Mittwoch, 26. April 2017
Halunken und Historie
Mein Text über die Heldenstadt Köln (Actum diurnum vom 20. April) ist von Facebook entfernt worden. Viel zu spät übrigens, er wurde zuvor fast 1000mal geteilt, das dauert zu lange, da hat unser Heiko Maas – er lebe hoch! Hoch! Hoch! – schon recht. Leider wurden auch die angehängten Kommentare der zahlreichen engagierten Antifaschisten und Besserkölner gelöscht, wofür ich nichts kann, aber ohne die Basis-Sottise hingen sie denn doch wohl etwas in der Luft. Sie werden sich denken können, geneigte Besucher meines Eckladens, dass ich mich dort etwas deplaciert empfinde, und zwar keineswegs, weil einem bisweilen der blanke Hass entgegenschlägt – wüsste ich ein Mittel, wie ich reinen Herzens alle Welt gegen mich aufbrächte, ich gäbe eine Flasche Caol Illa 1983 Natural Cask Strength dafür –, sondern weil ich nicht dauernd bei Null anfangen mag und mir für Belehrungen welcher Art auch immer der pädagogische Eros fehlt. Aber natürlich wollte ich, kindisch bis ans Ende meiner Tage, mit dem in Rede stehenden Text beleidigen und treffen.
Bei dieser Gelegenheit fällt mir auf, wie leicht, ein geringes schreiberisches Talent vorausgesetzt, sich die Facebook-Löschmotorik umgehen lässt – und da jede Art von Regel besser ist als gar keine, könnten sogar diese Zensurautomatismen eine sittenveredelnde Wirkung zeitigen. Reizwörter wie "Nafri" kann man umgehen, indem man beispielsweise schreibt: "das menschliche Gold aus den Schiffen". Das plebejisch anmutende "Weibern an die Wäsche gehen" würde zensursicher im Bernstein der Formulierung: "an den Paradiesespforten der schon länger hier lebenden Mitbürgerinnen den Willkommensdank abstatten" oder "mit juvenilem Ungestüm die von Katrin Göring-Eckardt angekündigte Schenkungssteuer eintreiben". Und so weiter. Allez!
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Dennoch: „Wie konnte man sich über jemanden empören, der, unfehlbar, würde sterben müssen?“ (Giuseppe Tomasi di Lampedusa)
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Ist eigentlich irgendwem aufgefallen, dass die AfD, nachdem sie schon ihren Stuttgarter Parteitag auf den 1. Mai ansetzte, sich nunmehr an Lenins Geburtstag versammelte? Das kann doch nur eine Provokation sein!
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Das älteste Volk der Welt sind – die Kopten. Sie dürfen als die direkten Nachfahren der Pharaonen gelten, als die eigentlichen Ägypter. Ihr Name und Copyright leitet sich ab vom griechischen Αἰγύπτιοι (Aigyptioi). Das Koptische bildet nicht nur eine Brücke zur Sprache des antiken Wunderlandes am Nil, sondern, wie mich vor vielen Jahren ein Ägyptologe belehrte, Koptisch ist Altägyptisch. Es wird nur nicht mehr mit Hieroglyphen geschrieben; während der Hellenisierung ihres Landes unter den Ptolemäern in den drei vorchristlichen Jahrhunderten übernahmen die Ägypter die griechische Schrift. Nur jene sieben Laute, für die sich im Griechischen keinen Buchstaben fanden, wurden behalten. Es ist ungefähr so, als wenn man deutsch mit kyrillischen Buchstaben schriebe, diese aber um das C, H, Q, X und Z ergänzte.
Als die Araber in den Jahren nach 640 in Ägypten eindrangen, wurde das Land islamisch und die koptischen Ureinwohner (die längst christianisiert waren) immer mehr zur Minderheit. Auch dafür böte sich eine Analogie an, etwa wenn Frankreich durch Einwanderer in 100 Jahren ein islamisches Land geworden wäre, aber immer noch Frankreich hieße. Mit den Bauten der Pharaonen hatten die neuen Herrscher nichts zu schaffen, so wenig wie sich der durchschnittliche arabischstämmige Franzose für die Opéra national de Paris, Notre-Dame oder den Louvre interessiert. Sie gehörten nicht in ihre Tradition, man ließ sie verfallen, nutzte sie als Steinbrüche etc. Hätte es damals bereits die Taliban gegeben, außer den Pyramiden wäre wohl wenig vom alten Ägypten übriggeblieben, aber vielleicht haben auch die schiere Monumentalität der architektonischen und bildhauerischen Hinterlassenschaften, die Härte des Materials und die Unlust der neuen "Ägypter" zur körperlichen Betätigung Schlimmeres verhindert. Außerdem waren damals weder schwere Technik noch Sprengstoff vorhanden, worauf moderne Gottesbarbaren ja zurückgreifen, wenn sie heidnische Kultstätten demolieren. (Das ist übrigens keine "Islamkritik", die Europäer gingen mit den Resten der Antike jahrhundertelang nicht anders um, und auch für die christianisierten Kopten waren die Zeugnisse der altägyptischen Religion kaum mehr als heidnisches Großgerümpel.)
Die ägyptischen Christen haben fast anderthalbtausend Jahre erfahren, wie es sich als religiöse Minderheit in einem islamischen Land lebt, sie erleiden gerade heute wieder Terror und Verfolgung, und doch haben sie eine bewundernswerte Zähigkeit und einen unbeugsamen Überlebenswillen bewiesen, und mit einer gewissen Genugtuung liest man in den Meldungen, dass sich die Kopten offenbar auch handfest zu wehren verstehen. Ein befreundeter Schriftsteller, der an einem Buch über die 21 koptischen Märtyrer arbeitet, die vom IS am Mittelmeerstrand von Libyen abgeschlachtet wurden, und dafür lange in Ägypten recherchierte, berichtet von einer unglaublichen Aufbruchsstimmung unter den Kopten, vom Wachstum der Christengemeinden, von neu errichteten Kirchen, von Kinderscharen und Taufen, von Optimismus, Stolz, Glaubensernst und Zukunftsgewissheit. Wenn das mitten im Orient möglich ist, warum dann eigentlich nicht hierzulande?
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Einige Leser dieses Diariums haben meine rhetorische Frage, aus welchem Erdteil jene antiken Texte kamen, welche die lichte arabische Welt durch das finstere europäische Mittelalter gerettet habe, zum Anlass genommen, mir zu schreiben. Stellvertretend sei hier Leser *** zitiert:
"Die meisten islamischen Intellektuellen, oder wie immer man die größeren Geister bezeichnen möchte, waren Perser oder später Türken, welche bis heute auf den Araber als Fellachen herunterschauen. Von allen türkischen Sultanen, die sich offiziell als sunnitische Nachfolger der Kaliphen betrachten dürfen, das Kaliphat von Bagdad wurde ja 1258 von den Mongolen zerstört, sind nur ganze zwei nach Mekka gepilgert, um die heilige Hadsch anzutreten. Soviel zur türkischen Frömmigkeit vor Atatürk.
Durch die Übersetzerschulen, vor allem in Toledo und Cordoba, wurde vorwiegend das Werk des Aristoteles erschlossen und dann von Albert und Thomas kanonisiert, stark geprägt von den Kommentaren des Ibn Rushd (Averrhoes). Platons Schriften, mit Ausnahme des Timaios, der seit der Spätantike bis ins Früh- und Hochmittelalter bekannt war, wurden mit vielen weiteren antiken Autoren erst in der italienischen Renaissance wieder entdeckt und übersetzt, bzw. viele begannen nun das Studium des Griechischen, alles durch Vermittlung von Byzanz, mit Höhepunkt 1453, als Byzanz von den Türken eingenommen wurde, und die letzten Gelehrten mit ihren Büchern nach Italien flohen. Byzanz war also für die Vermittlung der antiken Schriften viel wichtiger als die ‚Araber’".
Nicht nur Byzanz. Auch zahlreiche Mönche in den europäischen Klostern. Auch Friedrich II., der Staufer, der an seinem Hofe eine Art Gelehrtenrepublik versammelte, Juden, Araber, Deutsche, Italiener, Engländer, und 1224 in Neapel die erste nichtkirchliche Universität in Europa gründete. Dank Friedrich wurden zahlreiche Übersetzungen antiker Autoren angefertigt; umgekehrt kamen mit seinem Segen auch Werke arabischer Gelehrter nach Europa.
Aber um solche Details ging es mir gar nicht. Ich wollte nur die Beschwärmer maurischer Generalaufgeklärtheit mit einer knappen Bemerkung von ihren fliegenden Teppichen auf den Boden zurückholen.
PS: Mir schwante schon, dass ich mit dem Thema ein Fass aufmachen würde.
Leser *** widerspricht seinem Vorredner zur Vermittlerrolle von Byzanz und schreibt: "Besser argumentiert der französische Mittelalterforscher Sylvain Gouguenheim, der die These vertritt, byzantinische Christen hätten ab dem 12./13. Jahrhundert dem christlichen Mitteleuropa auf die Beine geholfen, es sei also ein innerchristlicher Prozess der Kulturvermittlung abgelaufen, keine griechisch-arabisch-lateinische Interaktion, sondern eine christliche Bewegung, gespeist aus einem Literaturstrom zwischen dem christlichen Byzanz und dem christlichen Westen. Arabische Übersetzungen seien lediglich Ergänzungen zu den bereits vorhandenen griechisch-lateinischen Übersetzungen gewesen. Der eigentliche Transfer sei also von 'Christ' (Byzanz) zu 'Christ' (Italien) erfolgt.
Diese in der Forschung als Minderheitenmeinung bewertete Interpretation, die sichtbar das Ziel verfolgt, den arabischen Beitrag zur abendländischen Kultur kleinzureden, korrespondiert weder mit den Ereignissen vom April 1182, als die Byzantiner unter den 'Lateinern' der Stadt ein furchtbares Massaker anrichten, bei dem an die 30.000 Menschen niedergemetzelt und über 4.000 versklavt werden, noch mit den Grausamkeiten des 4. Kreuzzuges (1202-1204), in dessen Verlauf Byzanz von den 'Lateinern' hemmungslos ausgeplündert wird. Bereits das Schisma im 11. Jahrhundert mit wechselweiser Exkommunikation und Verdammung dürfte das Klima zwischen Ost und West, Byzantinern und 'Lateinern', auf einen frostigen Tiefpunkt gebracht haben, so dass die Byzantiner kaum einen Anlass gesehen haben dürften, den lateinischen Christen bei der Suche nach kostbaren antiken Texten zu helfen.
Außerdem wäre zu bedenken, dass griechische Handschriften aus Byzanz in Mitteleuropa schon alleine deshalb auf wenig Interesse stoßen, weil Griechisch im lateinischsprachigen Mitteleuropa praktisch nicht gesprochen wird und die Juden, ein wichtiger Träger der Übersetzungen im arabischen Großreich, in Mitteleuropa verfemt sind, so dass sich der Textaustausch zwischen Byzanz und Mitteleuropa auf Einzeltexte beschränkt haben dürfte.
Angesichts der Schwächen des lateinischsprachigen Mittelalters im Umgang mit griechischer Literatur und im Bemühen, analog zur Übersetzung der „Heiligen“ Schriften möglichst wortnahe zu übersetzen, sind die griechisch-lateinischen Übersetzungen häufig undeutlich und mystisch. Die arabisch-lateinischen Übersetzungen orientieren sich dagegen stärker am Inhalt, entfernen sich also vom Original. (...)
Die meisten Forscher sind der Auffassung, dass arabische Texte nicht nur häufig sorgfältiger kopiert, sondern auch in der Kommentierung und Zusammenschau vieler, auch nicht-griechischer Quellen dem byzantinischen Bücherbestand überlegen sind. Letzterer wird nach Auffassung des britischen Historikers Edward Gibbon ohnehin nur noch 'von matten Seelen, unfähig zum Denken und Handeln in leblosen Händen' gehalten."
Ich sehe übrigens keinen Widerspruch darin, dass sich West- und Ostchristen an die Kehle gehen, während gleichzeitig ein paar bildungsfromme Gelehrte über die Fronten hinweg ihr Wissen austauschen; so lief und läuft es gottlob immer und hoffentlich auch fürderhin. Doch das nur beiseite gesprochen; ich besitze zur Klärung dieser Fragen nicht die nötigen Kenntnisse.
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Warum wurde der 500-Euro-Schein abgeschafft? Der Ökonom Hans-Werner Sinn hat dafür eine verblüffende Erklärung. Da es die EZB längst nicht mehr nur bei den Nullzinsen belasse, sondern für Banken, die Geld bei ihr anlegen, einen Negativzins von -0,4% ansetze, behielten diese lieber ihr Bargeld "in der Tasche", stünden allerdings vor dem Problem, wohin damit.
Für ihre Bargeldmengen benötigten die Banken riesige Tresore. Sie horteten ihr Vermögen in Bergwerksstollen, vor allem in der Schweiz, weil das billiger sei, als Negativzinsen zu zahlen. Die Tresorkosten markierten "die Untergrenze für den Negativzins in einer Marktwirtschaft". Aber die EZB sei nicht dumm und habe reagiert, indem sie die Tresorkosten vergrößerte. Die Abschaffung der 500-Euro-Scheine bedeute 2,5mal so hohe Tresorkosten.
Sinn: "Der Öffentlichkeit wird gesagt, es ginge um ein Programm zur Bekämpfung der Kleinkriminalität. Ich sage Ihnen: Das hat mit Kleinkriminalität nicht viel zu tun." (Der auch sonst überaus hörenswerte Vortrag hier.)
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Dass es in der Geschichte der Deutschen keinen wirklich grausamen Herrscher gab, mag viel dazu beigetragen haben, dass sie auf den einen so hereingefallen sind und danach einen ganz besonderen Eifer entwickelten, diesen einen als völlig einzigartigen Schurken darzustellen.
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Wir hatten lange keine Staliniade mehr im Angebot:
Einer der letzten Aufsätze, die Stalin schrieb beziehungsweise sich schreiben ließ, war "Marxismus und Fragen der Sprachwissenschaft". Das Akademiemitglied Winogradow, Verfasser des Urtextes, las eine vom вождь überarbeitete Kurzversion in der Prawda und erschrak zutiefst. Dort stand, dass sich die russische Sprache aus dem Kursk-Orjolschen Dialekt und nicht aus dem Kursk-Moskauer Dialekt – wie er korrekt geschrieben hatte – entwickelt habe. Winogradow rief in Stalins Sekretariat an und erklärte den Irrtum. Der Sekretär blieb völlig gelassen und sagte: "Wenn Genosse Stalin meint, dass es so war, dann wird sich die russische Sprache ab jetzt aus dem Kursk-Orjolschen Dialekt entwickelt haben." MK am 25. 4. 2017
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