Stationen

Sonntag, 4. Juni 2023

Diese (zweite) Folge war enttäuschend

Besonders der Beitrag von Maaßen (ab 23:38) ließ zu wünschen übrig.

Ich stimme Maaßen zu, Rechtsempfinden und Gesetzesbewusstsein verschwimmen immer mehr, aber er verschlimmert die begriffliche Ungenauigkeit noch zusätzlich. Jeder muss sich im Rechtsstaat ohne Extrawürste dem Gesetz fügen, eben nicht dem Recht oder dem Rechtsempfinden! Ein Recht hat man oder nicht (in allen Staaten der Welt haben die Staatsangehörigen Rechte, die Fremde, d.h. Nichtstaatsbürger nicht haben), und jedes Recht impliziert im Gegenzug eine Pflicht. Was Maaßen "Recht" nennt, ist in Wahrheit das Rechtsempfinden und das ist seiner Natur nach nichts anderes als das "gesunde Volksempfinden", auf das sich die Nazis beriefen und an das sie appellierten; nur haben die Deutschen heute ein ganz anderes Rechts- und Unrechtsempfinden als damals und wieder ein anderes hatte man im 19. Jahrhundert. Man kann sich bei Vergleichen mit dem NS nicht die Rosinen herauspicken. Vergleiche mit totalitären Staaten veranschaulichen gut, auf welche Unterschiede es ankommt, aber bitte nicht so plump, wie es Maaßen (den ich ansonsten schätze) hier tat.

Der entscheidende Unterschied ist das Analogieverbot, das es weder in der UdSSR noch im NS gab. Das Rechtsempfinden ist kein juristischer Begriff, weil es keiner sein kann. "Recht", im Sinne von "right", italienisch "diritto", französisch "droit" ist ein klarer Begriff, aber Maaßen sagt Recht und meint Rechtsempfinden, so als bewahre ein gesunder Instinkt (der nicht kodifiziert werden kann, von dem Maaßen aber spricht, als sei er ewig oder zumindest durch eine lange Tradition so fest verwurzelt, dass er uns zuverlässig sagen kann, was recht ist) vor Relativismus, er appelliert an diesen Instinkt und verknüpft ihn mit der Absicht der Väter des GG: Ungehorsam, wenn ein Gesetz ungerecht ist; ja sogar: Ungehorsam als Soldat, wenn ein Befehl unrechtmäßig ist. Sozusagen ein festgeschriebener Appell an das überforderte Individuum zur Gewissensberuhigung der Gründerväter. Maaßen macht sich lächerlich mit seinen Ausführungen und Gebauer erst recht. Es reicht für einen konservativen, klugen Radiosender aber nicht, dass zwei Antisozialisten sich in einer Sendung über den Rechtsstaat coram publico gegenseitig auf die Schulter klopfen. 

So ein Sender muss dazu beitragen, eine Kultur unserer Rechte zu schaffen und ein Bewusstsein dafür, worauf es ankommt, um Willkür seitens Politikern (aber auch seitens Verfassungsrichtern) durch Gesetze zu verhindern und worauf es bei der Wahrnehmung und Ausübung unserer Rechte ankommt, wenn wir d i e s e (also nicht d a s Recht, mit dem Maaßen das Rechtsempfinden bezeichnet, sondern die unveräußerlichen Rechte des Bürgers eines Rechtsstaats) verteidigen müssen und wollen. Das knalldeutsche Geschwafel, das Gebauer und Maaßen uns diesmal zugemutet haben, trägt nicht dazu bei bzw. so wenig, dass die Verwirrung, die gleichzeitig durch die Reflexionen der beiden (vor allem Maaßens) angerichtet wird, überwiegt.

Man kann Rechtsempfinden und Unrechtsbewusstsein (oder einen gesunden Instinkt) nicht erzwingen, und selbst gewählte Richter können uns nicht vor Willkür schützen, wenn die Volksseele erst einmal kocht. Wenn Unrecht (per Gesetz) zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht! Aber auch das ist nur ein Appell, kein Rechtsgrundsatz.

Den Unterschied zwischen Ius und Lex verstehen auch Angelsachsen et altri populi sehr gut. Gebauer muss üben.

Das Rechtsempfinden kann man nie völlig mit den Gesetzen zur Deckung bringen, auch nicht mit der so schwer ins englische übersetzbaren Zauberformel "Recht und Gesetz". Deswegen stehen gerade für Menschen mit besonderer Sensibilität für Gerechtigkeit die religiösen Gesetze immer über den weltlichen Kodizes, denn bei Gott gilt kein Analogieverbot, sondern sogar Analogiegebot.

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