Stationen

Montag, 12. Juni 2023

Doppelte Trauer

Gleich zwei Italiener, die mir ans Herz gewachsen waren, starben heute. Francesco Nuti und Silvio Berlusconi.


 

 

Berlusconi war mit Abstand der klügste, scharfsinnigste, instinktsicherste Politiker, den ich bisher erlebt habe. Hochintelligent, sehr spontan und schlagfertig, ein Meister der freien Rede (der aber zu gegebenem Anlass auch wohlüberlegte Gedanken vorlas), äußerst kompetent in Sachen Wirtschaft, Funktionalität des Rechtssystems und Management, aber auch, was die philosophischen Grundlagen seines Handels betraf. Berlusconi nahm kein Blatt vor den Mund. Sein entwaffnender Mut zu rücksichtsloser Aufrichtigkeit war immer wieder ein Vergnügen, wobei er immer sehr taktvoll blieb (wenn er nicht gerade heimlich gefilmt wurde). Der Mann hatte übrigens Charakter: Nie tat er so, als könne er kein Wässerchen trüben! Im Gegenteil, er wiederholte immer wieder, das italienische Rechtssystem mache es für Unternehmer unmöglich, legal zu handeln. Es ist sehr bedauerlich, dass es ihm nicht gelang, die Verfassung und die Justiz zu reformieren, das Vorhaben, das ihm am meisten am Herzen lag. Aber mit demokratischen Mitteln scheint beides nicht möglich zu sein; erst im Ausnahmezustand werden sich die Dinge bewegen. Berlusconi hat als erster ein Problem erkannt, das inzwischen auch in Deutschland zu immer gravierenderen Verwerfungen führt, ohne dass irgendjemand außerhalb der AfD (abgesehen vom FDPler Carlos Gebauer) einen Finger dagegen rührt.

Erfreulich ist, dass auch Berlusconis langjährige politische Gegner ihm Respekt zollen und sich im Rückblick vor ihm verneigen. Er war fürwahr der aufrichtigste Politiker, den ich je erlebt habe. Er hatte ein enormes Selbstbewusstsein, zu recht. Und er hatte auch sehr viel Selbstironie, die ihn vor Größenwahn bewahrte.





Ein deutsches Gericht verurteilt eine Ukrainerin, weil sie bei einer Demonstration Putins Krieg gerechtfertigt hat. Hier sieht man überdeutlich, wie angeblich unparteiische Richter, wenn die Spannung in einer Gesellschaft steigt, innerhalb dieses Spannungsfelds plötzlich Partei ergreifen. Ich erlebte 1996, wie eine deutsche Jurastudentin an der Europäischen Universität es nicht begreifen konnte, als ihr portugiesische Kommilitonen diesen Sachverhalt zu erklären versuchten. Die Staatsgläubigkeit ist in Deutschland ein immer noch unüberwindbares Hindernis für den Bürger, der mündig sein möchte, aber gläubig bleibt.

 

Apropos

 Wir können froh sein, dass wir im deutschen Sprachraum wenigstens einen Mateschitz hatten. Aber für einen deutschen Berlusconi reicht es nicht, trotz des Wettstreits zwischen Österreich, Schweiz und Deutschland (und Luxemburg und Lichtenstein).

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