiebung zu erlangen. Da aber öffentlich ein Datum genannt worden war, bis wann alle Bürgerrechtler entlassen sein sollten, ich aber immer noch einsaß, da man mich nicht in die DDR entlassen wollte, bekam ich überraschenden Besuch von Rechtsanwalt Gregor Gysi.
Ich habe dem Hamburger Staatsanwalt vorgetragen, dass Gysi mich aufsuchen konnte, obwohl er kein Mandat von mir hatte. Es auch in einem Rechtsstaat nicht möglich, dass ein Anwalt aus eigenem Entschluss ohne Mandat einen Häftling aufsucht. Umso mehr gilt das für einen Häftling der Staatssicherheit. Ohne Einverständnis mit der Staatsicherheit wäre Gysis Erscheinen undenkbar gewesen.

Gysi tat dann genau das, was im Maßnahmeplan „Heuchler“ für mich vorgesehen war, ein Einverständnis für meine Abschiebung in den Westen von mir zu erlangen. Da sich die „Verhandlungen“ über zwei Tage hinzogen und schließlich zum gewünschten Erfolg führten, muss Gysi „willentlich und wissentlich“ die Stasi über unsere Gespräche informiert haben. Eine ausführliche Beschreibung dieses Vorgangs kann man seit Jahren hier nachlesen, ohne dass der klagefreudige Gysi je juristische Schritte dagegen unternommen hätte.

Ich habe den Staatsanwalt außerdem darüber informiert, dass sich in meiner Akte ein Bericht von IM Notar darüber befindet, wie ich 1984 Rechtsanwalt Gysi wegen meines Berufsverbotes in seiner Kanzlei aufgesucht habe. Wie festgestellt wurde, ist Gysis Kanzlei nicht abgehört worden. Gleiches gilt für seinen Privattelefonanschluss. Dennoch fand sich ein Bericht von IM Notar über ein Telefongespräch, das ich mit ihm im Zusammenhang mit der Relegierung meines Sohnes Philipp und seiner Freunde von der Berliner Ossietzky- Schule mit Gysi geführt habe, in den Stasiakten.
Ich habe dem Staatsanwalt eine Einverständniserklärung für die Einsicht in meine Akte unterschrieben. Allein aus den von mir angeführten Gründen kann der Staatsanwalt keine Zweifel daran haben, dass Gysi eine eidestattliche Falschaussage geliefert hat. Vera Lengsfeld

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