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Sonntag, 11. Juni 2017

In tiefem Choma

Er spielte eine Schlüsselrolle in der Visa-Affäre, die den damaligen Bundesaußenminister Joschka Fischer 2005 vor einen Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages brachte. Dabei ging es um den berüchtigten Volmer-Fischer-Erlass, der kriminellen Schlepperbanden aus Osteuropa Tür und Tor nach Deutschland und in den EU-Bereich öffnete. Die Rede ist von Oberstaatsanwalt Egbert Bülles aus Köln, der als Chef einer Ermittlungskommission den Fall ins Rollen brachte. Der inzwischen pensionierte Rheinländer ist Autor des Buches „Verbrecherland Deutschland“. Er warnt eindringlich vor den massiven Gefahren der Organisierten Kriminalität (OK). Das Interview führte Bernd Kallina.

PAZ: In früheren Jahren waren Sie voller Optimismus, dass der Rechtsstaat im Kampf gegen die OK letztlich die Oberhand behalten würde. Nach jahrzehntelanger Berufserfahrung überwiegt bei Ihnen heute begründete Skepsis. Gibt es einen auslösenden Faktor, der bei Ihnen eine Umkehr der Lageeinschätzung auslöste?
Egbert Bülles: Ja, meine erhebliche Skepsis begann im Jahre 2005, als die EU-Ost-Erweiterung zur Aufnahme von Rumänien und Bulgarien führte. Mir war schnell klar, dass dadurch eine Welle von potenziellen Straftätern auf uns zukommen würde. Man hat ja seitens der EU freie Fahrt für Waren und Personen ermöglicht, aber die Strafverfolgungsbehörden sind trotz eindringlicher Warnungen nicht verstärkt worden. Alle Hinweise der Justiz und Polizei über OK-Syndikate und Clans in diesen Ländern wurden von der Politik nicht ernst genommen. Dass in den neuen EU-Ländern weite Teile der Gesellschaft als mafiös beherrscht galten, wurde völlig ausgeblendet. Negiert wurde weiter, dass in Rumänien durch den Sturz der kommunistischen Diktatur Teile des früheren Geheimdienstes sich der OK zugewandt hatten. Im Hinblick auf die große europäische Idee sprach man in Berlin lapidar von hinnehmbaren Kollateralschäden. Die dann schnell auftretenden erheblichen Probleme wurden auf die Bundesländer und die Kommunen abgewälzt.

PAZ: Ihre öffentlichen Warnungen vor diesen und ähnlichen Gefahren lösten in Ihrem dienstlichen Umfeld wenig Begeisterung aus. Zwar widersprach Ihnen in der Sache niemand, aber wirkungsvolle Unterstützung bekamen Sie auch nicht, oder?
Bülles: Unterstützung (lacht), nein, die gab es nicht, im Gegenteil. Als sich herumsprach, dass ich am Buch „Deutschland Verbrecherland?“ arbeitete, wurden einige im Kölner Justizzentrum zunehmend nervös. Anfangs versuchte man, mich mit netten Worten von dem Vorhaben abzubringen, und als dann das Buch erschien, gab es zwar Zuspruch seitens der Leser, aber heftige Kollegenschelte.

PAZ: Warum eigentlich Kollegenschelte?
Bülles: Man warf mir vor, ein „populistisches Buch“ geschrieben zu haben, obwohl der Begriff aus meiner Sicht nichts Negatives darstellt. Er kommt aus dem Lateinischen „populus“, heißt also „Volk“. Das heißt, das Volk soll auch verstehen, was Sache ist. Ich habe dieses Buch übrigens weder aus Verbitterung noch aus Verärgerung oder gar aus Profilierungssucht geschrieben, sondern einfach, um auf die Gefahren der OK in Deutschland hinzuweisen, die ich – berufsbedingt – ganz gut einschätzen kann. Punkt!

PAZ: Es fehle der politische Wille zu einer wirksamen Bekämpfung der OK, klagen Sie. Das verwundert insofern, als doch Politiker sich gerade mit einer engagierten Anti-OK-Strategie wählerwirksam profilieren könnten. Was läuft hier schief?
Bülles: In der Tat läuft vieles schief. Es wäre äußerst hilfreich, wenn sich die Politiker auf diesem Feld mehr hervortun würden. Aus mehreren Gründen ist dies jedoch kaum der Fall. Zum einen verfügen Verbrechensopfer über eine vergleichsweise schwache politische Lobby. Die Opferorganisation „Weißer Ring“ kommt immer dann zum Zuge, wenn die Medien ein neues Rührstück über ein bemitleidenswertes Einzelschicksal veröffentlichen wollen, ansonsten aber verhallen die politischen Forderungen der Opferschutzverbände im politischen Nirwana von Bund und Ländern. Nach dem Amoklauf von Winnenden, bei dem ein 17-jähriger Schüler mit der Pistole des Vaters 15 Menschen erschoss, hat die Politik alle Forderungen nach schärferen Waffengesetzen geschickt ausgesessen. Passiert ist nichts.

PAZ: Sehen Sie noch andere Gründe für die Zurückhaltung vieler Politiker?
Bülles: Durchaus. Es gibt sogar Politiker, die ein geradezu verstörendes Interesse daran haben, dass mafiöses Geld in ihren Bereichen investiert wird. Das klingt zwar verrückt und ich will es keinesfalls verallgemeinern, aber derartige Fälle sind mir bekannt. Dabei verweise ich auf skandalöse Vorgänge etwa in Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern. Ich nenne Vorfälle in Erfurt, die die mutige Journalistin Petra Res­ki in Büchern und Zeitungen veröffentlicht hat. Sie scheute sich nicht davor, Ross und Reiter im Zusammenhang mit italienischen Mafia-Strukturen in der dortigen Pizzeria-Gastronomie namentlich zu benennen und wurde im Gefolge ihrer Veröffentlichungen sogar vor Gericht gezerrt.

PAZ: OK ist ein weites Feld. Können Sie anhand eines aussagekräftigen Beispiels verdeutlichen, was und warum hier so vieles im Argen liegt?
Bülles: Ein typischer Fall ist beispielsweise der organisierte Diebstahl von hochwertigen Kraftfahrzeugen in den letzten Jahren, speziell von BMW X 5. Der hatte nämlich nur eine elektronische Wegfahrsperre, während die Konkurrenzmodelle von Audi und Mercedes schwerer zu entwenden waren. Und diese Autos wurden dann über die A 2 etwa nach Polen oder Litauen gebracht beziehungsweise auf dem Schiffsweg über Rotterdam nach Osteuropa. Mein Appell an die BMW-Vertreter, die mir in Köln bei diesbezüglichen Gerichtsverhandlungen begegneten, war eindringlich. Denn das zu lösende Problem ist doch klar erkennbar: Wenn die deutsche Automobilindustrie genauso intensiv unknackbare Wegfahrsperren entwickeln würde, wie etwa immer leistungsstärkere Motoren, entfiele die Einnahmequelle für die organisierten Autobanden aus Süd- und Osteuropa und die hiesigen Sicherheitsbehörden hätten eine Sorge weniger. Hier sind auch die Versicherungen gefordert, durch hohe Prämien Druck auf die Hersteller nobler Marken auszuüben, ihre Fabrikate besser zu sichern, ein probates Mittel übrigens. Auf diese Weise sahen sich beispielsweise Produzenten hochwertiger Autoradios gezwungen, Codes in ihre Geräte einzubauen, die den Diebstahl erschweren.

PAZ: Kommen wir zum Thema „Migranten-Kriminalität“: Erst nach der Kölner Silvesternacht und mit den Wahlerfolgen der AfD ist man seitens staatlicher und medialer Instanzen allmählich bereit, das Ausmaß der Verwerfungen beim Namen zu nennen. Weshalb so zögerlich, warum so spät?
Bülles: Es gibt sogar im Pressekodex eine Passage, nach der die Herkunft der Täter nur aus unbedingt zwingenden Gründen benannt werden soll, was in der Praxis zu einer jahrzehntelangen Verschleierung führte. Wir stehen bei solchen Friktionen immer noch im Schatten unserer unseligen NS-Vergangenheit, die uns – komplexhaft – daran hindert, in staatlichen Ordnungsangelegenheiten normal und zielführend zu agieren. Erpresserisch wird ständig aus dem „Gutmenschen“-Lager ins Feld geführt, dass man Leute nicht diskriminieren dürfe, nur weil sie aus anderen Ländern kommen. Das ist ja im Prinzip ganz richtig. Andererseits: Um herkunftstypische Straftaten zu verstehen und ihnen präventiv zu begegnen, etwa den Enkeltrick, der ja auch nur von bestimmten Leuten begangen wird, muss man meiner Meinung nach die Herkunft dieser Kriminellen erwähnen. Aber, um Rassismusvorwürfen gleich den Wind aus den Segeln zu nehmen, mir geht es wahrlich nicht darum, Deutschland gegen Einwanderer abzuschotten, auf die unser Land allein schon wegen der prekären demografischen Entwicklung in gewissem Umfang angewiesen ist. Allerdings darf im Zuge einer sinnvollen Integration von Migranten der Hinweis auf die Probleme samt ihrer Auswirkungen auf die OK kein Tabu sein.

PAZ: Welche Probleme sehen Sie in diesem Zusammenhang vor allem?
Bülles: Da brauchen Sie nur einen kritischen Blick auf manche Viertel deutscher Städte zu werfen. Dort sind der Verkauf von Drogen auf den Straßen, Schutzgelderpressungen und Schlägereien auf der unerfreulichen Tagesordnung, Tendenz steigend. Duisburg-Marxloh gilt im Polizeijargon als „gefährlicher Ort“. Es ist ein Stadtteil mit zwei Gesichtern: Zahlreiche türkische Geschäftsleute haben sich hier niedergelassen, sie betreiben Lebensmittelläden, Friseurgeschäfte, Bäckereien und halten das Quartier am Leben. Den Ton geben aber Sippen aus dem Libanon, den kurdischen Gebieten in der Türkei, aus dem Irak und neuerdings aus dem Balkan an. Sie sind ein Grund für die wachsende OK-Deliktrate im Viertel. Insbesondere Familien, die sich selbst als „die Araber“ bezeichnen, leben in einer Parallelwelt, in denen Frauen als Menschen zweiter Klasse behandelt werden und der hiesige Rechtsstaat nicht akzeptiert wird. Diese Sippen haben ein weites Geschäftsfeld aufgebaut: Rotlicht, Schutzgeld, Drogen – Hauptsache illegal.

PAZ: In Ihrer Schwäche-Analyse bei der OK-Bekämpfung führen Sie auch die Zersplitterung der Strafverfolgungsbehörden an. Wollen Sie, zumindest in diesem Bereich, den föderativen Aufbau der Bundesrepublik zurückfahren?
Bülles: Ja, ich will zwar den Föderalismus nicht gänzlich in Abrede stellen, aber 16 Bundesländer sind einfach zu viel. Bei der OK-Bekämpfung treten angesichts der föderalen Zersplitterung diese Problembereiche auf: Es fehlt oft an Kooperationen zwischen den Polizeidienststellen und den Staatsanwaltschaften, sogar innerhalb eines Bundeslandes. Dann hat jedes Land andere Organisations-Modelle der OK-Bekämpfung. Es existieren unterschiedliche Kommunikationsmittel und jedes Land hat divergierende Interessen. Doch die Straftäter interessiert es überhaupt nicht, ob sie in Rheinland-Pfalz, in Bayern oder in Baden-Württemberg ihren Gesetzesbrüchen nachgehen, sondern sie wollen möglichst schnell Geld verdienen. Immer wieder habe ich beispielsweise Straftäter, die aus dem Balkan kamen und in Köln straffällig wurden, danach gefragt, warum sie ihre Straftaten nicht in Bayern oder in Baden-Württemberg begehen, und die Antwort lautete stets, dass in diesen Ländern der Verfolgungsdruck viel höher sei. Würden sie in diesen „Südländern“ erwischt, wären schnelle und höhere Bestrafungen die sichere Folge.

PAZ: Welche Folgerungen ziehen Sie daraus?
Bülles: Es muss eine weitgehende Optimierung von Kooperationsmöglichkeiten auf allen Ebenen erfolgen. Erforderlich ist eine örtliche, regionale, aber auch länderübergreifende und internationale Zusammenarbeit der Behörden. Insofern sind die Aachener Erklärung über die Zusammenarbeit von NRW, Niedersachsen, dem Bund und den Niederlanden, die Berliner Erklärung über die Zusammenarbeit der CDU-Länder und des Bundes sowie das Viererbündnis aus Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz aus dem Jahre 2016 zur gemeinsamen Bekämpfung von Einbrechern ein Schritt in die richtige Richtung, ein hoffnungsvoller Anfang. Hinzu kommt: Notwendig ist auch ein kompatibler Datenaustausch auf dem Stand neuester Technik.

PAZ: Und die gesetzlichen Instrumente bei der OK-Bekämpfung? Auch hier monieren Sie erhebliche Defizite.
Bülles: Nach wie vor fehlen in Deutschland spezielle Anti-Mafia-Paragrafen, wonach schon die Mitgliedschaft in der Mafia strafbar ist, wie es in Italien üblich ist und dort Erfolge zeitigt. Hat nämlich ein italienisches Gericht eine kriminelle Organisation einmal als Mafia klassifiziert, so ist dieses Urteil für jedes andere italienische Gericht bindend, wodurch sich im Gegensatz zu Deutschland neue, langatmige Beweisaufnahmen erübrigen. Weitere Beispiele: Die derzeitigen Regelungen zum sogenannten „Lauschangriff“ sind völlig unpraktikabel. Wegen der komplexen rechtlichen Bestimmungen hat die „akustische Wohnraumüberwachung“ praktisch ausgedient. Dabei zeigt ein professioneller Blick ins OK-Milieu ganz deutlich, dass Absprachen, Treffpunkte und Logistik bei modernen Kriminellen heute über Mobiltelefone laufen. Einen unzweifelhaften Beweis liefern Bewegungs- und Verbindungsdaten der Handys. Sie offenbaren die Strukturen ihrer Organisationen und deren Köpfe, die oft vom Ausland aus agieren. Doch die Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung ist so lückenhaft und die Fristen sind so kurz, dass eine Überführung der Täter kaum noch möglich ist. Sie sehen, es liegt zu vieles im Argen, gerade auch bei den gesetzlichen Instrumenten.

PAZ: Welches Fazit ziehen Sie aus dem Gesagten? Ist Deutschland wirklich auf dem Weg zum „Verbrecherland“, wie Sie es bei Ihrem Buchtitel noch mit einem Fragezeichen versehen haben?
Bülles: Deutschland ist kein Gangland – noch nicht. Die organisierte Unterwelt ist bei uns noch nicht so weit, dass sie etwa nach italienischem Vorbild die gesamte Gesellschaft durchdringt, die Wirtschaft und die Politik. Aber wenn die deutsche Staatsmacht weiterhin alles beim Alten belässt, anstatt massiv aufzurüsten, könnte der Kampf gegen die OK verloren werden. Dies gilt es zu verhindern.  PAZ

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