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Montag, 30. November 2020

Der "herrschaftsfreie Diskurs" als Vorwand für linke Diskurshoheit

Viele Wissenschaftler – auch in den viel geschmähten Geistes- und Sozialwissenschaften – leisten gute Arbeit. In den einzelnen Disziplinen werden teilweise hervorragende Dissertationen und Habilitationen geschrieben. Es erscheinen Editionen, die höchsten wissenschaftlichen Ansprüchen gerecht werden und so einen unverzichtbaren Beitrag zur Erhaltung und Vemittlung des kulturellen Erbes leisten. Es entspricht einer Forderung nach Gerechtigkeit, diese Tatsache anzuerkennen – zumal viele Wissenschaftler auch über das von ihnen in den Stellenbeschreibungen Erwartete hinaus unermüdlich für ihre Forschungen engagiert sind.

Die derzeitige Situation an den Universitäten, wo unter Corona-Bedingungen weite Teile des üblichen akademischen Betriebs stillgelegt sind beziehungsweise auf digitale Kommunikationsforen umgeleitet werden, hat so etwas Beruhigendes: Es gibt keine großen Kontroversen – und kontroverse Gastredner, gegen die linke Studenten vor Ort demonstrieren könnten, gibt es derzeit auch nicht, weil es überhaupt keine Gastredner gibt. So wird auch die politisch-korrekte Fraktion in ihrem Eifer vorerst ausgebremst – doch steht zu befürchten, daß spätestens im nächsten Jahr die üblichen Ideologien wieder auf vollen Touren laufen werden.
Das kann alles aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß die deutschen Universitäten ein Problem haben, das in seiner Tiefenwirkung bisher bei weitem nicht in hinreichender Weise analysiert worden ist. Es reicht dabei nicht hin, wenn man von „Gesinnungskorridoren“ spricht, die sich hier etabliert hätten, auch wenn es diese selbstredend gibt. Es läßt immerhin aufmerken, wenn selbst der Präsident des Deutschen Hochschulverbandes, Bernhard Kempen, von einer „Verengung des Diskurskorridors“ spricht – diese Verengung aber, das ist die traurige Wahrheit, wird von interessierter Seite offensiv betrieben.
Kempens Satz, es „wäre eine traurige Verarmung unserer freien, geistigen Auseinandersetzung, die wir an den Universitäten wie ein Lebenselixier brauchen“, würden unliebsame Auffassungen tabuisiert, macht sich noch selbst der Schönrednerei schuldig: Denn diese traurige Verarmung findet im besten Deutschland, das wir je hatten, schon seit Jahren statt. Wieso sollten Universitäten auch ein Interesse an kontroversen Debatten haben, wenn sie, von außen nicht immer leicht zu erkennen, auf vielen Ebenen mit der Mainstream-Politik verwoben sind?

Diskursverengungen sind aber nur zum Teil das Ergebnis einer Steuerung von oben – wesentlich bedenklicher ist der Umstand, daß größere Teile der Wissenschaftler selbst kein angemessenes und verfassungskonformes Verständnis der Freiheit von Forschung und Lehre (Wissenschaftsfreiheit im Sinne GG Art. 5) haben.

Erst jüngst hatte eine Untersuchung von Studenten der Sozialwissenschaften in Frankfurt/Main ergeben, daß diese kein gesteigertes Interesse an Pluralismus und Kontroverse haben: Nicht nur verorten sie sich überwiegend als weit links stehend, sie vertreten auch die Meinung, daß andere nicht das Recht haben sollten, ihre Meinung vorzutragen – und ein sehr hoher Prozentsatz hält offensichtlich auch Dozenten mit den falschen, politisch inkorrekten Ansichten, für untragbar. Der Betreiber des Blogs „Sciencefiles“ Michael Klein spricht daher zu recht von einer antidemokratischen Subkultur an der Universität (sciencefiles.org vom 12. November 2020).


Es gehört zwar zu den beliebten rhetorischen Mitteln, solche Befunde mit der von einem bekannte Frankfurter Philosophen entwickelten Idee eines „herrschaftsfreien Diskurses“ zu kontrastieren.
Allein: Solche Einschätzungen übersehen, daß es auch dem Präzeptor dieses herrschaftsfreien Diskurses nie wirklich um einen solchen ging, sondern um die Etablierung einer linken Diskurshoheit. Auf deren Basis durften dann alle diejenigen, die zum Diskurs überhaupt zugelassen wurden, im vorgegebenen Rahmen debattieren.
Jürgen Habermas wollte schon in den 1980er Jahren erreichen, daß die Thesen des Historikers Ernst Nolte nicht öffentlich in kontroverser Weise diskutiert wurden – was ihm letztlich auch gelang.

Seither weiß jeder, der bei Sinnen ist, wie er sich in einem Milieu zu bewegen hat, das in den letzten Jahrzehnten immer mehr von Ideologien überschwemmt wurde. Zumal die wenigen Organisationen, die hier Paroli hätten bieten können – wie der einst kampfesmutige „Bund Freiheit der Wissenschaft“ – sich wenig ruhmreich aus der Geschichte verabschiedeten. Etwas wie ihn bräuchte man heute mehr denn je.
Die Herrschaft der politischen Korrektheit* an den Hochschulen ist keine neue Erscheinung, doch hat sich ihr Einfluß in den letzten Jahren massiv verstärkt. Es gehört zu den beliebten Spielchen der Linken, im Sinne des sogenannten „Gaslichtern“ – man versucht demjenigen, der ein Problem benennt, weiszumachen, er selbst sei das Problem! – die Existenz solcher Einschränkungen der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit abzustreiten.
Exemplarisch tut dies etwa der linke Juraprofessor Andreas Fischer-Lescano im „Verfassungsblog“ (29. September 2019), der von der „Legende von der Einschränkung der Wissenschaftsfreiheit durch die vermeintliche political correctness des Mainstreams“ spricht. Hier, so der Professor, geriere sich „rechte Wissenschaft als Opfer einer (linken) Meinungsdiktatur und versucht, Kritikerinnen und Kritiker unter Berufung auf die Wissenschafts- und Meinungsfreiheit mundtot zu machen“. Fischer-Lescano gehört zu jenen, die fröhlich eben jene politische Korrektheit* praktizieren, die angeblich nur „vermeintlich“ existiert, indem sie munter diffamierende Werturteile wie „rechtsradikal“ auf missliebige Professoren wie den an der Humboldt-Universität lehrenden Berliner Historiker Jörg Baberowski anwenden.

Der doppelte Maßstab ist offensichtlich: Denn während gegen eine angeblich „rechte Wissenschaft“ polemisiert wird, die lediglich als halluziniertes Objekt existiert, soll eine linksgestrickte Wissenschaft legitim sein. Mittel der Wahl ist dabei die moralische** Okkupation des Universitären: das Grundgesetz soll nur noch strikt im Sinne der linken Ideologie ausgelegt werden, jede Kritik an einer linken Agenda als verfassungsfeindlich diffamiert und die Kritiker diskriminiert werden.

Auch die Wissenschaften an den Universitäten unterliegen heute einem Sprachregime (Michael Esders, JF 30-31/20), das sich zwar nicht in allen Bereichen gleichermaßen auswirkt, aber doch eine starke Steuerungsfunktion ausübt. Wer sich etwa in den „weichen“ Fächern nicht an der allseitigen Verwendung von „gegenderter“ Sprache beteiligt, die bereits in zahlreiche Publikationen renommierter wissenschaftlicher Verlage vorgedrungen ist, markiert sich selbst als distanzierter Wissenschaftler, nicht als Aktivist. Das ist aber für die Karriere schlecht in einem Bereich, in dem „Agendawissenschaftler“ (Sandra Kostner) zunehmend das Sagen haben.
Der „Jargon der Offenheit“ (Frank Böckelmann) durchzieht die Phraseologie der politisch-korrekten* Wissenschaftslandschaft. Eine regelmäßige Sichtung einschlägiger „Calls for papers“, also Aufforderungen, zu Tagungen und Publikationen beizutragen, gibt dafür reichhaltigen Anschauungsunterricht. Eben erst hat der Historiker Jürgen Schmid auf Publico die „Ausbildung zum Erwachen“ am Beispiel der „Europäischen Ethnologie“ (früher: Volkskunde) im Sinne einer Schadensbilanz dargestellt.
Ähnlich sieht es aber auch in den anderen Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften aus, die unter dem Einfluß des Mantras von race-class-gender ein Tummelfeld für die antiwissenschaftliche Agenda des Postmodernismus geworden sind und sich selbst am Abräumen von Bildungsgütern beteiligen. Hier wird, ohne dass davon publizistisch viel nach außen dringen würde, den Studenten vielfach schon durch die krude und also unhinterfragte Rede vom „Patriarchat“ etc. signalisiert, daß das Ergebnis der „Analyse“ schon vorher festzustehen hat – das Gegenteil wirklicher Wissenschaft.

Die angelsächsischen Zustände sind ähnlich***: Erst jüngst besprach Simon Jenkins im Times Literary Supplement die philosophischen und theoretischen Hintergründe der „Cancel Culture“, die Helen Pluckrose und James Lindsay in antiliberalen Theorien aus dem Arsenal der postmarxistischen Identitätspolitik ausmachten. Diese Ideologie ist den Autoren zufolge „die am wenigsten tolerante und die autoritärste Ideologie, mit der sich die Welt seit dem weitverbreiteten Niedergang des Kommunismus auseinandersetzen mußte“.
Gegenüber den Zwängen, die auf indirekte Weise über die Gesinnungs-Korsette namens Gender, Rasse, Klima und Migration in den Universitäten erzeugt werden, sind die tatsächlich immer wieder einmal stattfindenden Vorlesungsstörungen, wie etwa im Fall des Volkswirtschaftlers und AfD-Mitbegründers Bernd Lucke, als Formen des studentischen Cancel-Culture-Spektakels nur die medial vermittelbare Außenseite des Problems.

Sie generieren zwar viel mediale Aufmerksamkeit und sind für die Betroffenen höchst unangenehm, lenken aber von einem Umstand ab, der unterdessen die freie Wissenschaft viel effizienter unterminiert: Gravierender für die Zukunft der deutschen Universität ist nämlich die Tatsache, daß in den weicheren Kulturwissenschaften die Nachwuchswissenschaftler, oft sind es aber auch hier Nachwuchswissenschaftlerinnen****, häufig genug zu jenen gehören, die in plattester Manier eine aktivistische „Wissenschaft“ fordern – handele es sich nun um die angeblich drohende Klimakatastrophe, die angebliche Benachteiligung von Frauen in der Wissenschaft (obwohl das Gegenteil der Fall ist), die Propaganda für offene Grenzen oder um die Instrumentalisierung des Todes von George Floyd für die absurde Unterstellung eines systemischen beziehungsweise strukturellen „Rassismus“ auch noch hierzulande, gegen den es auch auf Seiten der Lehrenden im Sinne der „kritischen Weißseinsforschung“ vorzugehen gelte.

Gerade Letztere ist ein typischer Fall für die als Wissenschaft camouflierte***** aktivistische Agenda: Den Weißen – die es als solche natürlich innerhalb des postmodernen Rassediskurses gar nicht geben dürfte – soll ihr Weißsein madig gemacht und am besten ausgetrieben werden.  Julius Möllenbach

 

*Der Autor dieses Artikels täte gut daran, "politische Korrektheit" in Anführungszeichen zu setzen, herauszuarbeiten, wie politisch unkorrekt sich diejenigen verhalten, die die Diskurshoheit despotische für sich beanspruchen und wahre politische Korrektheit einzufordern, statt so zu tun, als sei die Forderung nach politischer Korrektheit an sich schon eine Zumutung und grässliche Anmaßung und nicht erst die verlogene Pervertierung derer, die eine an sich tugenhafte Forderung - wie immer, wenn Linke sich hinter moralistischer Eitelkeit verstecken - für ihre Machtgelüste missbrauchen.

Bosbach zeigt vorbildlich, wie man "politische Korrektheit", die ihrem eigenen Anspruch nicht genügt, durch besseres Beispiel bekämpft.


**pseudomoralische und moralistische, aber gewiss nicht moralische

*** Die italienischen Zustände schon lange. Aber seit Berlusconi 1994 die Wahlen gewann, gibt es wenigstens auch Gegenstimmen.

**** Die Unterscheidung zwischen Mann und Frau ist wichtig. Insofern ist das generische Maskulinum tatsächlich oft unbrauchbar, besonders wenn über Länder wie Italien geredet wird, in denen die Mentalitätsunterschiede zwischen Mann und Frau immer noch sehr groß sind.

***** Nicht nur. Man kann durchaus auch hier Nägel mit Köpfen machen, wie immer wo verlogener Relativismus auch ehrlicher Relativismus sein könnte. Aber letzterer ist selten und wird immer selten sein.

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