Stationen

Montag, 12. Juni 2017

Ronald Reagan Boulevard

Da war wohl der Wunsch Vater des Gedankens: An der Reaktion des Publikums habe man erkennen können, daß die Rede des amerikanischen Präsidenten „keine tiefgründige Wirkung hinterlassen werden.“ Sein Auftritt habe „einmal mehr seine zunehmende Führungsschwäche verdeutlicht.“ So schrieb der Staatssicherheitsdienst der DDR über den Besuch Ronald Reagans in Berlin und seinen legendären Ausspruch: „Herr Gorbatschow, öffnen Sie dieses Tor! Herr Gorbatschow, reißen Sie diese Mauer nieder!“ vor dem Brandenburger Tor, heute vor 30 Jahren, am 12. Juni 1987.
Damit im Ostteil der Stadt niemand die in Wahrheit 28 mal von Applaus unterbrochene Rede mitbekommt, hatten die „Organe“ die Zugänge in Richtung Brandenburger Tor streng reglementiert. Denn ein paar Tage früher was es dort bereits zu „Provokationen feindlich-negativer Kräfte“ gekommen. Auf östlicher Seite an der Mauer hatten sich zahlreiche Jugendliche versammelt, um einem dreitägigen Rockkonzert vor dem Reichstag zuzuhören. Volkspolizei und Stasi fürchteten einen Sturm auf die Mauer und gingen deswegen massiv gegen die jungen Rockfans vor. Die reagierten mit Sprechchören wie „Die Mauer muß weg!“ und „Mauer nieder!“
Zwischenfall im Ostteil
Reagan war also nicht allein mit seiner Forderung nach einem Ende der Teilung. Den linken Demonstranten im Westen, von denen der radikalere Teil bereits am Vorabend Teile Kreuzbergs verwüstet hatte, rief Reagan damals (abweichend von seinem Redemanuskript) zu: „Ich frage mich, ob Sie sich je darüber Rechenschaft abgelegt haben, daß es unter einer Regierung, wie Sie sie anscheinend anstreben, niemals wieder jemandem möglich wäre, daß zu tun, was Sie gerade tun.“
Als der US-Präsident schon längst nicht mehr vor Ort, sondern mit der „Air Force One“ unterwegs zurück nach Bonn war, kam es doch noch zu einem Zwischenfall im Ostteil der geteilten Stadt: ein junger Busfahrer, der einen Ausreiseantraggestellt hatte, stellte seinen Gelenkbus mitten auf der Kreuzung vor dem Brandenburger Tor ab, verriegelte die Türen, schaltete den Warnblinker ein und blockierte den Verkehr.
Nachdem es den Vopos gelungen war, den Fahrer festzunehmen, sagte der anschließend in der Vernehmung, er habe mit dieser Aktion der Forderung Reagans, die Mauer zu öffnen, zustimmen und ein Signal setzen wollen. Offenbar vergeblich. „Eine Öffentlichkeitswirksamkeit war nicht gegeben, da die Zusammenhänge für Außenstehende nicht erkennbar wurden“, notierte die Stasi.
Reagan traf Trümmerfrauen
Weit weniger öffentlichkeitswirksam als die historische Rede des amerikanischen Präsidenten blieb auch ein anderer Programmpunkt seines Besuchs heute vor 30 Jahren. Beim Besuch im Reichstag traf Reagan nicht nur Bundeskanzler Helmut Kohl und Bundestagspräsident Philipp Jenninger, sondern auch sechs Trümmerfrauen. Sie beeindruckten den Staatsgast offenbar. „Met several elderly ladies, who had been part of the female force that cleaned bricks from the rubble and played a role in Berlin´s rebuilding“ notierte Reagan in sein Tagebuch.
Bei der DDR-Staatssicherheit gab es dagegen noch andere Aufzeichnungen. Dort hatte man im Vorfeld der Reagan-Visite die Einschätzungen von US-Diplomaten abgefangen, die nicht mehr davon ausgingen, die DDR könne im Jahr 2000 zusammenbrechen. Man rechne vielmehr „mit einer wesentlich schneller eintretenden Schwäche, da der Bindungsgrad der Masse der DDR-Bevölkerung an ihren Staat sehr gering und der Drang nach westlichen Verhältnissen sehr groß“ sei. Auch Reagan war dieser Überzeugung. „Die Mauer wird der Freiheit nicht standhalten“, so schloß er seine Rede am 12. Juni 1987. Nicht wenige deutsche Kommentatoren kritisierten ihn damals dafür. Nicht zeitgemäß seien seine Worte gewesen – und jenseits aller Realitäten …
Vielleicht hat deswegen die deutsche Hauptstadt noch keine Straße, die dem 40. Präsidenten der USA gewidmet ist. Pünktlich zum 30. Jahrestag der „Tear-down-this-wall“-Rede fordert die AfD-Fraktion im Berliner Abgeordnetenhaus, eine Hauptverkehrsstraße nach dem 2004 Verstorbenen zu benennen. Er habe „mit seiner unnachgiebigen Haltung gegenüber den kommunistischen Diktatoren in aller Welt ein klares Zeichen für Demokratie und Freiheit gesetzt. Seine zukunftsweisende Sicherheitspolitik war entscheidend für den Untergang der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten und damit wegbereitend für die Deutsche Einheit“, so der Fraktionsvorsitzende Georg Pazderski. Der Vorschlag seiner Partei sieht vor, der „bisherigen Karl-Liebknecht-Straße – benannt nach einem glühenden Verfechter einer kommunistischen Diktatur – zwischen Berliner Dom und Prenzlauer Tor künftig den Namen Ronald-Reagan-Boulevard“ zu geben.  JF

Ein großartiger Vorschlag. Aber bitte mit dem Zusatz (in kleinerer Schrift): Einstige Karl Liebknecht Straße. Denn Deutschland muss endlich einmal Schluss machen mit der Beseitigung historischer Spuren. In dieser Hinsicht können wir viel von Italien lernen (statt, wie meistens von Italien, das Schlechte zu übernehmen: gestern den Faschismus, heute den Linkskonformismus).

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Hinweis: Nur ein Mitglied dieses Blogs kann Kommentare posten.