Die "Väter" des Euro haben gepennt. Einfach gepennt.
Vor dem außergewöhnlichen Gipfeltreffen der europäischen Staats- und
Regierungschefs wegen der Griechenland-Krise lohnt es sich, noch einmal
nachzulesen, was damals beschlossen wurde, als die Idee des Euro in den
90er Jahren feste Formen annahm.
Da ist zum einen die „Nichtbeistands-Klausel“, Artikel 104b im
EG-Vertrag von 1992: „Ein Mitgliedstaat haftet nicht für die
Verbindlichkeiten der Zentralregierungen, der regionalen oder lokalen
Gebietskörperschaften oder anderen öffentlich-rechtlichen
Körperschaften, sonstiger Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder
öffentlicher Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats und tritt nicht für derartige Verbindlichkeiten ein“.
Tritt nicht ein, heißt: Es wird einem Mitgliedsstaat untersagt, für die
Schulden eines anderen Mitgliedsstaates aufzukommen. Hilfspaket?
Verboten! Der Satz wurde so wie er da steht im „Lissabon-Vertrag“ 2009
übernommen, dem „Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union“.
Des Weiteren heißt es dann in Artikel 123: „Überziehungs- oder andere
Kreditfazilitäten bei der Europäischen Zentralbank oder den
Zentralbanken der Mitgliedstaaten (im Folgenden als “nationale
Zentralbanken” bezeichnet) für Organe, Einrichtungen oder sonstige
Stellen der Union, Zentralregierungen, regionale oder lokale
Gebietskörperschaften oder andere öffentlich-rechtliche Körperschaften,
sonstige Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder öffentliche
Unternehmen der Mitgliedstaaten sind ebenso verboten wie der
unmittelbare Erwerb von Schuldtiteln von diesen durch die Europäische
Zentralbank oder die nationalen Zentralbanken.“
Der Europäischen Zentralbank (EZB) ist es also ausdrücklich
untersagt, Staatsschuldpapiere von überschuldeten Ländern aufzukaufen.
Sinn der Sache ist es, die einzelnen Mitgliedsstaaten zu
Haushaltsdisziplin anzuhalten. Wofür wurden diese Klauseln beschlossen?
Ganz klar: für den Krisenfall.
Kaum aber zeigte sich die erste Krise, wurden die dafür geschaffenen
Regeln über Bord geworfen. Andere Mitgliedsstaaten treten mit hohen
Milliardenbeträgen für Griechenland ein. Und der Chef der Europäischen
Zentralbank schießt den Vogel ab, indem er massenhaft
Staatsschuldpapiere Griechenlands aufkauft. Statt deshalb umgehend
zurückzutreten, kündigt er anschließend an, diesen Ankauf zur Not in
„unbegrenzter Höhe“ weiterzutreiben. Um den Staat Griechenland zu
finanzieren – ein Sakrileg für jede unabhängige Geldpolitik.
Draghi hat sich seinen Bruch dieser zentralen Regel durch den
Europäischen Gerichtshof (EuGH) genehmigen lassen, der argumentierte,
dass sich nur so die Geldpolitik der EZB umsetzen ließe, sprich für
Stabilität des Euro zu sorgen. Ein bemerkenswerter Persilschein. Die
Fiskalpolitik, die Haushaltspolitik also als Instrument oder
verlängerter Arm der Geldpolitik. Mit dem Argument ließe sich in
beliebigem Ausmaß die Unabhängigkeit jeder Zentralbank ad acta legen,
ließe sich die Gewaltenteilung zwischen Geld- und Fiskalpolitik ad
absurdum führen. Das Modell wird bei jedem weiteren Krisenfall
irgendeines Staates Schule machen, so viel steht fest. Der EuGH hat den
Artikel 123 nicht interpretiert, er hat ihn einfach gekippt, mal eben
so, im ersten Ernstfall.
Und die Gläubigerstaaten, die nun ein Hilfspaket nach dem anderen für
Griechenland schnüren, haben die Haushalts- und Wirtschaftspolitik des
Landes in die Nähe einer Naturkatastrophe geführt, denn nur für solche
Fälle wäre es erlaubt, einem Staat finanziell unter die Arme zu greifen:
nämlich „aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen
Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht ist“.
So, eines muss jetzt an dieser Stelle klar gestellt werden: Mit dem
Zitieren der damals aufgestellten Regeln will ich nicht den Eindruck
erwecken, als wäre bei der Euro-Einführung alles wohlüberlegt und
zukunftsfähig aufs Gleis gesetzt worden, beileibe
nicht. Ganz offenbar hat man so einen Krisenfall, wie er nun seit
Jahren virulent ist, vorhergesehen, sonst hätte man solche Regeln nicht
aufgestellt. Ebenso offenbar aber hat man es unterlassen, Vorsorge zu
betreiben für den Fall, dass ein Land die Stabilitätskriterien
nachhaltig bricht und sich weigert, auf den vorgesehenen Pfad zurück zu
kehren. Voller Zuversicht hat man es einfach nicht für nötig gehalten,
dafür einen Plan B auch nur anzudenken.
Die Einführung des Euro, so wie sie beschlossen wurde, ist das größte
Armutszeugnis der Politik in Europa seit dem Krieg, und so schnell wird
man nichts finden, was die Politikverdrossenheit so stark
vorangetrieben hat wie die Euro-Krise. Die Euro-Macher, blind vor lauter
Zuversicht, haben einfach vergessen, Lösungen für den Krisenfall
einzubauen, sie haben lediglich vorgeschrieben, was verboten ist. So als
würde das Eheversprechen „bis dass der Tod euch scheidet“ ausreichen,
um das Scheidungsrecht einfach abzuschaffen. Trennung wieso? Ist nicht
vorgesehen. Noch Fragen?
Schön wenn etwas zusammenwächst, was zusammen gehört, aber auch
Trennungen müssen möglich sein, und zwar in möglichst geordneten Bahnen.
Vor allem dann, wenn eine gemeinsame Währung eingeführt wird, die
Wirtschafts- und Haushaltspolitik aber Sache jedes einzelnen Staates
bleibt, egal ob mit konservativer oder kommunistischer Führung. Wenn in
letzter Konsequenz jeder Staat mit seinem Geld machen kann, was er will,
weil eine Trennung nicht vorgesehen ist, so wie bei einem Ehepaar, das
sich nicht trennt, weil es keine zweite Wohnung gibt.
Die Turbulenzen, die bei einem Grexit jetzt befürchtet werden,
erscheinen doch nur deshalb so unermesslich, weil kein Mensch, kein
Politiker und kein Wirtschaftswissenschaftler, klar sagen kann, wie ein
solcher Schritt ablaufen würde und deshalb erst Recht nicht, welche
Folgen er haben würde. Es gibt keinen Plan. Rausschmiss? Eigene
Kündigung? Kein Ahnung, vorgesehen ist nichts. Das Wunschdenken hat
klare Überlegungen ausgeschaltet, und das bei einem Jahrhundertprojekt
wie dem Euro, man stelle sich vor. Es unfassbar, eigentlich nicht zu
glauben, dass an so etwas niemand gedacht hat, dass jeder Gedanke
letztlich zumindest unterdrückt, eingestellt wurde.
Die Väter der Gemeinschaftswährung haben gepennt, einfach gepennt, so muss man es wohl sehen.
Die Folge: Keine größere Zeitung, in der dieser Tage nicht Szenarien
für einen Grexit geschildert werden. Diametraler könnten sie nicht
auseinander fallen, jede darf sich selbst – abhängig von
Griechenlandsolidarität oder Marktbekenntnis – seine eigene Version
zurecht legen. Mag sein, dass man dadurch, dass man jeden Gedanken an
einen Austritt im Keim erstickte, Turbulenzen auf den Märkten vermeiden
wollte. Jetzt sieht man: Das genaue Gegenteil droht, und lähmt die
Akteure bis zur Untätigkeit, zwingt sie zu unsäglichen Hängepartien.
Dieses Versäumnis ist nicht nur ein Vergehen an den Gläubigern, mehr
noch an den Schuldenstaaten. Ein geordneter Rückzug, für den es feste
Regeln gegeben hätte, böte Griechenland sicher größere Überlebenschancen
als eine schreckliche Zwangsehe mit überstarken Partnern. Ein Rückzug
aus dem Euro muss keinen Rückzug aus der EU bedeuten, die sich
anschließend ungleich freier und erlöster um Solidarität, um
Entwicklungshilfe für Griechenland kümmern könnte als unter den heutigen
chaotischen Umständen. Es hat schließlich einen Grund gegeben, warum
Gemeinschaftswährungen wirtschaftspolitisch unabhängiger Staaten die
Ausnahme blieben. Die Währung ist der unerlässliche Puffer zwischen
allzu unterschiedlichen ökonomischen Strukturen. Eine Abwertung wäre für
Griechenland jetzt unerlässlich. Geht nicht.
Es hat auch ein Griechenland vor dem Euro gegeben. Und, das kann man
nicht oft genug feststellen: Rot-grün hat den Euro nicht geschaffen.
Aber die Bundesregierung hat im entscheidenden Moment dafür gesorgt,
dass Griechenland gegen die Warnung von Experten in den Euro aufgenommen
wurde. Finanzminister Eichel hat deshalb einen Direktor der Bundesbank
zusammenfalten lassen. Der Bundesbank, die eigentlich unabhängig gewesen
sein sollte – eigentlich hätte man es damals schon ahnen können. Ulli Kulke
Wir sind alle nur Menschen, und niemand ist vollkommen. Aber wie hier gepfuscht wurde, geht weit über das hinaus, was man als einfältige Fehleinschätzung entschuldigen könnte. Es ist erbärmlich, was hier die Wirtschaftsprofis eines ganzen Kontinents angerichtet haben: sowohl 1992 als man nicht richtig darüber nachgedacht hat, was der Ernstfall wirklich bedeuten würde, wie 2009, als es tatsächlich ernst wurde.
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