Stationen

Donnerstag, 5. November 2020

Dr. Drostens Doktorarbeit - schlimmer geht immer

Am 15. Oktober 2020 hat die Goethe-Universität Frankfurt am Main dem „Star-Virologen“ und beliebten Regierungsberater in der „Corona-Krise“ vermutlich gegen ihre Intention einen Bärendienst erwiesen. Auf ihrer Website veröffentlichte sie eine Verteidigungsschrift mit dem Titel „Falschbehauptungen zum Promotionsverfahren von Prof. Dr. Christian Drosten“. Damit hat sie zum einen einer Posse ohne Not zu zumindest potenziell etwas mehr Öffentlichkeit verholfen, denn bisher hatten die Leitmedien an der Thematik überhaupt kein Interesse gezeigt. Zum anderen produziert sie mit ihren Einlassungen, statt alle offenen Fragen restlos und abschließend zu klären, nur noch mehr Ungereimtheiten bezüglich des zur Disposition stehenden Promotionsverfahrens.

Ein Professor ohne Habilitation

Aufgrund seiner exponierten Stellung bei der politischen Bewältigung der „Corona-Krise“ und den weitreichenden gesellschaftlichen Folgen seiner Empfehlungen – nicht nur die Schulschließungen aus dem Frühjahr gehen auf einen entsprechenden Rat dieses Experten zurück –, darf Drosten sich nicht über eine auch kritische Überprüfung seiner Expertise und Reputation beschweren. Zumal: Drosten gehört zu den wenigen W3-Professoren in Deutschland, die einen Lehrstuhl innehaben, ohne zu lehren, und ohne – noch bemerkenswerter – habilitiert zu haben.  

Üblich in der akademischen Welt, auch der medizinischen, ist folgender Weg zu Professur und Lehrstuhl: Man hat nach und zusätzlich zur Promotion eine Habilitationsschrift verfasst oder kann stattdessen in Ausnahmefällen eine vergleichbare herausragende wissenschaftliche Leistung vorweisen. Gegenüber gleichqualifizierten Konkurrenten ist es dann von Vorteil, wenn man eine gute internationale Vernetzung und ein erwiesenes Talent zur Drittmittelbeschaffung mitbringt.

Letzteres ist Drosten, einem Liebling der Pharmaindustrie und der Familie Quandt, mit Sicherheit nicht abzusprechen, in der Regel ersetzt dies aber nicht die Anforderungen an nachweisbare Qualifikationen. Da Drosten, wie gesagt und unstrittig, nicht habilitiert hat, kommt als vergleichbare Leistung eigentlich nur seine mythenumrankte „Entdeckung“ des SARS-Erregers (dazu ein andermal) oder eben die mit „summa cum laude“ benotete Dissertation selbst oder eben beides zusammen in Betracht.

Eine verschollene Dissertation…

Es ist daher keineswegs anrüchig oder von vornherein „verschwörungstheoretisch“ motiviert, wenn Einzelne das Interesse entwickeln, mal einen Blick in die Dissertation von Professor Drosten zu werfen. Nur war dies bis in den Sommer 2020 nicht möglich, weil eine Dissertation von Christian Drosten als ausleihbare weder physisch vorhanden noch überhaupt katalogisiert war – nicht seitens der Universitätsbibliothek Frankfurt, nicht seitens der Deutschen Nationalbibliothek (DNB). 

Während nun Drosten und die Leitmedien als „Aluhut-Thema“ schlicht ignorierten, welche Fragen angesichts der zunächst erfolglosen Versuche, an Drostens Doktorarbeit heranzukommen, und einiger unbefriedigender Erklärungen der Goethe Universität auf Blogs wie corodok.decorona-transition.org diskutiert wurden, teils zusammengefasst auf heise.de und in einer Sitzung des Corona-Untersuchungsausschusses, nimmt die Goethe-Universität den Verdacht auf Verstöße gegen die Promotionsordnung, welche zur Entziehung des Doktortitels führen könnten, durchaus ernst: 

„Seit Ende Juni 2020 werden insbesondere im Internet gezielt Falschbehauptungen gestreut. […] Es wird gefolgert, das Promotionsverfahren von Herrn Drosten wäre nicht rechtskonform durchgeführt worden.“ 

Im Wesentlichen geht es der Goethe-Universität bei ihrer Klarstellung um die Abgabe von Pflichtexemplaren der Dissertation, die Veröffentlichungspflicht dieser Dissertation und Fragen zur ungewöhnlich langen Verfahrensdauer, also der enormen Zeitspanne zwischen eingereichter Dissertation und mündlicher Prüfung.

…taucht nach 17 Jahren wieder auf

Das Manko der bis Sommer 2020 nicht auffindbaren Dissertation hat die Goethe-Universität inzwischen behoben, indem sie der Frankfurter Universitätsbibliothek und der DNB Kopien der „Originaldissertation“ zur Verfügung stellte, „da es“ nach eigenen Angaben „im Verlauf des Jahres 2020 aufgrund der stark gestiegenen Prominenz von Herrn Drosten in der Universitätsbibliothek vermehrt zu Anfragen nach seiner Dissertation kam.“ 

In dem Zusammenhang merkwürdig: Weil gegen das – nach 17 Jahren seit Dissertation – anscheinend einzig verfügbare Originalexemplar aus „konservatorischen Gründen Bedenken bestanden, man andererseits die bestehenden Anfragen jedoch möglichst rasch befriedigen wollte, hat die Goethe-Universität Herrn Drosten persönlich darum gebeten, ihr ein weiteres Exemplar der Dissertation für den Leihverkehr und zur Anfertigung weiterer Papierkopien zur Verfügung zu stellen. Dieser Bitte ist Herr Drosten dankenswerterweise umgehend nachgekommen, ohne dazu verpflichtet gewesen zu sein. Beide Exemplare erwiesen sich nach Prüfung als inhaltlich identisch. Das noch im Fachbereich befindliche Originalexemplar wurde in die Promotionsakte übernommen, die sich im Universitätsarchiv befindet. Dass von abgegebenen Dissertations-Pflichtexemplaren letztlich jeweils nur ein Exemplar im Archiv des Fachbereichs verbleibt, entspricht archivalischen Standards.“

Nun sieht die damals gültige Promotionsordnung von 1997 verschiedene Varianten bei der Abgabe von Pflichtexemplaren vor, welche dann unterschiedliche Mengen von abzugebenden Pflichtexemplaren vorschreiben. Die Erklärung der Goethe-Universität legt sich jedoch nicht darauf fest, nach welcher in §12 geregelten Variante Drosten wie viele Exemplare hätte abgeben müssen und auch tatsächlich abgegeben hat. Sie suggeriert, dass es mehr Exemplare als das vom Fachbereich archivierte gab, ohne anzudeuten, wo die übrigen verblieben sind. In einer früheren Erklärung des Pressesprechers der Goethe-Uni, welche die aktuelle offizielle Version nicht aufgreift, war von einem ominösen „Wasserschaden in weiten Teilen des Universitätsklinikums vor wenigen Jahren“ die Rede, dem alle sonstigen Exemplare zum Opfer gefallen seien.

Drei Artikel mit Doktorvater als Dissertation?

Im Grunde will die aktuelle Stellungnahme der Goethe-Uni das Rätsel um Abgabe und Verbleib der Pflichtexemplare zusammen mit der fragwürdigen Unterlassung einer Veröffentlichung der Doktorarbeit (in Bibliotheken, in Buch- oder Artikelform) vor Verleihung des Doktorgrades mit einem Argument vom Tisch wischen, das auch alle kleinteiligen Ungereimtheiten und Widersprüche ihres bisherigen Agierens miterledigt. Das geht so: 

Die Dissertation, die Ende 2001 als Monografie fertiggestellt wurde und am 6. Februar 2002 mit dem Gesuch zur Zulassung zur Doktorprüfung als Monografie im Dekanat eingereicht wurde, datiert auf das Jahr 2001. Die Arbeit basiert auf drei zuvor (2000 sowie 2001) in Fachmagazinen veröffentlichten Zeitschriftenartikeln, in denen Herr Drosten zweimal Erstautor ist und einmal in mittlerer Position. Es handelt sich dabei um folgende Beiträge:

Drosten C, Weber M, Seifried E, Roth WK. Evaluation of a new PCR assay with competitive internal control sequence for blood donor screening. Transfusion 2000 Jun; 40(6): 718-24.

Roth WK, Buhr S, Drosten C, Seifried E. NAT and viral safety in blood transfusion. Vox Sang 2000; 78 Suppl 2:257-9.

Drosten C, Seifried E, Roth WK. TaqMan 5′-nuclease human immuno-deficiency virus type 1 PCR assay with phage-packaged competitive inter-nal control for high-throughput blood donor screening. J Clin Microbiol 2001 Dec;39(12):4302-4308.

Diese Beiträge waren seit Veröffentlichungsdatum ununterbrochen in öffentlichen Bibliotheken frei verfügbar. Die zur Zulassung eingereichten Exemplare der Dissertation waren als Korrekturexemplare ausschließlich für die Gutachter bestimmt und unterlagen nicht der archivalischen Dokumentationspflicht.

Zwei Interpretationen sind möglich – und keine ergibt Sinn:

Variante 1: Die Goethe-Uni nennt die drei vorveröffentlichten Texte eine „Basis“ der Dissertationsmonografie. Das passt einigermaßen zu Drostens Version in eben dieser Dissertationsmonografie, wonach die Artikel vorveröffentlichte „Auszüge“ der Arbeit darstellen würden. Ob „Basis“ oder „Auszug“, wird damit jedoch nahegelegt, dass die 122-seitige Monografie substanziell Wissenswertes, das nicht bereits in den Artikeln steht, also Exklusives enthält. Dann hätte sie nach Prüfungsordnung aber vor Verleihung des Doktortitels veröffentlicht und zugänglich gemacht werden müssen.

Variante 2: Drosten und die Goethe-Uni drücken sich nur unglücklich aus und meinen, dass die vorveröffentlichten Artikel die Doktorarbeit sind (oder ihre Ergebnisse, ihr Substrat). Dann hätte es in der Tat keine Pflicht zur Veröffentlichung gegeben. Dass die Prüfungsordnung in dem Fall die Vorveröffentlichung eines Buches oder eines Artikels (oder einer Artikelserie?) in einer Zeitschrift und nicht in drei verschiedenen Zeitschriften vorsieht, mag ein zu pedantischer Einwand sein.

Mindestens ein Geschmäckle hätte aber Folgendes: Drostens Doktorvater WK Roth und damit einer der Gutachter der Dissertation ist für alle drei Artikel als Co-Autor genannt, womit er auch über seine eigene Arbeit gerichtet hätte, was schon irgendwie legal sein mag, aber einigermaßen skurril anmutet. Davon abgesehen, stellt sich die wichtigere Frage, warum Drosten überhaupt noch eine gesonderte Monografie verfasst hat, die als mit den Artikeln textidentische vollkommen sinnfrei gewesen wäre. Dass der Öffentlichkeit 17 Jahre später sogar eine textabweichende und viel umfangreichere Monografie als Dissertation präsentiert wird, bleibt merkwürdig, weil dies die Bedeutung der vorveröffentlichten Artikel ja entwertet, was wieder zur versäumten Veröffentlichungspflicht der Monografie führt.

Es ist also nicht gerade leicht, die Stellungnahme der Goethe-Uni zu Abgabe und Verbleib der Pflichtexemplare sowie zur angeblich nicht gegebenen Veröffentlichungspflicht auf eine Weise zu deuten, die einigermaßen konsistent im Einklang mit der damals geltenden Promotionsordnung sich befände.

Unerklärliche Verfahrensdauer

Das trifft umso mehr auf die Rechtfertigung der „Verfahrensdauer“ zu. Diese könnte kurioser kaum sein:

Die ebenso unberechtigt skandalisierte Verfahrensdauer resultiert ausschließlich aus der korrekten Durchführung des Verfahrens: Da die Erst- und Zweitgutachter jeweils für die bestmögliche Bewertung „summa cum laude“ plädierten, wurde – den gültigen Standards entsprechend – ein drittes Gutachten angefordert. Der zusätzliche Begutachtungsprozess nahm mehrere Monate in Anspruch, ebenso die danach noch erforderliche, ordnungsgemäße Herbeiführung eines einstimmigen Beschlusses des Fachbereichsrates zur Bestätigung dieser Bewertung.

Ob es an der Goethe-Uni „gültige Standards“ oder Gewohnheiten gab und gibt, die nicht nur keine Entsprechung in der damals gültigen Promotionsordnung finden, sondern explizit gegen diese verstoßen dürfen, entzieht sich meiner Kenntnis. In der Promotionsordnung jedenfalls beschränkt sich die Funktion des „Fachbereichsrats“ im Prüfungsverfahren darauf, einzelne Mitglieder des Promotionsausschusses zu wählen (§2), während der „Fachbereich“ den Doktortitel bei erfolgreichem Promotionsverfahren verleiht (§1). Die Durchführung des Promotionsverfahrens obliegt allerdings nur dem Promotionsausschuss, der u.a. die Mitglieder der Prüfungskommission und die Gutachter der Dissertation bestimmt. In der Regel werden zwei Gutachter berufen, von denen einer der Betreuer des Promovierenden ist (§8). Es können bis zu zwei weitere Gutachter bestellt werden, und es gilt (ebd.): „Die Gutachten sollen unabhängig voneinander innerhalb von sechs Wochen [!] erstellt werden.“ 

Es gibt nur zwei Fälle, in denen nach Abschluss des ersten Begutachtungsprozesses weitere Gutachter hinzugezogen werden, was das Verfahren legitim in die Länge ziehen kann: Es ist keine Einstimmigkeit dahingehend gegeben, die eingereichte Dissertation überhaupt anzunehmen. Es gibt einen Antrag, aber keine Mehrheit dafür, eine Mängelbeseitigung zur Voraussetzung der Annahme der Arbeit zu machen. Beide Fälle (ebenfalls §8) haben mit der Benotung einer angenommenen Arbeit überhaupt nichts zu tun. 

Benotung nach Prüfungsordnung

Nach §9 entscheidet die Prüfungskommission „über die Promotionsleistungen. […] Den Mitgliedern der Prüfungskommission sind die Dissertation und die Gutachten und eventuelle Stellungnahmen und Einsprüche zugänglich zu machen. Die Prüfungskommission berät und entscheidet in nichtöffentlicher Sitzung. Beschlüsse kommen mit der Mehrheit der Stimmen der Mitglieder zustande. Stimmenthaltung ist nicht zulässig. Bei Stimmengleichheit gibt die Stimme des/der Vorsitzenden den Ausschlag.“ 

Ist die Dissertation erst einmal angenommen, stellen unterschiedliche Benotungen der verschiedenen Gutachter überhaupt kein Problem dar. Denn: „Die Note für die Dissertation wird auf der Grundlage der Gutachten als arithmetisches Mittel festgelegt.“ (§11) Selbst wenn zwei Gutachter zu verschiedenen Bewertungen kommen, besteht nach Promotionsordnung also kein Grund, ein drittes Gutachten einzuholen. Erst recht nicht, wenn beide Gutachter identisch plädieren – im Falle Drostens für „summa cum laude“. 

Richtig ist, dass für die Gesamtnote im Fall von „summa cum laude“ Dissertation und mündliche Prüfung mit 0,0 bewertet werden müssen. Das bedeutet (ebenfalls §11), dass alle die mündliche Prüfung (Disputation) abnehmenden Kommissionsmitglieder die Note 0,0 zu vergeben haben (von einem erforderlichen „einstimmigen Beschluss des Fachbereichsrates zur Bestätigung dieser Bewertung“ steht in der Prüfungsordnung nichts). 

Mag also sein, dass zwischen der mündlichen Prüfung am 22. März und der Titelverleihung am 4. September 2003 über fünf Monate vergangen sind, weil die Kommissionsmitglieder länger brauchten, um die Disputation geschlossen mit dem Prädikat „summa cum laude“ zu belegen. Dass zwischen der Einreichung der Dissertation am 6. Februar 2002 und der mündlichen Prüfung am 22. März 2003 aber über ein ganzes Jahr vergangen ist, weil beide Gutachter die Arbeit (wenn ordnungsgemäß, dann innerhalb von sechs Wochen) mit „summa cum laude“ bewerteten, und deshalb weitere Gutachten und längliche Diskussionen nötig gewesen sein sollen, ist überhaupt nicht einsichtig.

Fazit

Insgesamt betrachtet, könnte es freilich immer noch irgendwie möglich sein, dass ein Blick in die Promotionsakte ein rechtskonformes Verfahren zur Verleihung des Doktortitels an Christian Drosten offenbaren würde – und bloß die Goethe-Universität heute unsinnige Geschichten erzählt, die mit der damals gültigen Promotionsordnung nicht im Einklang stehen. 

An Drostens Stelle wäre es einem jedenfalls lieber gewesen, die Goethe-Universität hätte sich gar nicht zu seiner Verteidigung geäußert. Denn so haben sich sämtliche Verdachtsmomente erhärtet. Man muss schon Everybody’s Darling sein, um nicht unter politischen und medialen Druck zu geraten, wenn man ohne Habilitation einen Lehrstuhl innehat und die Universität, bei der man promovierte, Zweifel an der Berechtigung des Doktortitels nährt.   Thomas Maul

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