Der Terror ist auch in Europa mit voller Wucht angekommen und die
Regierungen erscheinen dagegen hilflos. In seinem soeben erschienenen
Buch „Wir Weicheier – Warum wir uns nicht mehr wehren können und was
dagegen zu tun ist“ geht der renommierte Militärhistoriker Martin van
Creveld, emeritierter Professor für Geschichte an der Hebräischen
Universität Jerusalem, der Frage nach, ob sich Europa heute überhaupt
noch politisch und militärisch verteidigen könnte. Er äußerst sich dazu
skeptisch und bezieht die ganze westliche Welt in seine Analyse ein. Das
Interview führte Bernd Kallina.
PAZ: In Ihrem jüngsten Buch
befassen Sie sich kritisch mit gesellschaftlichen Fehlentwicklungen
westlicher Demokratien. Verstehen Sie es als Warnruf, den Ernst der
Stunde endlich zu begreifen?
Martin van Creveld: Ja, eindeutig. Um
eine der Kapitelüberschriften in meinem Buch zu zitieren: „Hannibal
intra portas“. Entweder der Westen legt seine Schwäche ab und lernt
wieder zu kämpfen, oder er ist dem Untergang geweiht.
PAZ: Ihr Vorwurf lautet: „Weicheier“! Wen meinen Sie damit genau, welchen Defizit-Typus haben Sie im Auge?
Creveld:
Alle Bereiche der Gesellschaft sind mit schuld. Eltern, die zu alt, zu
sicherheitsorientiert sind und oft auch zu hohe Anforderungen an die
Kinder stellen; Streitkräfte, die von einer ekelerregenden Mischung aus
Bürokratie, Regelungswut und „political correctness“ geplagt werden;
Soldatinnen, die in Wirklichkeit nur halbe Soldaten sind und den
Streitkräften viel mehr Probleme als Nutzen bringen; die weit
verbreitete Akzeptanz des Gedankens, dass der Krieg notwendigerweise zu
posttraumatischen Belastungsstörungen führt und es für einen Soldaten
nicht nur „in Ordnung“, sondern beinahe geboten ist, daran zu erkranken;
und der unaufhaltsame Aufstieg der Rechte zulasten der Pflichten.
Suchen Sie sich’s aus.
PAZ: Der islamistische Terror ist
unübersehbar in Europa angekommen und überfordert die klassischen Armeen
bei der Abwehr. Weshalb?
Creveld: Weil sie sich jahrzehntelang
darauf vorbereitet haben, gegeneinander anstatt gegen anders geartete
Organisationen zu kämpfen.
PAZ: Wenn die klassischen Armeen bei der Abwehr asymmetrischer Partisanenangriffe versagen, was hilft dann?
Creveld:
Lassen Sie mich diese Frage im Lichte des britischen Erfolgs in
Nordirland beantworten. Drei Dinge sind notwendig: Erstens ein starker
politischer Wille, der aber den meisten westlichen Ländern zu fehlen
scheint. Zweitens eine sehr gute Ausbildung, Disziplin, Professionalität
und Korpsgeist. Drittens die Fähigkeit zum Maßhalten, damit man sich
die Bevölkerung nicht noch mehr entfremdet als unbedingt notwendig. Auch
wenn es Tote kostet, so wie in Nordirland, wo weit mehr Soldaten als
Terroristen starben.
PAZ: In Ihrer Schwächeanalyse bei fast
allen westlichen Armeen – Sie führen als Paradebeispiel ja die
„US-Streitkräfte“ an – verweisen Sie vor allem auf eine dort zu
beobachtende Femininisierung. Warum stören Soldatinnen die Kampfkraft
einer Armee?
Creveld: Es gibt vier Hauptprobleme: Erstens behaupten
die Frauen, dass sie zu den gleichen Bedingungen wie männliche Soldaten
zum Heer wollen. Sind sie erst einmal aufgenommen, verlangen sie
unweigerlich alle möglichen Privilegien – und bekommen sie auch,
angefangen von den Vorrechten rund um Schwangerschaft, Geburt und
Mutterschaft über eine weniger fordernde Ausbildung bis hin zum
leichteren Zugang zum Offiziersrang. Das Ergebnis sind Hass und Neid bei
den männlichen Soldaten und periodisch wiederkehrende „Skandale“ wie
jener, der vor Kurzem die Gebirgsjäger der Bundeswehr erschüttert hat.
PAZ: Das war Punkt eins, und die weiteren Hauptprobleme?
Creveld:
Zweitens ist die Situation entstanden, dass männliche Soldaten sich vor
dem unberechtigten Vorwurf der sexuellen Belästigung mehr fürchten als
vor dem Feind. Und mit sehr gutem Grund: Die US-Streitkräfte haben
derzeit mehr „sexual assault response coordinators“ als
Musterungsoffiziere. Drittens: Wenn es Frauen bei den Streitkräften
gibt, dann fällt einer der Hauptgründe weg, warum ein Mann Soldat wird
und kämpft – der Wunsch, sich als Mann zu bewähren. Dann sagen Männer
ganz zu Recht: Wenn eine Frau das auch kann, warum sollte ich das
machen? Und schließlich gilt für die Streitkräfte aller westlichen
Länder: Jeder, der es wagt, auch nur im Flüsterton über diese und
ähnliche Probleme zu sprechen, wird unverzüglich und hart bestraft.
Daher sind diese Streitkräfte auf einer Lüge aufgebaut. Und ein Haus,
das auf einer Lüge aufgebaut ist, hat keinen Bestand.
PAZ: Nicht nur
die Feminisierung der Armee ruft Ihre Kritik hervor, generell wenden Sie
sich gegen einen Erziehungsstil des „Überbehütens“. Woran machen Sie
diese Entwicklung beispielhaft fest und welche negativen Auswirkungen
zeitigt ein solcher Stil?
Creveld: Das, was Sie „Überbehüten“ nennen,
ist sehr leicht nachzuweisen. Sogar ein quantitativer Nachweis ist
möglich. Der Prozentsatz der Kinder, die zu Fuß oder mit dem Fahrrad in
die Schule kommen und nicht mit dem Schulbus oder mit dem Auto
hingefahren werden, sinkt. Die durchschnittliche Strecke, die sich
unsere Kinder ohne erwachsene Begleitung von zu Hause entfernen dürfen,
wird immer kürzer. Das Durchschnittsalter, in dem junge Menschen die
Schule oder die Universität verlassen und den Schritt ins „wirkliche
Leben“ tun, nimmt hingegen zu. Das Alter, in dem sie berufstätig werden,
heiraten und Kinder bekommen, nimmt ebenfalls zu. Das Ergebnis ist eine
Gesellschaft, deren Mitglieder nicht fähig und oft nicht willens sind,
sich zu verteidigen.
PAZ: Wäre denn eine Form von „anarchischer Härte“ als pädagogische Prämisse sinnvoller?
Creveld:
Der Gedanke ist mir noch nie gekommen. Aber „anarchische Härte“ ist
eine ziemlich treffende Beschreibung für die Art und Weise, wie junge
Israelis etwa zwischen 1948 und 1982 aufgewachsen sind – also genau in
der Zeit, als die israelischen Streitkräfte wegen ihrer Tapferkeit
bewundert wurden und als die beste Armee der Welt galten.
PAZ:
Die Bundeskanzlerin hat im Herbst 2015 die Einfallstore für illegale
Masseneinwanderung geöffnet, was zu großen gesellschaftlichen
Verwerfungen führte. Wie bewerten Sie diese Art von „Willkommenskultur“
unter Sicherheitsgesichtspunkten?
Creveld: Ich mag Frau Merkel. Aber
ich glaube, sie hat einen sehr, sehr schweren Fehler begangen, für den
Deutschland teuer bezahlt und in Zukunft noch teurer bezahlen wird.
PAZ:
Sie leben in Israel und damit in einem Staat, der fast täglich mit
Terroranschlägen zu kämpfen hat. Was kann Europa in dieser Beziehung von
Israel lernen?
Creveld: Alles. Israelische Sicherheitsexperten sind
auf der ganzen Welt tätig, auch in einigen arabischen Ländern, wo sie
die entsprechende Ausrüstung installieren und als Ausbildner tätig sind.
In ihrer jahrzehntelangen Erfahrung mit dem Terrorismus haben sie
gelernt, mit diesen Problemen umzugehen. Auch von der israelischen
Bevölkerung lässt sich lernen, mit diesen Dingen zu leben und mit ihnen
fertig zu werden.
PAZ: Sind die vom „Weichei-Establishment“ so
geschmähten „populistischen Bewegungen“ in Europa ein Hoffnungsschimmer
in Richtung Realismus?
Creveld: Meiner Meinung nach ja. Obwohl es mir persönlich gar nicht recht wäre, wenn die EU zerfällt.
PAZ:
In den USA agiert seit Jahresbeginn der neue US-Präsident Donald Trump,
der als Gegenpol zum alten Establishment gilt. Erwarten Sie von ihm
positive Impulse?
Creveld: Ich habe Trump unterstützt. Ich hatte die
Hoffnung, dass er der von Hillary Clinton symbolisierten „political
correctness“, die uns alle zu Idioten macht, ein Ende setzen würde. Nach
zwei Monaten Präsidentschaft kommt es mir allerdings so vor, als wenn
der Mann selbst ein Idiot ist, und zwar nicht nur im Hinblick auf die
Sicherheitspolitik. Alles, was er anfasst, endet in einer Katastrophe.
Wenn es so weitergeht, werden die meisten Menschen bald gar nichts mehr
von ihm erwarten – außer vielleicht seinen Rücktritt. PAZ
Hannibal intra portas?? Creveld variiert den bekannten Slogan "Hannibal ante portas", um zu veranschaulichen, wie ernst die Lage ist. Aber "intra portas" ergibt keinen Sinn. Wenn schon, dann "intra moenia" (aber wir haben ja per Merkeldekret keine moenia mehr) oder "post portas" oder "ultra portas" oder "trans portas" oder "uls portas". Siehe auch...
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