Er spielte eine Schlüsselrolle in der Visa-Affäre, die den damaligen
Bundesaußenminister Joschka Fischer 2005 vor einen
Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages brachte. Dabei ging es
um den berüchtigten Volmer-Fischer-Erlass, der kriminellen
Schlepperbanden aus Osteuropa Tür und Tor nach Deutschland und in den
EU-Bereich öffnete. Die Rede ist von Oberstaatsanwalt Egbert Bülles aus
Köln, der als Chef einer Ermittlungskommission den Fall ins Rollen
brachte. Der inzwischen pensionierte Rheinländer ist Autor des Buches
„Verbrecherland Deutschland“. Er warnt eindringlich vor den massiven
Gefahren der Organisierten Kriminalität (OK). Das Interview führte Bernd
Kallina.
PAZ: In früheren Jahren waren Sie voller
Optimismus, dass der Rechtsstaat im Kampf gegen die OK letztlich die
Oberhand behalten würde. Nach jahrzehntelanger Berufserfahrung überwiegt
bei Ihnen heute begründete Skepsis. Gibt es einen auslösenden Faktor,
der bei Ihnen eine Umkehr der Lageeinschätzung auslöste?
Egbert Bülles:
Ja, meine erhebliche Skepsis begann im Jahre 2005, als die
EU-Ost-Erweiterung zur Aufnahme von Rumänien und Bulgarien führte. Mir
war schnell klar, dass dadurch eine Welle von potenziellen Straftätern
auf uns zukommen würde. Man hat ja seitens der EU freie Fahrt für Waren
und Personen ermöglicht, aber die Strafverfolgungsbehörden sind trotz
eindringlicher Warnungen nicht verstärkt worden. Alle Hinweise der
Justiz und Polizei über OK-Syndikate und Clans in diesen Ländern wurden
von der Politik nicht ernst genommen. Dass in den neuen EU-Ländern weite
Teile der Gesellschaft als mafiös beherrscht galten, wurde völlig
ausgeblendet. Negiert wurde weiter, dass in Rumänien durch den Sturz der
kommunistischen Diktatur Teile des früheren Geheimdienstes sich der OK
zugewandt hatten. Im Hinblick auf die große europäische Idee sprach man
in Berlin lapidar von hinnehmbaren Kollateralschäden. Die dann schnell
auftretenden erheblichen Probleme wurden auf die Bundesländer und die
Kommunen abgewälzt.
PAZ: Ihre öffentlichen Warnungen vor
diesen und ähnlichen Gefahren lösten in Ihrem dienstlichen Umfeld wenig
Begeisterung aus. Zwar widersprach Ihnen in der Sache niemand, aber
wirkungsvolle Unterstützung bekamen Sie auch nicht, oder?
Bülles:
Unterstützung (lacht), nein, die gab es nicht, im Gegenteil. Als sich
herumsprach, dass ich am Buch „Deutschland Verbrecherland?“ arbeitete,
wurden einige im Kölner Justizzentrum zunehmend nervös. Anfangs
versuchte man, mich mit netten Worten von dem Vorhaben abzubringen, und
als dann das Buch erschien, gab es zwar Zuspruch seitens der Leser, aber
heftige Kollegenschelte.
PAZ: Warum eigentlich Kollegenschelte?
Bülles:
Man warf mir vor, ein „populistisches Buch“ geschrieben zu haben,
obwohl der Begriff aus meiner Sicht nichts Negatives darstellt. Er kommt
aus dem Lateinischen „populus“, heißt also „Volk“. Das heißt, das Volk
soll auch verstehen, was Sache ist. Ich habe dieses Buch übrigens weder
aus Verbitterung noch aus Verärgerung oder gar aus Profilierungssucht
geschrieben, sondern einfach, um auf die Gefahren der OK in Deutschland
hinzuweisen, die ich – berufsbedingt – ganz gut einschätzen kann. Punkt!
PAZ:
Es fehle der politische Wille zu einer wirksamen Bekämpfung der OK,
klagen Sie. Das verwundert insofern, als doch Politiker sich gerade mit
einer engagierten Anti-OK-Strategie wählerwirksam profilieren könnten.
Was läuft hier schief?
Bülles: In der Tat läuft vieles schief.
Es wäre äußerst hilfreich, wenn sich die Politiker auf diesem Feld mehr
hervortun würden. Aus mehreren Gründen ist dies jedoch kaum der Fall.
Zum einen verfügen Verbrechensopfer über eine vergleichsweise schwache
politische Lobby. Die Opferorganisation „Weißer Ring“ kommt immer dann
zum Zuge, wenn die Medien ein neues Rührstück über ein
bemitleidenswertes Einzelschicksal veröffentlichen wollen, ansonsten
aber verhallen die politischen Forderungen der Opferschutzverbände im
politischen Nirwana von Bund und Ländern. Nach dem Amoklauf von
Winnenden, bei dem ein 17-jähriger Schüler mit der Pistole des Vaters 15
Menschen erschoss, hat die Politik alle Forderungen nach schärferen
Waffengesetzen geschickt ausgesessen. Passiert ist nichts.
PAZ: Sehen Sie noch andere Gründe für die Zurückhaltung vieler Politiker?
Bülles:
Durchaus. Es gibt sogar Politiker, die ein geradezu verstörendes
Interesse daran haben, dass mafiöses Geld in ihren Bereichen investiert
wird. Das klingt zwar verrückt und ich will es keinesfalls
verallgemeinern, aber derartige Fälle sind mir bekannt. Dabei verweise
ich auf skandalöse Vorgänge etwa in Thüringen und
Mecklenburg-Vorpommern. Ich nenne Vorfälle in Erfurt, die die mutige
Journalistin Petra Reski in Büchern und Zeitungen veröffentlicht hat.
Sie scheute sich nicht davor, Ross und Reiter im Zusammenhang mit
italienischen Mafia-Strukturen in der dortigen Pizzeria-Gastronomie
namentlich zu benennen und wurde im Gefolge ihrer Veröffentlichungen
sogar vor Gericht gezerrt.
PAZ: OK ist ein weites Feld.
Können Sie anhand eines aussagekräftigen Beispiels verdeutlichen, was
und warum hier so vieles im Argen liegt?
Bülles: Ein typischer
Fall ist beispielsweise der organisierte Diebstahl von hochwertigen
Kraftfahrzeugen in den letzten Jahren, speziell von BMW X 5. Der hatte
nämlich nur eine elektronische Wegfahrsperre, während die
Konkurrenzmodelle von Audi und Mercedes schwerer zu entwenden waren. Und
diese Autos wurden dann über die A 2 etwa nach Polen oder Litauen
gebracht beziehungsweise auf dem Schiffsweg über Rotterdam nach
Osteuropa. Mein Appell an die BMW-Vertreter, die mir in Köln bei
diesbezüglichen Gerichtsverhandlungen begegneten, war eindringlich. Denn
das zu lösende Problem ist doch klar erkennbar: Wenn die deutsche
Automobilindustrie genauso intensiv unknackbare Wegfahrsperren
entwickeln würde, wie etwa immer leistungsstärkere Motoren, entfiele die
Einnahmequelle für die organisierten Autobanden aus Süd- und Osteuropa
und die hiesigen Sicherheitsbehörden hätten eine Sorge weniger. Hier
sind auch die Versicherungen gefordert, durch hohe Prämien Druck auf die
Hersteller nobler Marken auszuüben, ihre Fabrikate besser zu sichern,
ein probates Mittel übrigens. Auf diese Weise sahen sich beispielsweise
Produzenten hochwertiger Autoradios gezwungen, Codes in ihre Geräte
einzubauen, die den Diebstahl erschweren.
PAZ: Kommen wir
zum Thema „Migranten-Kriminalität“: Erst nach der Kölner Silvesternacht
und mit den Wahlerfolgen der AfD ist man seitens staatlicher und
medialer Instanzen allmählich bereit, das Ausmaß der Verwerfungen beim
Namen zu nennen. Weshalb so zögerlich, warum so spät?
Bülles:
Es gibt sogar im Pressekodex eine Passage, nach der die Herkunft der
Täter nur aus unbedingt zwingenden Gründen benannt werden soll, was in
der Praxis zu einer jahrzehntelangen Verschleierung führte. Wir stehen
bei solchen Friktionen immer noch im Schatten unserer unseligen
NS-Vergangenheit, die uns – komplexhaft – daran hindert, in staatlichen
Ordnungsangelegenheiten normal und zielführend zu agieren. Erpresserisch
wird ständig aus dem „Gutmenschen“-Lager ins Feld geführt, dass man
Leute nicht diskriminieren dürfe, nur weil sie aus anderen Ländern
kommen. Das ist ja im Prinzip ganz richtig. Andererseits: Um
herkunftstypische Straftaten zu verstehen und ihnen präventiv zu
begegnen, etwa den Enkeltrick, der ja auch nur von bestimmten Leuten
begangen wird, muss man meiner Meinung nach die Herkunft dieser
Kriminellen erwähnen. Aber, um Rassismusvorwürfen gleich den Wind aus
den Segeln zu nehmen, mir geht es wahrlich nicht darum, Deutschland
gegen Einwanderer abzuschotten, auf die unser Land allein schon wegen
der prekären demografischen Entwicklung in gewissem Umfang angewiesen
ist. Allerdings darf im Zuge einer sinnvollen Integration von Migranten
der Hinweis auf die Probleme samt ihrer Auswirkungen auf die OK kein
Tabu sein.
PAZ: Welche Probleme sehen Sie in diesem Zusammenhang vor allem?
Bülles:
Da brauchen Sie nur einen kritischen Blick auf manche Viertel deutscher
Städte zu werfen. Dort sind der Verkauf von Drogen auf den Straßen,
Schutzgelderpressungen und Schlägereien auf der unerfreulichen
Tagesordnung, Tendenz steigend. Duisburg-Marxloh gilt im Polizeijargon
als „gefährlicher Ort“. Es ist ein Stadtteil mit zwei Gesichtern:
Zahlreiche türkische Geschäftsleute haben sich hier niedergelassen, sie
betreiben Lebensmittelläden, Friseurgeschäfte, Bäckereien und halten das
Quartier am Leben. Den Ton geben aber Sippen aus dem Libanon, den
kurdischen Gebieten in der Türkei, aus dem Irak und neuerdings aus dem
Balkan an. Sie sind ein Grund für die wachsende OK-Deliktrate im
Viertel. Insbesondere Familien, die sich selbst als „die Araber“
bezeichnen, leben in einer Parallelwelt, in denen Frauen als Menschen
zweiter Klasse behandelt werden und der hiesige Rechtsstaat nicht
akzeptiert wird. Diese Sippen haben ein weites Geschäftsfeld aufgebaut:
Rotlicht, Schutzgeld, Drogen – Hauptsache illegal.
PAZ: In
Ihrer Schwäche-Analyse bei der OK-Bekämpfung führen Sie auch die
Zersplitterung der Strafverfolgungsbehörden an. Wollen Sie, zumindest in
diesem Bereich, den föderativen Aufbau der Bundesrepublik zurückfahren?
Bülles:
Ja, ich will zwar den Föderalismus nicht gänzlich in Abrede stellen,
aber 16 Bundesländer sind einfach zu viel. Bei der OK-Bekämpfung treten
angesichts der föderalen Zersplitterung diese Problembereiche auf: Es
fehlt oft an Kooperationen zwischen den Polizeidienststellen und den
Staatsanwaltschaften, sogar innerhalb eines Bundeslandes. Dann hat jedes
Land andere Organisations-Modelle der OK-Bekämpfung. Es existieren
unterschiedliche Kommunikationsmittel und jedes Land hat divergierende
Interessen. Doch die Straftäter interessiert es überhaupt nicht, ob sie
in Rheinland-Pfalz, in Bayern oder in Baden-Württemberg ihren
Gesetzesbrüchen nachgehen, sondern sie wollen möglichst schnell Geld
verdienen. Immer wieder habe ich beispielsweise Straftäter, die aus dem
Balkan kamen und in Köln straffällig wurden, danach gefragt, warum sie
ihre Straftaten nicht in Bayern oder in Baden-Württemberg begehen, und
die Antwort lautete stets, dass in diesen Ländern der Verfolgungsdruck
viel höher sei. Würden sie in diesen „Südländern“ erwischt, wären
schnelle und höhere Bestrafungen die sichere Folge.
PAZ: Welche Folgerungen ziehen Sie daraus?
Bülles:
Es muss eine weitgehende Optimierung von Kooperationsmöglichkeiten auf
allen Ebenen erfolgen. Erforderlich ist eine örtliche, regionale, aber
auch länderübergreifende und internationale Zusammenarbeit der Behörden.
Insofern sind die Aachener Erklärung über die Zusammenarbeit von NRW,
Niedersachsen, dem Bund und den Niederlanden, die Berliner Erklärung
über die Zusammenarbeit der CDU-Länder und des Bundes sowie das
Viererbündnis aus Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz
aus dem Jahre 2016 zur gemeinsamen Bekämpfung von Einbrechern ein
Schritt in die richtige Richtung, ein hoffnungsvoller Anfang. Hinzu
kommt: Notwendig ist auch ein kompatibler Datenaustausch auf dem Stand
neuester Technik.
PAZ: Und die gesetzlichen Instrumente bei der OK-Bekämpfung? Auch hier monieren Sie erhebliche Defizite.
Bülles:
Nach wie vor fehlen in Deutschland spezielle Anti-Mafia-Paragrafen,
wonach schon die Mitgliedschaft in der Mafia strafbar ist, wie es in
Italien üblich ist und dort Erfolge zeitigt. Hat nämlich ein
italienisches Gericht eine kriminelle Organisation einmal als Mafia
klassifiziert, so ist dieses Urteil für jedes andere italienische
Gericht bindend, wodurch sich im Gegensatz zu Deutschland neue,
langatmige Beweisaufnahmen erübrigen. Weitere Beispiele: Die derzeitigen
Regelungen zum sogenannten „Lauschangriff“ sind völlig unpraktikabel.
Wegen der komplexen rechtlichen Bestimmungen hat die „akustische
Wohnraumüberwachung“ praktisch ausgedient. Dabei zeigt ein
professioneller Blick ins OK-Milieu ganz deutlich, dass Absprachen,
Treffpunkte und Logistik bei modernen Kriminellen heute über
Mobiltelefone laufen. Einen unzweifelhaften Beweis liefern Bewegungs-
und Verbindungsdaten der Handys. Sie offenbaren die Strukturen ihrer
Organisationen und deren Köpfe, die oft vom Ausland aus agieren. Doch
die Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung ist so lückenhaft und die
Fristen sind so kurz, dass eine Überführung der Täter kaum noch möglich
ist. Sie sehen, es liegt zu vieles im Argen, gerade auch bei den
gesetzlichen Instrumenten.
PAZ: Welches Fazit ziehen Sie
aus dem Gesagten? Ist Deutschland wirklich auf dem Weg zum
„Verbrecherland“, wie Sie es bei Ihrem Buchtitel noch mit einem
Fragezeichen versehen haben?
Bülles: Deutschland ist kein
Gangland – noch nicht. Die organisierte Unterwelt ist bei uns noch nicht
so weit, dass sie etwa nach italienischem Vorbild die gesamte
Gesellschaft durchdringt, die Wirtschaft und die Politik. Aber wenn die
deutsche Staatsmacht weiterhin alles beim Alten belässt, anstatt massiv
aufzurüsten, könnte der Kampf gegen die OK verloren werden. Dies gilt es
zu verhindern. PAZ
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.