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Sonntag, 29. November 2020

Der große Gegenangriff

Jetzt ist er da, der große Katzenjammer der Konservativen. Während die letzten Jahre unter dem Zeichen jener Erfolge standen, welche von oft schillernden und meist des Populismus bezichtigen Persönlichkeiten wie Trump, Johnson, Salvini, Le Pen, De Wever, Baudet, Gauland, Orban und Kaczyński erzielt werden konnten, hat nunmehr der Gegenangriff des Establishments eingesetzt: Die Republikaner in den USA wurden, wie es scheint, geschlagen und mögen vor einer Spaltung stehen, der Brexit ist immer noch nicht umgesetzt, Salvini ist der Durchbruch zur Macht nicht gelungen, der Rassemblement National ist in einer tiefen inneren Krise, die flämische NVA wird gerade massiv von rechts überflügelt, inwieweit sich das FvD von einer Einmann-Partei zu einem dauerhaften Akteur durchsetzen kann, bleibt noch zu sehen, die AfD ist im selbstverschuldeten inneren Zerfall begriffen, Ungarn ist fast ganz isoliert, und der Mythos vom erzkatholischen Polen ist durch die jüngsten Ausschreitungen im Land gebrochen. Überall in der westlichen Welt hat sich gezeigt, dass ein „populistischer“ Sieg gegen die Übermacht von Medien, Verwaltung, Bildungssystem und politischer Elite meist nur ein Überraschungserfolg sein kann, der lediglich mit großer Mühe, strategischem Weitblick und vor allem kulturpolitischem Engagement mittelfristig erhalten und ausgebaut werden kann – und daran mangelt es meist in geradezu dramatischer Weise.

Die Übermacht des linksliberalen Polit-Konsenses ebenso unterschätzt zu haben wie die Effizienz, mit der sie ins Feld geführt wird, war ein gewaltiger, aber letztlich abzusehender Fehler und liegt zu einem gutem Teil begründet in der inneren Zerrissenheit jener „alternativen“ Kräfte: Teils laizistisch-neoliberal, teils destruktiv-demagogisch, teils gläubig-konservativ ausgerichtet, alles zudem im Spannungsfeld zwischen nationalistischem und abendländischem Patriotismus, fehlt es ihnen meist an einem wirklich glaubhaften politischen Profil jenseits einer bloßen Ablehnung des gegenwärtigen Status quo und somit auch an der Begabung zur realistischen Analyse der gegenwärtigen Machtverhältnisse.

Und so erschöpft sich denn auch ihre politische Tätigkeit dort, wie sie an die Macht gelangen, wie etwa während der vier Jahre der Trump-Präsidentschaft, bestenfalls auf eine bloße Stabilisierung der vorgefundenen Verhältnisse und dringt nur selten zu einer wirklichen inneren Umgestaltung um. Doch vor allem: Neben einem Mangel an ideologischer Solidität fehlt meist auch das, was heute am meisten zählt: glaubhafte und charismatische Vertreter, welche durch ihr persönliches Beispiel beim Bürger jenen dringend nötigen persönlichen Vertrauensvorschuss beanspruchen können, welche die Leitmedien ihren Bewegungen meist vorenthalten.

Nun wird der Konservatismus in Westeuropa wohl auf viele Jahre hinweg nur wenig Erfolgschancen haben – Jahre, die zu den entscheidendsten gehören, die auf das Abendland je zugekommen sind. Nur im Osten Europas, wo die populistischen Bewegungen stärker als anderswo auf einem Substrat traditionalistischen, patriotischen und religiösen Denkens und Fühlens aufbauen können, das im Westen schon fast ausgestorben ist, mag sich eine Insel angeblich „illiberaler“, sich also dem linksliberalen Meinungskonsens verweigernder Demokratie weiter halten. Doch es fragt sich sowohl, wie lange dieses Substrat noch existieren wird, als auch, wie lange diese Bewegungen dem Druck aus dem Westen noch standhalten können; vor allem jetzt, wo die Verquickung von „Rechtsstaatsmechanismus“ und Subsidienzahlung die Bürger in Geiselhaft nimmt, um sie zu zwingen, ihre Regierungen zu stürzen, und wo gleichzeitig auch die USA mit der Episode wohlmeinender Neutralität angesichts konservativer Bewegungen in Europa abschließen und vielmehr auf den Kurs von Brüssel und Berlin einschwenken werden.

Vielleicht haben Rückschlag und Katerstimmung aber auch etwas Gutes. Zuerst machen sie deutlich, dass die vorübergehend gehegte Hoffnung, mithilfe rechtsstaatlicher Instrumente auf Augenhöhe mit den etablierten Parteien Politik mitbestimmen zu können, grundlegend naiv war. Denn jener Rechtsstaat ist überall im Westen bereits lange von seiner ursprünglich überparteilichen und neutralen Ausgestaltung so stark in linksliberaler Weise umgeformt worden, und somit auch die Gewaltenteilung zugunsten des Imperativs politisch korrekter „Haltung“ aufgehoben worden, dass es eben mehr bedarf als einiger Wahlsiege, um das Wählermandat auch effektiv umsetzen zu können. Man könnte daher viele angebliche Populisten geradezu als „letzte Demokraten“ bezeichnen, da sie in schon fast atavistischer Naivität den Blick ausschließlich auf Institutionen und Mechanismen richten und diese weiterhin aus dem geistigen Horizont der 1980er begreifen, dabei aber völlig übersehen, dass die echte Macht anderswo generiert wird, vor allem dort, wo die öffentliche Meinung geprägt wird.

Dies verstanden zu haben, ist sicherlich ein großer Vorteil jener linksliberalen Kräfte, und es ist Nancy Pelosi vollkommen zuzustimmen, als sie am 6.11.2020 auf einer Pressekonferenz auf die Frage, inwieweit sich die „Große Transformation“ der USA gegen einen republikanischen Senat durchsetzen ließe, Abraham Lincolns wegweisende Worte zitierte: „Public sentiment is everything. With it you can accomplish almost anything; without it, practically nothing.” Dies ist eine Realität, welche viele Konservative nicht wahrhaben wollen, da es ihnen instinktiv um Wahrheit, nicht aber um Mehrheit geht; und doch kann eine Missachtung dieser Maxime gerade in den heutigen Zeiten früher oder später nur zur Niederlage führen. Bedenkt man zudem die faktische Unmöglichkeit eines neuen, Jahrzehnte dauernden „Marschs durch die Institutionen“, ist die Folgerung hieraus klar: Nur wenn Konservative eine eigene, alternative Medienlandschaft mit allem, was dazugehört, schaffen, können sie auf Erfolg hoffen. Freilich darf es hierbei nicht darum gehen, die existierenden Institutionen nur zu imitieren; vielmehr muss ein ganz eigener Zugang gefunden werden, um sittlichen Idealismus und politischen Pragmatismus zu vereinen und gleichzeitig publikums- und stilbildend zu wirken.

Dazu gehört auch ein weiterer Punkt, der in der Zukunft zunehmende Bedeutung erlangen wird: In dem Maße, wie der Staat vor allen wirklichen Konfliktfeldern – soziale Polarisierung, ethnische Konflikte, Finanzkrise, Desindustrialisierung, demographischer Umbruch, Landflucht, etc. – die Augen verschließen und bloße Klientelpolitik betreibt, wird sich der wahre politische Kampf zunehmend auf die Straße verlagern und jenen Kräften Vorteile verschaffen, welche ihre Fähigkeit zur Herstellung von Ruhe, Ordnung und Gerechtigkeit aktiv und notfalls auch parallel zu den zerfallenden staatlichen Strukturen unter Beweis stellen. Welchen Erfolg diese Taktik bereits den sogenannten „Parallelgesellschaften“ beschert, braucht hier wohl kaum in Erinnerung gerufen zu werden: Im Zweifelsfall ist die direkte Tat immer glaubwürdiger als Zögern oder sterile Kritik. Der Konservatismus darf sich daher nicht mehr damit begnügen, bloß auf nationaler Ebene Fundamentalopposition zu betreiben und auf einen künftigen Überraschungssieg zu hoffen: Er muss sich selbst als „Parallelgesellschaft“ wahrnehmen und somit die entsprechenden Strukturen schaffen, um auch auf lokaler Ebene zu agieren und jene Ideale, für die er einzutreten vorgibt, selbst vorleben.

Eine weitere positive Folge ist, dass der politische Umbruch in den USA auch dem letzten Konservativen in Europa zeigen wird, dass ihr Erfolg nur aus eigener Anstrengung, nicht aber dank äußerer Unterstützung erzielt werden kann (was sich auch jene allzu zahlreichen Russophilen zu Herzen nehmen, welche ihrerseits in Vladimir Putin den ultimativen Beschützer der eigenen Träume sehen und eines Tages ebenso schmerzhaft und verloren aufwachen könnten wie die Transatlantiker). Ein traditionsbewusstes Europa hat nur dann eine Chance, wenn die europäischen Konservativen ihre nationalen Streitigkeiten als zweitrangig angesichts der übergeordneten Bedrohung der abendländischen Kultur durch die globalistische Weltzivilisation empfinden und dementsprechend auch ihre Prioritäten setzen. Denn die gegenwärtige Niederlage des westlichen Konservatismus ist vor allem der Tatsache geschuldet, dass die mediale Greuelkampagne, welche Konservatismus mit Nationalismus und Chauvinismus gleichsetzt, zum einen nicht in allen Fällen völlig unberechtigt ist, zum anderen von den Adressaten selbst nicht überzeugend genug desavouiert wird: Erst wenn die Ehrlichkeit einer gesamteuropäischen konservativen Partnerschaft ebenso über alle Zweifel erhaben ist wie die der politisch korrekten Kräfte, mag eine Chance bestehen, die Dichotomie zwischen „Nationalismus“ und „Globalismus“ zugunsten eines abendländischen Patriotismus zu durchbrechen.

Und natürlich muss es in den nächsten Jahren endlich um die inhaltliche Festigung des Konservatismus gehen: Es mag für eine gewisse Zeit ja angehen, politischen Zuspruch aus reiner Fundamentalopposition zu beziehen und sich als Sammelbecken für alle alternativen Kräfte zu präsentieren; langfristig aber kann keine Partei sowohl liberal als auch sozial, sowohl laizistisch als auch transzendent, sowohl nationalistisch als auch abendländisch aufgestellt sein; und wenn auch eine gewisse innere Flexibilität durchaus vonnöten sein mag und ideologische Widersprüche durch vertrauenswürdige Führungspersonen überspielt werden können, muss es doch früher oder später zu einer grundsätzlichen Entscheidung zwischen diesen Polen kommen, die, wie mir scheint, nur zugunsten des zweiten Pols ausfallen kann, wenn sie nicht nur eine bloße Restitution eines heillos veralteten, spätestens seit den 1990ern an ihren inneren Widersprüchen zugrunde gegangenen Status quo erzielen will.

Die kommenden Jahre werden hart, sehr hart werden für Konservative im Westen – doch sie mögen auch den Vorteil einer inneren Selbstfindung bergen, wenn die entsprechenden Lehren aus den gegenwärtigen Niederlagen gezogen werden. Nimmt man an, dass viele, welche diese Bewegungen nur aus rein opportunistischen Gründen unterstützt haben und im Gegenzug für materielle Vorteile allzu große Kompromissbereitschaft gezeigt haben, jetzt das scheinbar sinkende Schiff verlassen werden, bietet sich möglicherweise auch die Gelegenheit zu einer personellen Festigung um einen Kern wirklicher Idealisten. Freilich birgt diese Möglichkeit auch die Gefahr einer Abwanderung kompetenter und exponierter Persönlichkeiten zugunsten jener Hitzköpfe, die nichts zu verlieren haben. Hier sollte sicherlich bedacht werden, dass die gegenwärtigen Niederlagen nicht zuletzt auch den Stilfehlern der Konservativen zuzuschreiben sind, welche sich in Ermangelung eigenen Personals allzu gerne mit jenen schillernden Populisten verbündet haben, deren tatsächliche Lebensführung in offensichtlichem Kontrast zu ihren Aussagen stand und das ganze Projekt einer echten, seelischen Regeneration des Abendlands von Anfang an in eine bedenkliche Schieflage brachten. Hier in Zukunft weise abzuwägen und langfristige Vorbildhaftigkeit nicht irgendwelchen kurzen medialen Erfolgen zu opfern, wird daher sicherlich eine weitere und nicht die unwichtigste Lehre aus der gegenwärtigen Krise sein.

Der künftige Erfolg ist also – so müssen wir folgern – nicht bzw. nicht primär auf dem traditionellen Feld demokratischer Prozesse zu gewinnen, sondern vielmehr auf dem der Schaffung einer alternativen Öffentlichkeit, der konkreten Umsetzung von Gerechtigkeit und Ordnung in fest umrissenen Bereichen, der intensiven gesamteuropäischen Zusammenarbeit, der ideologischen Festigung und der Förderung vorbildhafter Persönlichkeiten. Erst dann wird es möglich sein, jene kollektive Bewusstseinsänderung hervorzurufen, die einzig fähig ist, den mentalen in einen politischen Erfolg umzuwandeln – und die Zeit wird hier sicherlich zum Vorteil der Konservativen ausfallen, da die ultimative Menschenfeindlichkeit und Gottesferne des Globalismus mit jedem seiner Siege zunehmend zum Vorschein treten wird.

Prof. Dr. David Engels unterhält eine Forschungsprofessur am Instytut Zachodni in Posen, wo er verantwortlich ist für Fragen abendländischer Geistesgeschichte, europäischer Identität und polnisch-westeuropäischer Beziehungen.

Der große Gegenangriff

und die Selbstzerfleischung

David Engels erläutert, welches die wahrscheinlich einzige Strategie ist, mit der  die Konservativen Erfolg noch haben könnten. Marc Jongen sagte 2013 schon: "Wir werden stark sein, wenn wir avantgarde-konservativ sind.

Aber Markwort findet ja nicht mal genug konservativen Nachwuchs, um eine konservative Wochenzeitschrift zu gestalten.

Perspektivelosigkeit breitet sich aus.

 

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