Götz Kubitschek rezensiert Helmut Böttiger:
Die Gruppe 47 - Als die deutsche Literatur Geschichte schrieb
»Gruppe 47« – ein Kampfbegriff, zweifelsohne: Für Linke und Liberale ist das damit bezeichnete Autorenkollektiv der Garant der antifaschistischen, literarischen Stunde Null nach dem verlorenen Krieg. Konservativen und Rechten hingegen gilt die Gruppe 47 als künstlerisch überbewertetes Instrument der Umerziehung. Ganz falsch ist beides nicht, aber weil die Gruppe 47 zwanzig Jahre lang bestand und sich am Ende selbst fremd war, ist ein simples Urteil nicht gerechtfertigt.
Am Anfang, 1947, stand der Plan, Schriftsteller vor Kollegen lesen zu lassen und sie danach einer ebenso harten wie konstruktiven Kritik auszusetzen: Werkstattatmosphäre statt Erbauung – der Initiator, Hans Werner Richter, suchte angesichts der totalen Niederlage und moralischen Infragestellung Deutschlands nach einer der jungen Erlebnisgeneration gemäßen, ebenso nüchternen wie konstruktiven Form des geistigen Neubaus.
Der Literaturkritiker Helmut Böttiger orientiert seine umfangreiche Monographie an diesem Grundkonzept Richters. Er zeigt, welche Mechanismen die Gruppe 47 vom Ort der freien Lesung und der untheatralischen Kritik zu einem Zirkus für Selbstdarsteller und Medienprofis machten. Linksliberal bis offen sozialistisch war man immer, das ist eine Klammer über zwei Jahrzehnte.
Nach und nach aber schält Böttiger heraus, daß die Gruppen-Geschichte Epochen kennt: Die Idealisten der frühen Treffen tagen praktisch unter Ausschluß der Öffentlichkeit, sind in die Auseinandersetzungen zwischen Emigranten und Dagebliebenen verstrickt und verteidigen selbst gegen die Besatzungsmächte ihr freies Wort.
Richter, Andersch und die anderen Männer der ersten Stunde spielen indes keine große Rolle, als auf der Tagung von 1951 endlich die Medien nach den Teilnehmern greifen und Ikonen schaffen: Ingeborg Bachmann und Paul Celan bestimmen neben Günter Eich und Ilse Aichinger die Außenwirkung, und mit Heinrich Böll gelingt erstmals einem Autor deshalb der Durchbruch, weil er vor der Gruppe 47 besteht.
Diese Entdeckung der Wirksamkeit verändert die Atmosphäre schlagartig und steigert die Bedeutung der Gruppe 47 bis zu einer monopolartigen Stellung: Wer durchfällt, ist gezeichnet, wer überzeugt, kann sich seinen Verleger aussuchen.
Böttiger zeigt, wie sich der Status des Kritikers von dem des Autors löst, wie »die Kritik« zur eigenen Gattung neben den Werken der Autoren wird, getragen von den zur Hochform auflaufenden, über Jahrzehnte maßgeblichen Köpfen: Walter Jens, Hans Mayer, Joachim Kaiser und – nicht wohlgelitten! – Marcel Reich-Ranicki.
Weil letzterer noch besser als die anderen den medialen Unterhaltungswert der situativen Kritik begreift, wird er später den Klagenfurter Bachmann-Wettbewerb erfinden, in dem die jungen Autoren nur noch den Hintergrund bilden für den Auftritt einer sich produzierenden Jury. Diese Entwicklung widersprach der ursprünglichen Intention Richters und wurde dennoch durch eben diesen redlichen Gründervater befördert, der seinen Machtzuwachs genoß und zur Geltung brachte. Ungehemmt vom Zauber allen Beginnens agierten dann Walter Höllerer (in Berlin) und vor allem Hans Magnus Enzensberger, der die Medienkompatibilität zum Prinzip seiner Auftritte und Arbeiten machte.
Daß ein Peter Handke im Stile Andy Warhols einen einzigen, aufgeladenen Moment nutzte, um sich über die Gruppe 47 ins Zentrum der medialen Aufmerksamkeit zu katapultieren, ist Böttiger ein eigenes Kapitel wert.
Geradezu unprofessionell wirken gegen derlei kalkulierte Provokationen die legendären Lesungen eines Günter Grass oder das Aufbegehren junger Autoren im Sog der Studentenrevolte von ’68, die für jede Institution die Politisierung einforderten und gegen die Machtstruktur der Gruppe 47 rebellierten. Aber da war es mit dieser Instanz des Literaturbetriebs schon wieder vorbei, die Tagung von 1967 war die letzte, und auf Jahre hinaus ging es in den Literaturdebatten nicht mehr um Qualität, sondern nur noch um den Grad der »Engagiertheit« eines Autors.
Böttigers Arbeit lebt vom geschickt aufbereiteten Material der frühen literarischen BRD. Die konservative Gegenkritik (Friedrich Sieburg vor allen anderen) kommt dabei erwartungsgemäß nicht gut weg.
Und es gibt Fehlstellen. Thorsten Hinz führt in seinem Essay über die Literatur aus der Schuldkolonie (Schnellroda 2010) aus, wie klar die frühen 47er ihre Lage sahen. Der von Armin Mohler geschätzte Alfred Andersch, der wiederum Jünger verehrte, bezeichnete in einer programmatischen Rede auf der Herbsttagung der Gruppe im Gründungsjahr den deutschen Schriftsteller als »Angehörigen der intellektuellen Schicht eines halbkolonialen Volkes«.
Um dieses Verdikt drückt sich Böttiger herum, er zitiert es nicht einmal. Das unterscheidet seine Literaturgeschichtsschreibung von unserer.
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