Freitag, 24. April 2015
Alternative Medizin
Das beste Argument für Homöopathie ist vielleicht dieser Fußballdruide. Das würde bedeuten, dass die Homöopathie keine Wissenschaft im Sinne Poppers ist, wohl aber eine Erfahrungswissenschaft und vor allem eine Kunst!
Aber die persönlichen, subjektiven Beobachtungen dieses Starmediziners könnten auch die genialen Intuitionen eines besonders geschickten Scharlatans im Zustand der Participation mystique sein, der seinem eigenen suggestiven Erfolg erliegt.
Claude Lévi-Strauss beschrieb 1958 in seinem Buch „Strukturale Anthropologie“ den Fall eines südamerikanischen Forschers, der bei einem Brujo in die Lehre ging, um dessen Praktiken zu entlarven. Er lernte also die "magischen" Praktiken (und Tricks wie z.B. sich mit einer Flaumfeder im Mund auf die Zunge zu beißen, um die Existenz eines mit bloßem Auge erkennbaren, blutenden Krankheitsvektors vorzutäuschen) und wurde zu seiner eigenen Überraschung mit der Zeit zum gefragtesten Brujo weit und breit und wusste am Ende selber nicht mehr, was er von den eigenen Praktiken und Fähigkeiten halten sollte. Es wäre interessant, Herrn Müller-Wohlfahrt (und seine Anhänger!) mit dieser Problematik charismatischer Begnadung zu konfrontieren.
Zur Einordnung von Müller-Wohlfahrts Kunst gehört jedenfalls auch:
1. er ist Sohn eines Pfarrers.
2. obwohl er Sohn eines Pfarrers ist, hat er keinen seelischen Knacks dadurch erlitten.
3. er ist ein frommer, demütiger, unerschütterlich gläubiger Mann.
4. er bekennt sich öffentlich zu Gott, obwohl das heutzutage Mut erfordert, insofern man sich heutzutage in Deutschland mit einem solchen Bekenntnis der Lächerlichkeit preisgibt.
Mittlerweile gibt es auch "seriöse" - will heißen immerhin überprüfbare - wissenschaftliche Veröffentlichungen, in denen zum jetzigen Wissensstand geschlossen wird, dass es eben doch physikalische Wirkungen geben muss, wenngleich man nicht in der Lage ist, ihren Mechanismus zu erklären.
Die interessanteste Untersuchung betrifft Wasserlinsen und Hefe im Doppelblindversuch mit Verdünnungen > 1 : 10 hoch 24 jenseits der Avogadrogrenze. Also bei Organismen bei denen nicht von Suggestion oder Placeboeffekt die Rede sein kann. Interessant an diesem Befund ist unter anderem, dass er den Prinzipien der traditionellen Homöopathie auf jeden Fall nicht entspricht. Denn nach diesen wäre ja bei der Anwendung hochverdünnter Wachstumshormone nicht eine wachstumsfördernde Wirkung zu erwarten, sondern eine hemmende. Der Autor der Studie meint dazu, es handele sich um Zwerglinsen, was ihn zu diesem Umkehrschluss veranlasst habe. Dass ein derartig dummes Argument zur Interpretation eines Untersuchungsergebnisses herangezogen werden kann und eine mit diesem Vorzeichen versehene „Studie“ überhaupt veröffentlicht werden kann, macht einen fassungslos... Aber wie dem auch sei: Nach der sogenannten Schulmedizin, wäre überhaupt keine Wirkung zu erwarten! Und das ist der eigentlich interessante hier vorliegende Befund.
Erst wenn andere Forscher immer wieder zum selben Ergebnis kommen, wird man aber dieses Ergebnis als aussagekräftig ansehen können. Denn erst dann können Messfehler ausgeschlossen werden. Wir wollen daher hoffen, dass bei Hefen und Linsen diese Wachstumsunterschiede tatsächlich beobachtet wurden. Dass es sich also nicht um Messfehler handelt oder um andere Ursachen, die man schlicht übersah.
Denn da es für die Hefe- und Linsenprodukton eine erhebliche Ersparnis bedeuten würde, Wachstumshormone zu verwenden, die gar nicht vorhanden sind, darf gehofft werden, dass bald ein Agrarkonzern wie Monsanto mit neuen Studien nachweisen wird, welch bahnbrechende Erkenntnis hier gemacht wurde. Solange das medizinische Kunststück nicht marktreif ist, werden sich Anhänger der Homöopathie damit abfinden müssen, dass im angeblich ultraverdünnten Wasser immer wieder einmal auch Cortison in wirksamer Konzentration gefunden wird und - ohne auf dem Etikett angegeben zu werden - so in den Apotheken verkauft wird.
Es ist also in Zeiten wirtschaftlicher Not durchaus keine rein akademische Frage, zumal ja bisher nie beeindruckende Heilungserfolge beobachtet wurden. Und es kann ja vorkommen, dass auch wissenschaftliche Koryphäen eklatante medizinische Erfolge übersehen und sogar bekämpfen, wenn diese unvereinbar mit ihren Gewissheiten zu sein scheinen. Und wenngleich die Homöopathie eigentlich lange genug existiert und ihre (Un-)Wirksamkeit mittlerweile als erwiesen gelten müsste, kommt es anscheinend immer noch zu merkwürdigen, überraschenden Ergebnissen am Rande; wenn wir auch nicht wissen, was sie bedeuten könnten.
Diese Kritik von Michael Hohner legt allerdings nahe, dass es sich bei dem hochqualifizierten Linsenzähler nur um den x-ten professionellen Scharlatan handelt. Und es gibt tatsächlich noch sehr viel kompetentere und aufsehenerregender enfants terribles als ihn!
Es gibt wirklich die merkwürdigsten Menschen, da wo man sie gar nicht erwarten würde. Zum Beispiel Kary Mullis, der gerne alles auf den Kopf stellt. Einmal dachte er sich eine abenteuerliche Geschichte aus, die die Zeitschrift Nature ohne zu zögern abdruckte, obwohl sie frei erfunden war. Als er dann tatsächlich eine Entdeckung machte, für die er später den Nobelpreis bekam, wollte sie seinen Beitrag nicht abdrucken. Seit dieser Erfahrung kritisiert er die Praxis der wissenschaftlichen Methodik mit aller Schärfe und mit guten Argumenten.
Aber leider auch mit sehr schlechten, die der Willkür Tor und Türen öffnen.
Und was soll man von Luc Montagniers bizarren Ansichten halten? Und was von Linus Paulings Vitamin-C-Wahn? Was von seiner orthomolekularen Medizin? Ein Nobelpreisträger - was sage ich! - ein doppelter Nobelpreisträger schnappte am Ende über. Und Ray Kurzweil scheint die orthomolekulare Medizin so radikal zu Ende gedacht zu haben, dass er im natürlichen menschlichen Organismus nur noch ein obsoletes Anfangsstadium oder Versuchsmodell sieht, das hoffentlich bald ersetzt wird. Es gibt zu allem eine Alternative.
Ich selber habe mich nie von einem Homöopathen behandeln lassen, denn bisher machten alle Homöopathen, die ich kennengelernt habe, auch dann, wenn sie fachlich zweifellos kompetent waren und es in meinen Augen auch gut meinten, keinen überzeugenden Eindruck auf mich. Alle wichen schon meiner ersten Frage aus, was sie im Falle einer Diphterieinfektion denn machen würden, statt Antibiotika anzuwenden. Alle reagierten zunehmend mit Irritation, je mehr Interesse ich zeigte.
Ich bin nie, nie, nie auf passionierte Entdeckerfreude oder den Wunsch, der Welt Geheimnisse zu entlocken bei diesen Leuten gestoßen, sondern immer nur auf Obskurantisten, die Geschmack am Mystifizieren hatten, mir nicht in die Augen schauen wollten und sobald sie auf einen Gleichgesinnten stießen wie in geheimem Einverständnis sofort ein verbindliches Lächeln zeigten. Selbst die Ehrlichen unter ihnen waren nicht wirklich ehrlich, denn sie belogen sich selbst. Bisher nur enttäuschend. Warum machen Menschen so etwas? Weil sie sich nach einer heilen Welt sehnen.
Es ist ein komplexes Thema. Zum Beispiel muss man sich bewusst bleiben, dass der Placebo- oder Noceboeffekt ja immer dabei ist! Er addiert sich auf jeden Fall immer hinzu. Auch Antibiotika haben außer dem bakterioziden Effekt also zusätzlich den Placeboeffekt, wenn man an ihre gute Wirkung glaubt. Oder einen Noceboeffekt, wenn man erwartet, dass sie einem schaden.
Und der Nocebo- oder Placeboeffekt ist ein genuin biochemischer Vorgang! Es ist nicht etwa nur Einbildung. Der Glaube versetzt wirklich einen Huckel oder Hügel und manchmal, je nach Veranlagung, sogar einen Berg. Man hat im Doppelblindversuch einwandfrei nachgewiesen, dass Patienten mit Zahnweh, deren Zahnweh auf Grund eines Placebos nachgelassen hatte, wieder Zahnweh bekamen, wenn ihnen ein Opiathemmer verabreicht wurde! Das ist ein wirklich unumstößlicher Beweis, dass Placebos (also purer Glaube) die Ausschüttung opiatähnlicher Substanzen bewirken können. So bewies man die Existenz der Endorphine. Es ist ein komplexes Thema. Das uns zum Thema der Glaubwürdigkeit führt.
Goethe, Mark Twain und Karl May
Natalie Grams
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