Stationen

Samstag, 2. Januar 2016

ὄνειρος



In ihrem Gesprächsbändchen Gelassen in den Widerstand sprechen mit Martin Sellner und Walter Spatz zwei Köpfe der Identitären Bewegung über den „letzten deutschen Großdenker“, Martin Heidegger. Sie befragen den Meister aus der Gegenwart heraus zu den Themen Volk, Identität, Selbstbehauptung, Heimat – eine reichlich undogmatische Heidegger-Exegese, über die Sellner in einem Kurzinterview Auskunft gibt:

SEZESSION: Lieber Martin Sellner, in ihrem Gespräch mit dem identitären Mitstreiter Walter Spatz verknüpfen sie Heidegger und Gelassenheit mit Widerstand. Sie sind Philosoph, kennen die Bandbreite der geistigen Tradition. Ihre Denkwege führen Sie stets und ausgerechnet zu Heidegger. Wie paßt gerade Heidegger zu einem, der sich wie Sie in erster Linie als Aktivist versteht?
MARTIN SELLNER: Seit ich – politisch – denken kann, war ich auch Aktivist. Die Tat stand bei mir eigentlich vor dem Denken! Als ich mit Anfang 20 begann, mir die Gedankenwelt der Neuen Rechten zu erschließen, führte das kurzfristig zu einer gewissen Abstandnahme von der Aktion. Ich war knapp davor, den meiner Ansicht nach grundlegenden Fehler vieler Rechtsintellektueller zu begehen und Metapolitik mit reiner Theoriearbeit zu verwechseln. Es war eigentlich Heidegger, der mich kurz vor der Schwelle zum akademischen Elfenbeinturm zur Umkehr und Rückkehr auf die Straße bewegte. Er ist in meinen Augen ein absolut politischer Kopf. Heidegger ist derjenige, der einfach zu radikal und grundlegend, zu umfassend fragt, um eine „Nische“ eines apolitischen Sinnierens freizulassen.
SEZESSION: Zu welcher Art von Widerstand sehen Sie sich durch Heidegger ge- oder verleitet?
MARTIN SELLNER: Es gibt ja in Wahrheit keine unberührter Hinterwelt, keine zeitlosen unbewegten Schrein der Tradition, in den wir uns flüchten können. Alles ist im Wandel, und alles ist im freien Fall. Die ganze Welt, in der wir leben: von der Kunst, über die Religion, die Sprache, die Wissenschaft, das Menschenbild – all das befindet sich in einem grundlegenden Wandel, steht in einer großangelegten und umfassenden Attacke. Es gibt hier keine Grenzlinie, keine reine Innerlichkeit und profane Exoterik. Unser gesamtes Dasein steht in einem Austrag und einer Entscheidung. Von Heidegger in den Widerstand gerufen zu werden bedeutet, sich den vollem Umfang dieses Wandels, des Angriffs, der Gefahr und der Chance bewußt zu machen. Seine Kritik des Nietzscheanismus und des nationalistischen Tatkults gibt uns eine Gelassenheit zu den Bedingungen des Politischen. Gleichzeitig schafft die radikale Kritik Raum und eine Offenheit für ein damit erst mögliches, kommendes Geheimnis. Es heißt im Klartext, den Schritt aus dem Bannkreis der modernen Ideologien zu tun und sich kritisch und ehrlich zu einer konservativ-revolutionären Tradition, zu einem „geheimen Europa“ zu bekennen.
SEZESSION: Kleine kritische Spitze: Heideggers Widerstand richtete sich ja auch gegen den Herrschaftscharakter der Technik. Unter allen Identitären sind Sie wohl derjenige, der moderne Techniken wie Twitter am großzügigsten nutzt, und zwar im waschechten Twitter-Ton und -Modus. Ist es also so, daß sich Widerstand im Widerspruch zu Heidegger der Technik bedienen muß?
MARTIN SELLNER: Ja, ich muß das wohl zugeben. Meine Feldforschung im digitalen Dschungel der Postmoderne, die ich anfangs noch rein pragmatisch-propagandistisch rechtfertigte, hat ihre Spuren hinterlassen. Der Abgrund, in den ich gestarrt habe, hat sich in mir aufgetan und will täglich mit feeds und tweets gefüttert werden…! Teilweise sehe ich das auch als notwendige Folge jedes kontemporären Aktivismus. Er muß in der Zeit stehen. Ich muß jetzt aber, falls nun einige Leser meinen Twitter-Kanal besichtigen, klarstellen, daß das alles, diese spontanen Kurzmeldungen gleichsam aus der Hüfte, natürlich ironisch gebrochen sind. Ein Dasein ohne Ironie ist in dieser Zeit sowieso ein langfristig unmögliches Projekt.
Die Figur des eisernen „Politischen Soldaten“ taugt, wie Dugin sagt, nur mehr für die Freakshow und das Kabarett. Es ist ein Simulacrum. Wir sind alle beschädigt und „bloomifiziert“. Auch und gerade im Versuch des Entzugs und „Ausstiegs“. Ich versuche aber stets nicht „postmodern zu denken“ sondern „die Postmoderne zu denken“, wie Timo Kölling schreibt. Damit wird die Aussetzung und Transformation zur Inflitration. Womöglich! Abgesehen davon machen mir Twitter und Youtube auch Spaß und bringen mittelfristig einigen politischen Mehrwert. Nicht wenige Aktivisten sind wegen meiner Vlogs zur Identitären Bewegung gestoßen. Ich werde relativ oft mit solchen Spitzen konfrontiert und begegne ihnen ebenso gelassen wie ich mich auf den ganze Kram einlasse. Genau das, und keine romantische Stadtflucht hat uns auch Heidegger anempfohlen.
SEZESSION: Zur Gelassenheit: Inwiefern könnten wir gelassen sein? Ein absoluter Bestseller des Vorjahres, geschrieben vom Trendphilosophen Wilhelm Schmid hatte „Gelassenheit“ als Titel. An den immensen Verkaufszahlen wurde deutlich, daß die Leute sehr wohl nach „Gelassenheit“ suchen. Gemeint waren die kleinen Freuden des höheren Alters. Sie streben wohl nicht im Ernst vorzeitig danach?

MARTIN SELLNER: Nein, nein! Die Pension kann warten. Zwar entspricht mein Alter bald nicht mehr der Rolle als Berufsjugendlicher, in die man als Aktivist zwangsweise gedrängt wird, aber diese sedierte Art von „Gelassenheit“ wird mir ewig fremd bleiben. Sie hat auch gar nichts mit dem Alter zu tun, wie uns nicht zuletzt Dominique Venner gezeigt hat. Viele jungen Leute heute sind geistig bereits völlig vergreist und weisen Anzeichen einer senilen Feigheit auf. Gelassenheit ist, wie jeder Begriff bei Heidegger, nicht nur Bezeichnung für eine Stimmung, sondern auch ontologisch zu verstehen. Sie steht im Zusammenhang zum Sein-lassen. Das meint das sich Einlassen auf die Phänomene und die Dinge in ihrer Offenbarkeit und ihrem Eigenrecht. Es ist eine „epistemologische“ Haltung, die mit dem Willenswahn des modernen Menschen bricht. Es ist eine Haltung, in der die nihilistische Grundstimmung der Langeweile wieder den Weg zum Staunen des ersten Anfangs des Denkens findet. Gelassenheit ist für mich die Überwindung eines nietzscheanischen Tatkults, der in sich modernistisch und nihilistisch ist. Das bedeutet aber keine Passivität, sondern eine Sammlung, vielleicht ein „Zurückweichen“ um besser springen zu können…
Die Nachkriegsjahre waren vielleicht notwendig eine Zeit der Sammlung, des geistigen Überwinterns und der inneren Disziplin gegen die scheinbare heile Wirtschaftswunderwelt. Die heutige Krise erfordert von uns – aus der Höhe der Gelassenheit – die rückgebundene Mobilmachung und überlegte Tat. Das bedeutet einerseits, sich nicht in den Wahn einer politischen Religion reißen zu lassen, wie das mit weiten Teile der Rechten im 20. Jahrhundert geschah und andererseits abseits von planlosen „Aktivisteln“ zu einer einheitlichen Linie zu gelangen.
SEZESSION: Der Heideggerforscher Peter Trawny wird von Spatz und Ihnen einige Male (und affirmativ) zitiert. Trawny ist unlängst in der Zeitschrift TUMULT. Vierteljahresschrift für Konsensstörung reichlich unwirsch mit Siegfried Gerlich ins Gericht gegangen. Gerlich, mit Sicherheit ein kultivierter Schön- und Feingeist hatte in der vorigen TUMULT- Ausgabe einen klugen Aufsatz über „Martin Heidegger und den Aufgang des Abendlandes“ verfaßt. Trawny distanziert sich aus „weltanschaulichen Gründen“ harsch von Gerlich. Summa summarum wirft Trawny Gerlich vor, Heideggers Antisemitismus zu marginalisieren. Gretchenfrage: Wie haltens Sie’s mit Trawny und dem Heideggerschen Antisemitismus?
MARTIN SELLNER: Ich schätze Trawny eigentlich auch trotz seiner fragwürdigen Kommentierung der Schwarzen Hefte. Ich habe auch seinen Vorwurf des „seinsgeschichtlichen Antisemitismus“, also einer tief in Heideggers Philosophie hineinreichenden Judenfeinschaft sehr ernst und sehr persönlich genommen und dem Thema eine ganze Arbeit gewidmet. In Trawny sehe ich den typischen, innerlich zerrissenen Menschen der Postmoderne, der sich gewisse Sehnsüchte nicht eingestehen will, ja vor ihnen regelrecht Angst hat. Was zog und zieht ihn ständig zu Heidegger und Ernst Jünger, über den er auch ein interessantes Buch geschrieben hat? In seinem Essay der Irrnisfuge beklagt er ehrlich das Ende der „Tragödie des Seins“, indem „jede leidenschaftliche Sehnsucht in intellektuelle und physische Masturbation“ verebbt.
Nun macht er sich aber leider selbst zum Teil dieses Betriebs. Er schreibt das, was er schreiben muß und gibt vor, das aus vollem Herzen zu wollen. Das kaufe ich ihm nicht ganz ab. Er erscheint mir wie zerrissen in einer widersprüchlichen Rolle, der einen schmalen Grat einer akademischen Heideggerrezeption verteidigen will, den es so nie gab und geben kann. Heidegger war immer schon ein Schicksal. Er „gehört“ niemandem, sondern spricht zu allen.
SEZESSION: Und derzeit spricht er vor allem zu – uns?
SELLNER: Ja. Mit Dugin glaube ich, daß er vor allem zu uns, zu der letzten echten Opposition spricht, die in die dunklen Katakomben dieser bunten Republik gedrängt wurde, in der sie auch alle unbequemen Wahrheiten verdrängt hat, die nun uns zufallen. In diesem „Dunkel“ jenseits aller Politischen Korrektheit und Unipolitischen Intrigen befindet sich auch der letzte freie Denkraum der Bundesrepublik. Mit der Aufhebung der Staatsgrenzen hat das Merkel-System auch einen tiefenpsychologischen Vertrauensbruch begangen, der seinen cordon sanitaire um dieses „rechte Lager“ nachhaltig beschädigt hat. Eine Strömen nach Innen und ein Strahlen nach Außen hat begonnen. Auf einmal erscheint Schnellroda als geheimnisvolles Wetterzentrum des konservativen Lagers auf der Bühne und im Bewußtsein des Mainstreams. Der geistigen Freiheit und dem Hunger nach Anerkennung, in der sich in unserem „Lager“ gesammelt hat, haben die überfetteten, verknöcherten Bildungseliten auf Dauer nichts entgegenzusetzen als peinlich-panische Warnschreie.
Zur Sache selbst, zu Heidegger und der „Judenfrage“, will ich hier nur wenig sagen, da die Frage selbst zu komplex ist. Eine „Personalisierung“ seinsgeschichtlicher Aspekte sowohl im Judentum als auch im Deutschtum ist Heidegger zumindest vor der „Kehre“ durchaus eigen und hängt mit der transzendental-horizontalen Verfasstheit des Denkens zusammen. Die volle Entfaltung seiner Philosophie ist jedoch die Antithese zu jedem Erlösungs-Nationalismus einerseits und genozidalen Sündenbockdenken andereseits. Das seinsgeschichtliche Ereignisdenken läßt jede Ideologie hinter sich. Es läßt uns damit der Rollen sowohl der Deutschen als auch der Juden im Verhängniszusammenhang des 20. Jahrhunderts gewahr werden. Das zu denken ist jedoch ein Wagnis, das für weite Teile der „alten Rechten“ schmerzhaft, für das von Denkgeboten und -verboten umstellte Establishment schlichtweg unmöglich ist.
SEZESSION: Danke für das Gespräch! (es wurde von Ellen Kositza geführt)

Zum Gespräch von Walter Spatz und Martin Sellner geht es hier.


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