Dank Maurizio Bettini existiert endlich ein Institut, das sich mit der Erforschung der Antike unter anthropologischen Gesichtspunkten befasst und mit fehlerhaften Überlieferungen und Wissenschaftslegenden aufräumt. Neulich erzählte er von einem eurorasischen (oder noch weiter verbreitetem?) Mythos, der diejenigen betraf, die nicht auf natürlichem Wege geboren wurden.
Der "Kaiserschnitt" hat nämlich einen interessanten mythologischen Hintergrund. Es beginnt schon mit den Legenden, die sich um das Wort "Kaiserschnitt" ranken. Dass Caesar mit Kaiserschnitt geboren wurde und dass Caesar auf Grund einer Kaiserschnittgeburt den Namen Caesar - von caedere - erhalten habe, ist ein Gerücht, das auf eine Legende zurückgeht, die erst Servius wider besseres Wissen in die Welt setzte, um Caesar in spätantiker Zeit noch einmal als göttlich zu überhöhen: die auf unnatürliche Weise Geborenen besaßen in der Antike sakralen Rang. Dieser sakrale Rang setzte sich auch im Mittelalter in den Biographien mancher Helden und Heiligen fort.
Caesars Name geht wahrscheinlich auf einen Vorfahren mit auffallender Mähne (caesaries) zurück, und ein heute vergessener französischer Arzt des 16. Jahrhunderts war der erste Mediziner, der die Geburt, bei der der Bauch der Mutter aufgeschnitten wurde, ohne ihr Leben zu gefährden, als "infantement cesarien" bezeichnete. Die immer wieder aufgestellte Behauptung, Plinius habe den Eingriff als "sectio caesarea" bezeichnet, entspricht nicht der Wahrheit. In der Antike existierte dieser Begriff noch nicht, denn der Eingriff selbst, bei dem ein Kind durch ärztliche Kunst herausgeschnitten wird und die Mutter dennoch überlebt, existierte noch nicht. Erst der französische Arzt François Rosset führte diese Praxis erfolgreich ein.
Wohl aber wurde, seit es Schneidewerkzeuge gab, versucht, wenigstens das Leben der Leibesfrucht nach dem Versterben der Mutter zu retten, und wie bei den Römern üblich, wurde auch die Pflicht, ungeborenes Leben zu retten (spes animantis) gesetzlich festgelegt.
Das Unglück des als Halbwaise Geborenen kompensierte man, indem man seine unnatürliche Geburt verklärte und überhöhte und ihm ein besonderes Schicksal prophezeite, bzw. ihn in eine Reihe mit vermeintlich wie er geborenen außergewöhnlichen Persönlichkeiten stellte. So galten als auf diesem Wege geboren z.B. der Held Licha (in Vergils Aenaeis) und wie Licha galten alle "Herausgeschnittenen" als dem Phoebus Apollon (Gott der Heilkunst) heilig.
Inde Lichan ferit exsectum iam matre perempta
et tibi, Phoebe, sacrum: casus euadere ferri
quo licuit paruo?
Interessant ist, dass ausgerechnet Asklepios den Ruf hatte, aus dem Leib der verstorbenen Mutter geschnitten worden zu sein. Er hieß sogar Ἀσκληπιός, "der Herausgeschnittene"! Er ist sozusagen der Stammvater dieses besonderen Menschenschlags, der Apollon heilig war. Denn Asklepios war Apollons Sohn. Apollon hatte Koronis geschwängert. Ein Rabe verriet Apollo, dass die hochschwangere Koronis aber in Wirklichkeit nicht ihn, sondern einen Sterblichen liebe. Also dass er nicht nur gehörnt sei, sondern, er der solare Gott, auch noch von einem Sterblichen. Wutentbrannt tötete er Koronis. Er rettete dabei aber Asklepios (der wissenschaftliche Name der Aaskrähe - Corvus corone - erinnert an die Episode).
Dass ausgerechnet ein Heiliger, der als Beschützer der Schwangeren angerufen wurde (Raimund Nonnatus) als "Herausgeschnittener" galt, ist eine Wiederholung des Gedankens, dass der bei der Geburt dem Tode Entronnene besondere Heilkräfte, sozusagen Antikörper, besitzen muss.
Nach einer Variante der zahlreichen Überlieferungen kam auch der vitale Dionysos auf diese Weise zur Welt. Die sterbende Mutter war in diesem Fall Semele. Ähnliche Legenden umgeben Siddharta und Indra.
Maurizio Bettini über den Kaiserschnitt
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