Stationen

Montag, 19. Dezember 2022

Geschichtliches und Prähistorisches

Soviel ich weiß, gibt es keine Anzeichen dafür, dass es vor dem 16. Jahrhundert Weihnachtsbäume gab. Der erste Beleg stammt laut Ulrike Bergmann aus dem Jahr 1570 in Bremen: in den Zunftstuben der Städte wurden kleine Weihnachtsbäume aufgestellt, an die Äpfel, Brezeln, Datteln und Nüsse gehängt wurden, die die Kinder herunterschütteln durften, heißt es dort. Alois Döring sagt, aus dem Elsass stammten die ersten Belege, etwa um dieselbe Zeit. Der NDR meint, 1535 wurden in Straßburg Eibe, Stechpalme und Buchsbaum verkauft, die in den Stuben aufgehängt wurden; ich vermute als Wandschmuck. Liselotte von der Pfalz erwähnt in ihren Briefen 1660 Buchsbäume mit Kerzen, die sie in ihrer Kindheit erlebte. Wenn es sich beim Adventskranz um einen alten germanischen oder keltischen Brauch handeln würde (wie Storl suggeriert), müsste er wenigstens von den Missionaren erwähnt worden sein, die diesen Brauch entweder bekämpft haben oder sich anschickten, ihn im Sinne des Christentums umzudeuten. Dass bereits die Neanderthaler in ihren Höhlen zur Wintersonnenwende das Bedürfnis verspürten, Lichterfeste zu feiern, ist naheliegend. Die Saturnalia der Römer waren ein bisschen Weihnachten (ohne die wehmütige Stimmung im Dunkeln, die wir nördlich der Alpen pflegen) und gleichzeitig ein bisschen Fasching. Aber was Storl über die Form des Adventskranzes und die Symbolik der Kerzen sagt, hört sich ein bisschen zu sehr so an, als habe er es sich selber ausgedacht. Den ältesten Hinweis, dass Geist irgendwie mit Licht zu tun hat, finden wir in der Etymologie: aura, -ae f ist nicht nur der Luftzug und die Atemluft, sondern auch verwandt mit aurum, -i n, dem Gold, das von allen Metallen das leuchtendste ist. anima -ae f, die Seele ist wiederum mit anemos, dem griechischen Wort für Wind verwandt. Luftzug, Atem, Seele, Geist und Licht sind also seit langem durch Gedankenverbindungen miteinander verknüpft. Die goldenen Papiersterne, die wir an den Weihnachtsbaum hängen und das Licht der Kerzen reflektieren, entsprechen einer allgemeinmenschlichen Neigung während des Winters. Deswegen hat es eigentlich keinen Sinn, Weihnachten in Buenos Aires zur gleichen Zeit wie in Europa zu feiern, da dort im Dezember der Sommer beginnt. Aber kulturelle Angleichung auch des Ungleichen und die Durchsetzung kulturanthropologischer Prioritäten gehört eben auch zu den allgemeinmenschlichen Neigungen.


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